13.50

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Herr Außenminister! Bevor ich meine Rede zur Tagesordnung halte, gilt es, Worte zum Ableben von Wolfgang Beer zu sagen. Das plötzliche Ableben unseres Kollegen und Freundes Wolfgang Beer am vergangenen Wochenende hat uns als Fraktion ganz tief erschüttert. Das macht uns unglaublich traurig, vor allen Dingen deshalb, weil es so plötzlich geschehen ist.

Wolfgang Beer war unser längstdienender Bundesrat, er hat diesem Haus 14 Jahre lang durchgehend angehört. Er hat besonders in der Sicherheitspolitik im Bereich der Landes­verteidigung für Verbesserungen im Sinne der Menschen und des Bundesheers ge­kämpft. Ihm waren sein Wien, sein Favoriten und seine sozialdemokratische Haltung immer ausgesprochen wichtig, all das hat sein politisches Tun angetrieben. Er hat gesagt: Ich gehe ins Kaffeehaus, weil ich mit den Leuten rede, und dann gilt es, das, was die Leute sagen, weiterzutragen und politisch zu handeln! – Das war Wolfgang Beer. Wenn ich dort zur Tür schaue, habe ich das Gefühl, sie geht vielleicht auf und er kommt mit dem Rollstuhl herein – aber er wird nicht kommen.

Ich danke allen Fraktionen für ihre aufrichtige Anteilnahme. Wolfgang Beer wird uns sehr fehlen. In Gedanken sind wir in dieser schweren Stunde natürlich bei seinen Ange­höri­gen und seiner Familie. – Vielen Dank.

Herr Bundeskanzler, Sie sind jetzt 23 Tage im Amt – in einem Amt, das Sie übernommen haben, weil Kanzler Kurz, der Ex-Kanzler, zur Seite getreten ist; es stehen schwere Korruptionsvorwürfe im Raum. Wie schwierig und holprig dieser Lösungsprozess war, zeigt der Brief, das Manifest, das von allen ÖVP-Ministern/-Ministerinnen unterzeichnet wurde und in dem steht:

„Aus tiefster demokratischer Überzeugung stellen wir als Bundesministerinnen und Bun­desminister der Republik Österreich hiermit klar: Eine ÖVP-Beteiligung in dieser Bundes­regierung wird es ausschließlich mit Sebastian Kurz an der Spitze geben.“ – So weit der Text. Nun, es sind fast alle noch da – die Halbwertszeit dieses Treueschwurs dauerte nur zwei Tage.

Die Kanzlerschaft Schallenberg kann nun nicht mehr davon geprägt sein, mit einer reinen PR-Maschinerie zu agieren. Das System Kurz hat sich entlarvt und ist nicht mehr tragbar. Die Probleme und Baustellen in unserem Land sind zu viele und zu schwer­wiegend. Diese Sondersitzung des Bundesrates soll nicht allein dazu dienen, dass man sich freundlich gegenseitig vorstellt, sondern dass man auch anspricht, wo wir als sozial­demokratische Fraktion die Haupthandlungsfelder sehen, wo gehandelt werden muss, um den Menschen ein gutes Leben zu garantieren.

Natürlich ist zunächst die Bekämpfung der Coronapandemie wichtig. Darin sehen wir ein ganz schweres Scheitern der Regierung im Spannungsfeld zwischen einem Ex-Kanzler, der im Sommer erklärt hat, die Pandemie sei überwunden – ein furchtbarer Fehler, vor allen Dingen taktisch in der Frage der Motivation zur Impfung –, und auf der anderen Seite einer sich immer weiter radikalisierenden FPÖ (Zwischenrufe bei der FPÖ) und einer Partei, die sich ganz bewusst in Oberösterreich gegründet hat, um gegen Corona­maßnahmen aufzutreten. Der Weg der Sachlichkeit, der Information, der Umsicht, der Vorsicht, der Einheitlichkeit wurde verlassen, der Sommer verschlafen, und den Septem­ber hat man ganz bewusst verstreichen lassen, um in Oberösterreich Wahlergebnisse zu bekommen, wie man sie gerne hätte. Das ist verantwortungslos!

Die Zahl der Coronainfizierten ist jetzt extrem hoch, und die Durchimpfungsrate ist ein­deutig zu niedrig. Das sind immer nur kalte Zahlen, aber dahinter steht ein unglaubliches Leid, das durch die Coronapandemie verursacht wird. Wenn ich an die Beschäftigten in den Intensivstationen denke, mit denen wir dauernd im Austausch sind, muss ich sagen: Die können einfach nicht mehr, die sind am Limit. Sie waren schon vor der Coronazeit am Limit, dann wurden die Operationen nachgeholt, als die Zahlen zurückgingen, und jetzt ist es wieder so weit: Sie können nicht mehr! (Beifall bei der SPÖ.)

