19.01

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Dr. Wolfgang Mückstein: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Mitglieder des Bundesrates! (Ruf: Lauter!) – Jetzt bin ich schon wieder zu leise. (Bundesrat Steiner: Das wäre ja kein Wunder, wenn man 6 Stunden die Maske oben hat!)

Die Bewältigung der Covid-19-Krise – geht es so? (Zustimmung im Saal), sehr gut –, die Stärkung der Resilienz sowie das Vorantreiben des grünen und digitalen Wandels ste­hen im Fokus des Programms der Europäischen Kommission für 2021. Das Programm des zu Ende gehenden portugiesischen Ratsvorsitzes war ebenfalls von der Bewälti­gung der Covid-19-Situation und der Sicherstellung eines koordinierten Krisenmanage­ments auf EU-Ebene geprägt. Mit 1. Juli 2021 übernimmt bekanntlich Slowenien den Vorsitz im Rat der EU. Die Konjunkturerholung, die Stärkung der Resilienz und der strategischen Autonomie der EU werden zentrale Themenstellungen sein.

Ich möchte Ihnen nun die Themenbereiche, die mein Ressort betreffen, näher erörtern. Zum Bereich Sozialpolitik: Die Covid-19-Pandemie kann neben der gesundheitlichen auch eine wirtschaftliche und soziale Krise in Europa auslösen. Wir wissen aus Unter­suchungen vorangehender Wirtschaftskrisen, dass die sozialen Folgen erst zeitver­zögert auftreten. Damit aus der Gesundheitskrise keine Sozialkrise wird, muss langfristig europaweit auf gute Lebensbedingungen geachtet werden, und es ist wichtig, unser Sozial- und Gesundheitssystem armuts- und krisenfester zu machen.

Ich bin deshalb sehr froh, dass die Europäische Kommission weitere Schritte zur Um­setzung der Säule sozialer Rechte unternommen und Anfang März einen Aktionsplan zur Umsetzung vorgelegt hat. Dem portugiesischen Ratsvorsitz ist es Anfang Mai beim Sozialgipfel in Porto gelungen, auf Staats- und Regierungschefebene, aber auch von­seiten der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner Zustimmung zu den im Aktionsplan vorgeschlagenen EU-weiten Zielsetzungen in den Bereichen Beschäftigung, Ausbildung und Armutsbekämpfung zu erreichen.

Mit dem Bekenntnis zur vertieften Umsetzung der seit 2017 bestehenden Europäischen Säule sozialer Rechte, die sowohl auf EU-Ebene als auch den Mitgliedstaaten als Leit­faden für ein soziales Europa dient, tritt Europa entschlossen für sozialen Zusammenhalt ein. Der slowenische Ratsvorsitz wird mit den Schwerpunkten Qualität der Arbeit, Lebensqualität und nachhaltige Arbeit sowie Gesundheit und Sicherheit weitere Schritte setzen.

Lassen Sie mich ein paar Punkte hervorheben: Armut und sozialer Ausgrenzung ent­schieden entgegenwirken: Die Armutsquote soll EU-weit um 15 Millionen reduziert wer­den, wobei die Armutsquote bei Kindern um fünf Millionen gesenkt werden soll. Armuts­bekämpfung bleibt damit weiterhin auch auf europäischer Ebene ein wichtiges Thema, insbesondere der spezielle Fokus auf Kinder ist mir ein besonderes Anliegen. Die vorige Woche im Beso-Rat verabschiedete Empfehlung für eine europäische Kindergarantie, die auf Armutsvermeidung, gesunde Ernährung und Zugang zu entsprechenden sozialen Dienstleistungen fokussiert, wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten.

Wenn auch die Zahlen in Österreich besser als im EU-Durchschnitt aussehen, werden 2021 die Folgen der Rezession vermutlich deutlich spürbarer werden. In Österreich ist aktuell rund jedes fünfte Kind unter 18 Jahren armutsgefährdet. Die österreichische Bun­desregierung hat sich bereits vor der Pandemie der Armutsbekämpfung verschrieben und sich im Regierungsprogramm das ehrgeizige Ziel gesetzt, den Anteil von armuts­gefährdeten Menschen in Österreich bis 2024 um die Hälfte zu reduzieren.

