17.39

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Von Doris zu Doris: In diesem Fall, glaube ich, sind wir uns erfreulicherweise doch sehr einig, was nämlich die Solidaritäts­welle und das Danke betrifft.

Ich glaube, wir können uns alle noch sehr gut an das Jahr 2015 erinnern, an die riesen­große Flüchtlingsbewegung mit knapp 60 Millionen Menschen, die es damals gegeben hat und die in Wahrheit in puncto Solidarität und Zusammenhalt die erste große Zerreiß­probe für Europa dargestellt hat, weil sich viel zu viele Länder aus ihrer Verantwortung genommen haben und sich entzogen haben und andere Länder mehr oder weniger mit der gesamten Thematik alleingelassen haben.

Es war auch – und ganz besonders in Österreich – die Zivilbevölkerung, die schon damals mit so vielen Freiwilligen und Ehrenamtlichen Flüchtlinge aufgenommen hat, die sich bereit erklärten, sie zu betreuen, die sie auch bei unglaublich komplizierten und immer noch sehr langwierigen Asylverfahren unterstützten, die, wie wir ja wissen, teilweise immer noch fünf, sechs Jahre oder auch länger dauern, und die ihnen in dieser unsicheren Zeit auch emotional eine Stütze waren, ihnen Unterkünfte zur Verfügung stellten und vieles mehr.

Jetzt, sieben Jahre später, zeigt sich ein ganz ähnliches Bild, nämlich seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine Ende Februar. Es gibt Transporte mit Hilfsgütern wie Lebens­mitteln, Hygieneartikeln, Medikamenten, ja sogar Pflegebetten, die in die Ukraine trans­portiert werden. Ich darf exemplarisch und stellvertretend die Volkshilfe nennen, die immer wieder mit Hilfskonvois direkt in die Ukraine unterwegs ist und inzwischen viele, viele Hundert Tonnen an Hilfsgütern dorthin bringen konnte, wo sie vor Ort in der Ukraine wirklich benötigt werden, die auch Quartiere für die Vertriebenen aus der Ukraine sucht und zur Verfügung stellt. Es gibt Hilfsaktionen der Bundesländer, wie zum Beispiel auch der Stadt Wien oder des Landes Niederösterreich, und viele weitere Initiativen. Also es ist wirklich großartig, was sich da alles getan hat. Wie gesagt: Da sind wir uns erfreu­licherweise einig.

Auch von meiner Seite gilt es, einmal mehr ein großes Danke zu sagen. Ich glaube, darauf, dass so viele Bürgerinnen und Bürger, so viele Vereine und Organisationen wirklich ohne zu zögern Hilfe leisten, wo es notwendig ist, und so ein unglaubliches soziales Engagement zeigen, kann Österreich wirklich zu Recht stolz sein. Vielen Dank dafür auch seitens der Sozialdemokratie. (Beifall bei der SPÖ.)

Wie bedeutend dieses Engagement ist, zeigt sich besonders im Lichte des gestrigen Internationalen Tages des Kindes. Wir müssen uns, glaube ich, immer wieder vor Augen führen, was diese Kriegssituation für Kinder bedeutet, mit welcher humanitären Kata­strophe es Europa da in Wahrheit zu tun hat. Über fünf Millionen Kinder sind inzwischen auf humanitäre Hilfe angewiesen: jene innerhalb der Ukraine, aber auch jene, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Wir entnehmen es auch täglich den Medien: Täglich werden weitere Gesund­heitsein­richtungen, Bildungseinrichtungen zerstört. Es herrscht jetzt seit knapp 100 Tagen Krieg, und ein Waffenstillstand, ein Einlenken Russlands scheint nicht in Sicht und noch in weiter, weiter Ferne zu sein. Insofern, ja, können auch wir dem vorliegenden Gesetz­entwurf zustimmen und da mitgehen. Das Gesetz sieht ja in Zukunft unter anderem auch den Begriff der Vertriebenen vor und schließt damit in Wahrheit eine gesetzliche Lücke, damit jenen Personen notwendige Integrationsangebote zugutekommen können. Das geschieht aus meiner Sicht sehr spät, muss ich sagen, wenn ich die letzten Jahre Revue passieren lasse, aber besser spät als nie.

Im Gesetz heißt es, es soll ein rasches Erreichen der Selbsterhaltungsfähigkeit ermög­licht werden: durch – ja, wir haben es schon gehört – den Besuch von Sprachkursen auf den unterschiedlichsten Niveaus, durch Orientierungskurse, in denen der Arbeitsmarkt, das Bildungssystem und auch der Alltag in Österreich erklärt werden.

Es muss natürlich auch im Interesse Österreichs sein, wenn Fachkräfte, in diesem Fall besonders viele Frauen, nach Österreich kommen, die natürlich – zum Beispiel im Pflegebereich – ganz dringend gebraucht werden. Wir haben das heute schon gehört. Daher können wir da eindeutig unsere Zustimmung geben.

