16.08

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehr­ter Herr Bundeskanzler! – Ich gebe zu, selbst nach drei Wochen ist diese Anrede immer noch etwas ungewöhnlich. Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Sehr geehrter Herr Außen­minister! Das ist eine interessante Debatte, auf jeden Fall muss sich die Opposition auf einen nahenden Wahlkampf vorbereiten, sonst würden nicht die Vertreter von Grün und Türkis hier Bilanzreden halten. (Beifall und Bravoruf bei der SPÖ.)

Ich kann es schon verstehen, denn der Kitt der Koalition ist ein bisschen mürbe ge­worden. Herr Bundeskanzler, es ist gut so, dass wir uns heute hier zu einer ausführlichen Diskussion einfinden. Die Kritik daran, dass wir extra dafür hier zusammenkommen, teile ich nicht. Sie sehen aber auch, dass das Angebot Ihrerseits, im Bundesrat diese wirklich substanzielle Regierungsumbildung zu diskutieren, eigentlich unannehmbar war, und somit hatten Sie heute eine sehr, sehr große Chance.

Ein Kanzler führt eine Regierung und führt das Land. Sie sind weder ein Schattenkanzler noch – wie soll man sagen? – eine Marionette, die zwischen zwei Perioden steht. Tatsache ist, es geht nicht nur – wie viele hier sagen – um die Unschuldsvermutung, sondern es geht auch um das Sittenbild, das der frühere Kanzler Kurz und sein eher erzwungener Rücktritt herbeigeführt haben. Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben im deutschen „Handelsblatt“ gesagt: „Das Sittenbild ist unschön und ungut“. Es ist eigentlich die moralische Frage, die hinter diesem Ganzen steht, es geht nicht nur um das Strafrechtliche, es geht auch um die moralische Frage. (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist eine Sprache, die wirklich unsäglich ist, wenn durchaus arrivierte Persönlichkeiten wie der frühere Vizekanzler Mitterlehner als „oasch“ oder die Landeshauptleute als „alte Deppen“ bezeichnet werden. Und wenn dann auch noch herauskommt, dass man den jungen Familien und den Kindern nicht für die Partei, sondern aus persönlichen und privaten Machtinteressen 1,2 Milliarden Euro stiehlt, dann ist das unerträglich! (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundeskanzler, Sie sind sehr gut beim Entschuldigen und ich nehme das auch an. Sie haben sich für einen Satz entschuldigt, den Sie zum unsäglichen Kinderleid auf Moria gesagt haben, nämlich dass Sie das „Geschrei nach Verteilung“ nicht mehr hören können. Sie haben sich dafür entschuldigt. Sie haben sich dafür entschuldigt, dass Sie die Unterlagen der NEOS-Vorsitzenden Meinl-Reisinger achtlos auf den Boden ge­wor­fen haben. Dafür haben Sie sich entschuldigt. (Bundesrat Bader: Gelegt! – Vize­kanzler Kogler: Gelegt!) – Oder gelegt, gut. Herr Kogler springt schon für Sie ein. (Vize­kanzler Kogler: Ich bin ja da gesessen! – Bundesrat Himmer: Sie sind nicht kaputtge­gangen!) Im Fernsehen hat es aber nach einem eher festeren „gelegt“ ausgesehen.

Herr Bundeskanzler, jetzt frage ich Sie aber noch etwas: Haben Sie, noch als Außen­minister oder in Ihrer neuen Funktion, eigentlich jemals die Zeit gefunden, sich bei der afghanischen Botschafterin in Wien – einer wirklich beachtenswerten Frau – für deren damalige Einberufung zu entschuldigen? – Das fehlt. Ich denke, Sie würden gut daran tun, der afghanischen Botschafterin eine Zukunft in Wien und in Österreich anzubieten, damit Sie auch hier eine qualifizierte Persönlichkeit im Umgang mit der großen afgha­nischen Community in Österreich haben. Das wäre strategisch sinnvoller, als eine Frau, die hier wirklich einen schweren Job zu erfüllen hat, auch noch durch eine solche Ein­berufung zu demütigen.

Sie sind, und viele haben das so gesehen, eine Schachfigur von Herrn Sebastian Kurz. Sie müssen sich davon lösen, eine solche zu sein, denn auf die Frage, ob er jemals in die Politik zurückkommen wird, lassen die Meinungsumfragen sowohl bei ÖVP-An­hängern und -Anhängerinnen als auch beim Rest der Bevölkerung in Österreich mut­maßen, dass das so nicht mehr geht. Wahrscheinlich wird deswegen schon heute hier im Bundesrat Wahlkampfrhetorik betrieben.

Sie müssen sich auch ein bisschen davon lösen, ständig diese Loyalitätsbekundungen gegenüber Kurz zu machen oder im Stil wie bei Ihrer Antrittsrede im Parlament zu agieren. Es fasziniert mich, dass manche diese Rede so großartig gefunden haben. Ich würde einmal sagen, dass das in der diplomatischen Sprache eher ein Fauxpas war, aber damit müssen Sie leben. Der Generalsekretär ist eigentlich nicht Ihre Form.