In unserem gut entwickelten Sozialstaat konnten kombiniert mit zahlreichen Krisenmaß­nahmen der Bundesregierung schwerwiegendere soziale Auswirkungen weitgehend verhindert werden. Auf bestehende Lücken im sozialen Netz hat die Covid-Pandemie jedoch wie ein Brennglas gewirkt, daher arbeiten wir derzeit an Maßnahmen zur Milde­rung der sozialen Auswirkungen der Pandemie vor allem auf vulnerablere Gruppen wie zum Beispiel Kinder und Jugendliche, aber auch ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung.

Gut ausgebaute Systeme der sozialen Sicherheit inklusive Finanzierung sind meiner Meinung nach ebenfalls besonders hervorzuheben. Es zeigt sich europaweit, dass gut ausgebaute und für alle zugängliche Sozialschutz- und auch gute Gesundheitssysteme essenziell für die Krisenbewältigung sind. Ihr Funktionieren ist ein Gradmesser für die Resilienz. Ein sorgfältiger Umgang mit Investitionen in den Sozialschutz und in die Pflege, wie er auch in der Säule angesprochen ist, haben sich bewährt.

Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit zählen zu den extremsten Formen der sozialen Ausgrenzung. In der EU sind derzeit etwa 700 000 Menschen von Obdachlosigkeit be­troffen, was einem Anstieg von 70 Prozent innerhalb von zehn Jahren entspricht. Während der jüngsten Gesundheitskrise ist diese Zahl aufgrund von Sofortmaßnahmen und der Unterbringung der Schwächsten gesunken. In einem ersten Schritt dieser Ent­wicklung Rechnung tragend wurde im Juni eine europäische Plattform zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit eingerichtet.

Die ältere Generation ist ein weiteres zentrales Thema. Stichwort Altern: Bereits im Jänner hat die Kommission ein Grünbuch zum Thema Altern vorgelegt. Damit wurde vor dem Hintergrund des demografischen Wandels eine breite öffentliche Debatte über die Herausforderungen und Chancen einer alternden Gesellschaft in Europa angestoßen. Aus meiner Sicht sollten gerade auch die Chancen des gesunden Älterwerdens für die Betroffenen und die Gesellschaft herausgearbeitet werden. Neben dem gesunden und aktiven Altern, der Vermeidung von Altersarmut und vielen anderen Themen wird die steigende Nachfrage nach ausreichenden, zugänglichen, qualitativ hochwertigen und erschwinglichen Gesundheits- und Langzeitpflegedienstleistungen als zentrale Heraus­forderung genannt.

Lassen Sie mich noch kurz etwas zum Thema inklusive Gesellschaft sagen: Ein wich­tiger Baustein für eine inklusive Gesellschaft ist die von der Europäischen Kommission am 3. März 2021 vorgelegte neue Strategie für die Rechte von Menschen mit Behin­derungen 2021 bis 2030. Das Ziel der Strategie ist es, die EU und die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu unterstützen. Ich begrüße diesen Schwerpunkt sehr. Gerade die ohnehin schon vor der Pandemie oftmals benach­teiligten Personengruppen trifft die Krise umso mehr.

Für den Bereich Gesundheit kann ich Ihnen Folgendes berichten: Bereits seit über einem Jahr bestimmt die Covid-19-Pandemie nun das politische Geschehen auf nationaler und europäischer Ebene und offenbart die Vorzüge der europäischen Zusammenarbeit. Bei aller berechtigten Kritik war die gemeinsame Beschaffung von Impfstoffen auf euro­päischer Ebene der richtige Weg. Von den zugelassenen Impfstoffen wurden bereits mehr als 1,5 Milliarden Dosen für die EU produziert und werden den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt. Auch für die Jahre 2022 und 2023 wurden seitens der Europäischen Kommission bereits Verträge über 1,8 Milliarden Dosen abgeschlossen. Es ist eine Initiative, die ich sehr begrüße.