Der Coronabonus wurde vollmundig und laut angekündigt. – Bis heute haben die Be­schäftigten ihn nicht erhalten. Wir hören, es wird jetzt im Dezember so weit sein, aber wieder nicht für alle Beschäftigungsgruppen. So kann man mit höchstbelasteten Mitar­beiterinnen und Mitarbeitern nicht umgehen! Wenn man daran denkt, welche Aus­wir­kungen Long Covid haben wird, auch auf Kinder, dann ist das schon bestürzend.

Vorbei sind all die vielen Pressekonferenzen der Regierung, trotz dieser Zahlen keine Pressekonferenz und kein einheitliches Auftreten, keine Maßnahmen gegen den Fleckerlteppich der Maßnahmen, kein Eintreten für eine Einheitlichkeit, nein. Das ist natürlich nicht immer ganz angenehm. Man schiebt es auf die Länder, man schiebt es auf die Sozialpartnerschaft, alle sollen es richten, die Verantwortung liegt aber bei der Regierung. Nicht einmal mehr ein Ausritt der Bundesministerin Köstinger gegen die Covid-Maßnahmen eines Bundeslandes erfolgt; für die Ausritte sucht man sich immer Wien aus, alle anderen Bundesländer nimmt sie nicht so in die Pflicht.

Was uns bewegt, das sind die Probleme der Teuerung. Wir haben eine Inflation von 3,6 Prozent im Oktober, extrem steigende Preise bei Lebensmitteln, bei Strom, Gas, Benzin. Die Mieten sind enorm angestiegen. Da fragen sich viele Menschen, gerade auch Menschen aus dem viel gepriesenen Mittelstand: Kann ich mir mein Leben überhaupt noch leisten? Wir brauchen eine Teuerungsbremse, und zwar dringend und nicht erst bei einer Steuerreform im nächsten Jahr. Jetzt sind Maßnahmen gegen die drohende Energiearmut notwendig, Abschalteverbote während der kalten Jahreszeit für Strom, Gas und Wärme, Ratenzahlungsvereinbarungen bis zu 24 Monate, um Rück­stände zurückzahlen zu können, bessere finanzielle Unterstützung von Haushalten, die von Energiearmut betroffen sind. Das gilt es jetzt zu tun. Wir wissen, 365 000 Kinder in Österreich leben in einem Haushalt, der sich keine unerwarteten Ausgaben leisten kann. Wenn die Waschmaschine kaputt wird, haben viele keine Chance, eine neue zu kaufen, und das ist in einem schönen und reichen Land wie unserem bestürzend. (Beifall bei der SPÖ.)

Der Winter wird kalt, und die Belastungen für die Österreicherinnen und Österreicher müssen jetzt abgefedert werden.

Ich darf an dieser Stelle schon auf die laufenden Kollektivvertragsverhandlungen zum Beispiel in der Metallindustrie verweisen. Die Angebote, die man der Arbeitneh­merInnen­seite vorgelegt hat, sind wirklich beschämend und zeugen von keinem Respekt für die Beschäftigten in diesem Bereich. Es wurde durchgehend gearbeitet, ganz, ganz fleißig, es wurden hohe Gewinne eingefahren, die Auftragsbücher waren voll – und dann diese Angebote!

Ich darf erwähnen, dass im Rahmenrecht seitens der Arbeitgeberseite gefordert wird, dass nicht mehr nur an vier Sonntagen, sondern an allen Sonntagen gearbeitet wird und dass durchgehend 16 Stunden gearbeitet werden soll. Das passiert und – das sei ÖVP und FPÖ ins Stammbuch geschrieben, die diese Arbeitszeitregelung geöffnet haben; Sie haben die Büchse der Pandora geöffnet – das heißt: Auspressen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis aufs Letzte! – Das darf nicht sein, und das werden wir als Sozialdemokratie immer bekämpfen! (Beifall bei der SPÖ.)

Eine weitere große Herausforderung, die natürlich ansteht, ist die Frage der Pflege. Wir haben einen Pflegenotstand, das ist nicht zu ignorieren, und wir haben die Problematik, dass wir zukünftig, bis 2030, 80 000 Beschäftigte in diesem Bereich brauchen. Wir brauchen eine wirkliche Ausbildungsoffensive und wir brauchen bessere Arbeitsbedin­gungen. Dieses Berufsfeld muss attraktiviert werden, denn es ist nicht leicht, zu pflegen. Auch dort sind die Beschäftigten am Limit, und es braucht die Botschaft, dass es zu Reformen kommt. Nur, Fakt ist – Sie (in Richtung Bundeskanzler Schallenberg) haben es angesprochen –: Es gibt die Problematik der Pflege, aber im Budget sehen wir nicht die finanziellen Mittel für eine wirkliche Pflegereform, sie sind nicht vorhanden. Im Ge­gensatz dazu entlastet man die Konzerne. Das ist nicht Politik, wie wir als Sozialde­mokratie sie verstehen!