Herr Außenminister, wir haben uns vor vielen, vielen Jahren auf eine sehr positive Weise während Ihrer Zeit in Athen kennengelernt, wo Sie mich in einer sehr schwierigen Situ­ation gegenüber der griechischen Regierung unterstützt haben. Sie haben gesagt, dass Österreich ein zutiefst europäisches Land ist. – Ich denke, wir teilen das vielfach, aber Ihre Vorgänger Kurz und Schallenberg haben diese europäische Außenpolitik immer mehr zu den Visegrádstaaten hin gerückt. In den letzten Jahren hat man immer mehr das Gefühl gehabt, dass Österreich der geistige Kopf der Visegrádstaaten ist und immer wieder auch verharmlosend aufgetreten ist. Herr Außenminister, bitte setzen Sie Ihre Professionalität ein, vertreten Sie das, was Sie gesagt haben, und führen Sie uns wieder aus dem Kreis der Visegrádstaaten heraus zu jenen Staaten, die zutiefst im europä­ischen Rechts- und Grundwertedenken verankert sind – das ist bei den Visegrádstaaten nicht der Fall! (Beifall bei der SPÖ.)

Viele haben heute hier darüber gesprochen, wie toll all das, was hier stattfindet, ist. Ich denke, es gäbe ein paar Dinge, die Sie ganz schnell ändern könnten. Seit zwei Jahren appellieren wir hier an die Bundesregierung: Erhöhen Sie das Arbeitslosengeld! Erhöhen Sie das Arbeitslosengeld, damit die Menschen – Ihre eigenen Worte – gut und gerecht leben können! Das können sie nicht, wenn das Arbeitslosengeld dermaßen niedrig ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Zweitens: Herr Bundeskanzler, Sie sind kein Masseverwalter. Sie müssen Politik kreie­ren und gestalten, weil Masseverwalter ganz schnell in Konkursmasse kommen. Manch­mal hat man den Eindruck, dass man da eine ÖVP-Konkursmasse vor sich hat, aber Sie sind kein Masseverwalter. Sie müssen Kanzler sein! Sie müssen eine Regierung führen, auch wenn die überwiegende Mehrheit dieser Regierung eigentlich der Massegruppe zugesprochen werden muss. Es wird nicht einfach sein, aus dieser Rolle des Masse­verwalters herauszutreten.

Und vor allem: Was wir in Österreich derzeit haben, ist die absolute Verteuerung des Lebens. Das betrifft so viele Menschen, und deshalb ist es wichtig, dass diesbezüglich ganz schnell Maßnahmen gesetzt werden und dass man den Kindern und jungen Familien das, was man ihnen damals genommen hat, jetzt wieder gibt, denn jetzt brauchen sie es! (Beifall bei der SPÖ.)

Zum Schluss, Herr Bundeskanzler, wollen wir uns, nachdem so viele Feuerwehrmänner und -frauen in den letzten Wochen in Niederösterreich nahezu Unmenschliches geleistet haben, einerseits bei diesen, bei deren Familien, bei deren Arbeitgebern herzlich für die Bekämpfung der größten Feuersbrunst in einem Wald, die Österreich je erlebte, bedanken. Andererseits wollen wir Sie erinnern und alle Kollegen und Kolleginnen einladen, einen Entschließungsantrag betreffend „Einsatzkräfte von Feuerwehr, Rettung und Katastrophenhilfe im Beruf absichern!“ zu unterstützen. Bereits 2019 ist es im Be­reich der Arbeitswelt gelungen, zu erreichen, dass es Entschädigungen für Arbeitgeber gibt, wenn sie freiwillige Einsatzkräfte für deren Tätigkeiten im Katastrophenschutz in Sonderurlaub gehen lassen, sodass diese weder Urlaub noch Zeitausgleich und so weiter nehmen müssen.

Herr Bundeskanzler, wir erwarten von Ihnen, dass Sie den Arbeitsminister beauftragen, da ganz schnell einen Rechtsanspruch auf Freistellung im Katastropheneinsatz zu schaffen, der Hilfe außer Streit stellt und diese nicht von der Zustimmung der Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen abhängig macht. In diesem Sinne lege ich Ihnen folgenden Ent­schließungsantrag vor:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Einsatz­kräfte von Feuerwehr, Rettung und Katastrophenhilfe im Beruf absichern!“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Arbeit wird aufgefordert, umgehend alle notwendigen Schritte zu setzen, um einen Rechtsanspruch auf Frei­stellung für im Katastrophenschutzeinsatz stehende Einsatzkräfte zu schaffen. Zugleich ist sicherzustellen, dass für im Einsatz befindliche ehrenamtliche Einsatzkräfte, eine pauschale Abgeltung etwaiger Verdienstausfälle aus selbständiger Tätigkeit geschaffen wird.“

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Ich denke, es ist an der Zeit, diese Regelung von 2019 noch einmal klarer zu fassen. Wir bedanken uns, Herr Außenminister, auch bei jenen Staaten, die Österreich mit Lösch­hubschraubern und Löschflugzeugen geholfen haben. Das ist gelebte europäische Solidarität und Nachbarschaftssolidarität. Ich ersuche Sie, liebe Kollegen und Kollegin­nen, diesem Entschließungsantrag aus Respekt vor der Arbeit der Einsatzkräfte bei Feuerwehr, Rettung und Katastrophenhilfe zuzustimmen. – Mit bestem Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

16.20

Präsident Dr. Peter Raggl: Der von den Bundesräten Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Einsatzkräfte von Feuer­wehr, Rettung und Katastrophenhilfe im Beruf absichern!“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Des Weiteren zu Wort gemeldet ist Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser. Ich erteile dieses. (Bundesrat Hübner: Bravo!)