Sicherlich gibt es auch Verbesserungspotenzial. Ich begrüße daher ausdrücklich die Initiative der Europäischen Kommission, um die Herausforderungen in der europäischen Zusammenarbeit und Krisenkoordination besser zu bewältigen. Es handelt sich dabei um Maßnahmen zur Stärkung der gemeinsamen Prozesse zur Krisenkoordination im Falle grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren sowie zur Erweiterung der Mandate der beiden Gesundheits-EU-Agenturen, der EMA und der ECDC. Die Pandemie hat gezeigt, dass beide Agenturen gestärkt und mit robusten Mandaten ausgestattet werden müssen.

Weiters ist ein Vorschlag der Kommission zur Errichtung einer europäischen Behörde für Krisenvorsorge und -reaktion, abgekürzt Hera, angekündigt, die eine schnellere Reaktion auf gesundheitliche Notlagen ermöglichen soll. Erste Maßnahmen wurden bereits im Rahmen des Hera-Inkubators auf den Weg gebracht. Damit sollen eine schnellere Analyse von Virusvarianten, die Beschleunigung des Zulassungsverfahrens sowie die Ausweitung von Produktionskapazitäten sichergestellt werden.

Die Pandemie hat die Freizügigkeit in einem zuvor kaum dagewesenen Maße beschränkt und so soziale und wirtschaftliche Beziehungen gestört. In einer Rekordzeit von 62 Tagen konnten sich Rat und Europäisches Parlament über den Vorschlag der Europäischen Kommission betreffend die Verordnung für ein digitales Covid-19-Zertifikat der EU einigen, das mit 1. Juli in Kraft tritt. Es legt Format und Inhalt interoperabler Zertifikate zu Covid-19-Impfungen, -Testungen und -Genesungen fest. Aufgrund des steigenden Anteils Geimpfter sowie Genesener in der Bevölkerung schafft die vorlie­gende Verordnung ein einheitliches Dokument zur Überprüfung des Infektions­status und ermöglicht Reise- und Bewegungsfreiheit. Damit ist ein wichtiger Schritt in Richtung Normalität gesetzt. Das grüne Zertifikat führt keinesfalls zu einer Impfpflicht, es umfasst ebenso Getestete wie auch Genesene. Die Möglichkeit zur Ergreifung erneuter Be­schränkungen, wie etwa Quarantänebestimmungen für Reisende, sollten diese nötig sein, bleibt bestehen.

Bereits Ende März ist die Verordnung für ein gestärktes EU-Gesundheitsprogramm, EU4Health, in Kraft getreten. Aufgrund der Erfahrung mit Covid-19 wurde beschlossen, das Budget im Vergleich zum laufenden Programm deutlich anzuheben und thematisch jene Elemente zu verstärken, die durch die Covid-19-Krise an Bedeutung gewonnen haben.

Abschließen möchte ich mit dem Bereich Verbraucherschutz: Ich begrüße die ambitio­nierte Verbraucheragenda der Europäischen Kommission, die die konsumenten­politi­schen Schwerpunkte für die nächsten fünf Jahre setzt. Regelungsbedarf besteht vor allem bei der Verwirklichung des grünen und digitalen Wandels. Die Schwerpunkt­setzungen der europäischen Verbraucherpolitik dazu sind zu begrüßen.

Mit dieser ambitionierten Agenda werden wir langfristig den sozialen Zusammenhalt in Europa und in Österreich stärken. Gleichzeitig arbeiten wir an mehr Resilienz und Ko­operation, um aus dieser Krise zu lernen und um langfristig unser Gesundheitssystem zu schützen. Für die KonsumentInnen schaffen wir einen Rahmen, der sowohl den grünen wie auch den digitalen Wandel im Sinne der Menschen gestaltet. Ich bin froh, dass wir in Europa diese positiven Impulse gemeinsam setzen können, und freue mich auf die Umsetzung. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Grünen.)

19.13

Präsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bun­desrätin Andrea Eder-Gitschthaler. – Bitte, Frau Bundesrätin.