Lassen Sie mich noch auf die Kinderbildung kommen. Die Kinderbildung in Österreich muss oberste Priorität haben. Dabei geht es um das Wichtigste, das wir haben: um unsere Kinder und damit um unsere Zukunft. Wir brauchen im Bereich der Elementar­pädagogik endlich wirkliche Schritte in Richtung Ausbau – auch hierfür sind die Mittel im Budget nicht avisiert, sie sind nicht vorhanden. Ganz ehrlich, auch wenn Sie es nicht hören wollen: Wenn es wirklich möglich gewesen wäre und auch verhandelt war, dass es eine flächendeckende Nachmittagsbetreuung in ganz Österreich gibt, wenn 1,2 Mil­liarden Euro da waren und das dann einfach aus politischem Interesse mit einem Federstrich weggelöscht wird, so kann das doch nicht sein! Das kann nicht Handeln im Interesse der Menschen sein! (Beifall bei der SPÖ.)

Heute wurden schon die Frauen als auch in der Politik wichtige Gruppe – keine Frage – angesprochen, aber es muss auch Politik für die Frauen gemacht werden. Ich kann das beim besten Willen in dieser Regierung nicht erkennen. Die Frauen waren in der Pandemiezeit extremst belastet, werden aber nicht angesprochen und nicht unterstützt. Der Ausbau der Elementarpädagogik wäre ein ganz wichtiger Schritt. Wir wissen, es gibt in Österreich eine Einkommensschere von 18,5 Prozent. Da ist zu handeln!

Ich freue mich sehr über jede Initiative der grünen Frauen, die sagen: Wir brauchen eine größere Einkommenstransparenz! Wir wollen auch den Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz!, nur muss man schon sagen: Oppositionsarbeit in der Regierung wird nicht funktionieren. Die Grünen sind jetzt in der Regierung und haben Verant­wor­tung. Wir unterstützen, wo wir können, bei einer modernen, zukunftsgerichteten Frauen­politik, aber Sie tragen jetzt die Verantwortung. Oppositionsarbeit in der Regie­rung wird, wie gesagt, nicht funktionieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Auch das Thema Klima ist ein extrem wichtiges, und es ist ein bedrohliches. Es muss gehandelt werden, das ist völlig richtig. Es müssen aber alle mitgenommen werden. Ich gratuliere zum Klimaticket. Keine Frage: Das ist eine tolle Sache. Gleichzeitig muss aber auch der Ausbau des regionalen Verkehrs vorangetrieben werden. Ein Bauarbeiter hat nichts vom Klimaticket, wenn er keine Chance hat, von seinem Wohnort zur Arbeitsstelle zu kommen, weil die öffentlichen Verkehrsmittel einfach nicht im notwendigen Maß ausgebaut sind. Darum ist zu kämpfen und daran ist zu arbeiten. Es sind Ängste zu nehmen, die durch die Veränderungen aufgrund des Klimaschutzes bei den Menschen entstehen. Die gibt es. Da müssen alle mitgenommen werden. Scheinmaßnahmen, etwa ein Klimabonus, den man den einen gibt und Wien nicht gibt, sind nicht die Form, in der man Klimapolitik betreiben kann.

Noch eines ist ganz wesentlich, das wurde auch heute schon angesprochen: Herr Bun­deskanzler, schützen Sie die Justiz vor den unerträglichen und systematischen Angriffen Ihrer Partei auf ihre Arbeit! Die Absturz- und Aufdeckungsängste Ihrer türkisen ÖVP haben viel zu lange zu einem permanenten Angriff auf die Justiz und in der Folge auch auf den unabhängigen Journalismus geführt. Das ist unerträglich, das ist gefährdend für unsere Demokratie und für unser Staatsgefüge. Wir werden noch sehen, was die Ermittlungen zutage fördern, aber eigentlich reicht schon, was wir bereits gehört und gelesen haben. (Bundesrat Schwindsackl: Das ist eine Verurteilung! – Zwischenruf des Bundesrates Himmer.)

Herr Kanzler Schallenberg, Sie haben sehr rasch Gespräche mit den wesentlichen Repräsentantinnen und Repräsentanten des Landes aufgenommen. Das ist wichtig und richtig. Distanzieren Sie sich von der gesteuerten Inszenierungspolitik des Systems Kurz! Es liegen so viele Herausforderungen vor uns. Die gilt es nun im Interesse der Menschen zu bewältigen. Teuerungen in diesem Ausmaß, eine Pflegekrise in diesem Ausmaß, all das ist nicht zu ignorieren. Wir müssen jetzt im Interesse der Menschen handeln. Das sind wir ihnen schuldig. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

14.03

Präsident Dr. Peter Raggl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundesrat Christoph Steiner. Ich erteile dieses. – Bitte.