Noch kurz zum Austausch mit den Experten im Ausschuss: Wir haben ja die aktuellen Zahlen gehört. Inzwischen sind fast 11 000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine in Österreichs Schulen aktiv, und die Tendenz ist, wie wir gehört haben, weiter steigend. Das bedeutet natürlich tagtäglich neue und zusätzliche Herausforderungen an den Schulen, und da braucht es aus meiner Sicht ganz dringend zusätzliche Ressourcen. Ich meine damit nicht nur zusätzliche Lehrkräfte, die, wie wir ja wissen, schon im normalen Schulbetrieb quasi zur Mangelware geworden sind. In manchen Bundes­ländern, eigentlich in fast allen, sucht man inzwischen händeringend nach Pädago­gin­nen und Pädagogen. Man muss vielfach schon auf in Ausbildung befindliche Leh­rerInnen, also auf Studierende, zurückgreifen.

Also LehrerInnen sind das eine, aber – und das muss ich schon sehr betonen – jetzt gibt es auch noch einen ganz eklatanten zusätzlichen Bedarf an SchulpsychologInnen, an SchulsozialarbeiterInnen, denn zusätzlich zu alldem, was nach den letzten zweieinhalb Jahren Pandemie bei vielen Jugendlichen jetzt aufzuarbeiten ist, brauchen natürlich auch die vertriebenen Kinder, die ja völlig aus ihrem Alltag herausgerissen wurden, die vielleicht traumatisierende Ereignisse erlebt haben, Hilfe, um all dieses Erlebte zu verarbeiten, um sich in der neuen Umgebung in Österreich zurechtzufinden.

Wir haben im Ausschuss gehört, die Planungen für den Herbst laufen. Das ist so weit einmal positiv. Mir ist natürlich klar, dass wir auch, was den Krieg betrifft, nur schwer in die Zukunft blicken können. Dennoch hoffe ich sehr, dass tatsächlich nachhaltig Res­sourcen geschaffen werden. Ich bin da optimistisch und hoffe wirklich auch auf ent­sprechende überparteiliche Zusammenarbeit, denn ich glaube, die Bildung braucht das. Nicht nur ukrainische Kinder, sondern auch alle anderen brauchen das.

Lassen Sie mich abschließend noch auf eines eingehen, weil es für mich einfach wirklich unverständlich ist und es bei der Thematik der Integration einfach dazugehört, nämlich auf die Abschiebungen, die ja immer wieder, besonders seit Innenminister Nehammer, passieren, bei denen Minderjährige, Kinder, die in Österreich aufgewachsen sind, zur Schule gegangen sind, Freunde gefunden haben, wirklich völlig unverhältnismäßig unter größtem Polizeieinsatz der Wega in Nacht- und Nebelaktionen abgeschoben wurden!

Denken wir zum Beispiel an die 13-jährige Tina, die ja inzwischen erfreulicherweise ein Schülervisum erhalten hat und trotz aller widrigen Umstände, die sie erfahren hat, wieder gerne zurück in Österreich ist und gerne wieder zurückkommt! Ihre Abschiebung wurde ja vom Bundesverwaltungsgericht erst vor Kurzem für rechtswidrig erklärt. Das muss man sich eigentlich auf der Zunge zergehen lassen: rechtswidrig.

Jetzt sollte man denken, beim Innenministerium kehrt inzwischen ein gewisses Fehler­bewusstsein ein, sodass man sich vielleicht sogar beim betroffenen Mädchen ent­schuldigt – aber mitnichten. (Zwischenruf des Bundesrates Preineder.) Aus dem Bun­desamt für Fremdenwesen und Asyl widerspricht man dem Urteil des Bundesverwal­tungsgerichts sogar und sagt, dieses Urteil sei zu kinderrechtsfreundlich – ich zitiere das.

Also das ist zu kinderrechtsfreundlich, und was die Kindeswohlkommission sagt, ist auch wurscht?, muss ich jetzt einmal fragend da hinstellen, oder anders, in jugendlicher Sprache, gesagt: Geht’s noch? Für mich ist das wirklich völlig unverständlich. Das geschieht in einem Land wie Österreich. Das muss man sich wirklich einmal vorstellen.

Ich helfe der Regierung da gerne. Sollte sie es nicht mehr wissen: Kinder haben ein Recht, in Frieden und Sicherheit zu leben. Kinder haben das Recht darauf, dass ihr Kindeswohl berücksichtigt wird. (Beifall bei der SPÖ.) Wenn das in einem Land, aus dem sie geflohen sind, nicht der Fall ist, dann muss diesen Kindern Schutz in Österreich gewährt werden. Ich appelliere da wirklich auch an die Frau Ministerin – sie ist zwar jetzt nicht da, aber ich bin mir sicher, Sie werden ihr das ausrichten (Zwischenruf der Bundesrätin Schartel) –, dafür zu sorgen und sich dafür einzusetzen, dass Kinderrechte in Österreich nicht derartig mit Füßen getreten werden, wie das jetzt durch das BFA der Fall war. Ich glaube, Kinderrechte sollten in Österreich eine Selbstverständlichkeit sein, und ich hoffe diesbezüglich wirklich auf eine Änderung. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Lackner.)

17.48

Vizepräsidentin Sonja Zwazl: Ich begrüße Bundesminister Mag. Norbert Totschnig recht herzlich. (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesrätin Kittl.)

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross. – Bitte.