12.45

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren Bundesräte! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Eingangs wollte ich eigentlich der amtierenden Präsidentin des Bundesrates ganz herzlich zum heutigen Geburtstag und auch zur erfolgreichen Amtsführung gratulieren. Sie hat gerade den Saal verlassen, aber vielleicht hört sie es auch draußen.

Zum Zweiten darf ich mich dem anschließen, was Frau Bundesrätin Gitschthaler gerade gesagt hat. Ich finde es schön, dass wir auch im Bundesrat über Europa sprechen, insbe­sondere über die Konferenz zur Zukunft Europas.

Es steht in der Tagesordnung so schön: Bericht über das endgültige Ergebnis. Dazu möchte ich gleich einmal sagen: Endgültig ist da noch gar nichts. Wir müssen unser Europa der Zukunft jetzt einfach formen.

Ich finde es fast ein bisschen schade, dass nach der zugegeben sehr anstrengenden Debatte zur Teuerung und zum Antiteuerungsgesetz so viele den Saal verlassen haben (Bundesrätin Grimling: Nicht unsere Schuld! – Bundesrat Schennach: Brunner ist schuld! – Zwischenruf des Bundesrates Steiner), aber vielleicht kann man das sozu­sagen dann auch weitergeben.

Ich habe mich auch ganz bewusst am Beginn gemeldet – es wird mir dann möglicher­weise auch die Möglichkeit geboten, noch einmal auf das zu reagieren, was von Ihrer Seite kommt, aber ich darf Ihnen jetzt ein bisschen einen Überblick geben, warum und wieso die Zukunftskonferenz entstanden ist.

Die Zukunftskonferenz ist nach einer Idee von Emmanuel Macron anlässlich seiner großen Rede an der Sorbonne zur Initiative Europas entstanden – das war im Jahr 2017. Sie wurde von Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen im Jahr 2019 aufge­griffen. Schon damals – lange bevor wir von diesen großen Umbrüchen wie Pandemie oder auch jetzt vom Krieg auf europäischem Boden gesprochen haben – war die Idee, die Bürgerinnen und Bürger Europas einzubeziehen, zu fragen, wie sie sich denn das Europa der Zukunft vorstellen.

Diesen Prozess hat man sehr breit angelegt. Leider, muss man sagen, haben wir pande­miebedingt auf europäischer Ebene ein Jahr sozusagen verloren. Die Zukunftskonferenz hätte am 9. Mai 2020 starten sollen, sie ist am 9. Mai 2021 gestartet worden.

Ich darf aber auch dazusagen, dass ich in Österreich diese Konferenz zur Zukunft Euro­pas schon im Juni 2020 gestartet habe und wir sozusagen ein Jahr herausgeholt haben, um die Bürgerinnen und Bürger zu befragen, sie einzubinden, mit ihnen zu diskutieren. Ich war vom Burgenland bis Vorarlberg unterwegs. Ich habe auf Gemeindeebene Dis­kussionen geführt, mit SchülerInnen, mit StudentInnen. Ich habe einmal im Monat eine Onlinesprechstunde gemacht, um beratend zur Seite zu stehen.

Denken Sie zurück: Wir haben im Juli 2020 das größte Budget aller Zeiten beschlossen. Auch das ist etwas, wo man Europa einfach näherbringen muss und wo man versuchen muss, die Informationen dorthin zu bringen, wohin sie gehören, und auf der anderen Seite auch die Wünsche abzuholen.

Ich habe Ihnen auch den Aktivitätenbericht der Zukunftskonferenz in Österreich mitge­bracht – Sie alle haben ihn zugeschickt bekommen –, und ich darf darauf hinweisen, dass das nur ein kleiner Ausschnitt der Veranstaltungen ist, die abgehalten worden sind.

Ich möchte mich an dieser Stelle auch wirklich bei jedem und bei jeder dafür bedanken, dass die Beteiligung stattgefunden hat, dass Initiativen gegründet worden sind, dass im Chatroom, am Stammtisch, überall über Europa diskutiert worden ist. Wir werden das aufnehmen und ernst nehmen und wir tun das bereits auf europäischer Ebene.

Ich habe von Umbrüchen gesprochen, und ich habe davon gesprochen, dass die Kon­ferenz der Zukunft schon davor ausgerufen wurde. Jetzt ist es wichtiger denn je, das Europa der Zukunft für uns alle zu formen.

Den Österreicherinnen und Österreichern ist das ein großes Anliegen, das zeigt sich allein an den Beiträgen – über 1 400 –, die auf der multimedialen und auch multilingualen Plattform der Kommission eingegangen sind. Da sind substanzielle Vorschläge dabei – Sie können es auch nachlesen –, da sind Dinge dabei, die vielleicht auch Vertrags­änderungen nach sich ziehen müssten. Das sind Dinge, die man sich natürlich auch politisch gut anschauen muss, aber ich bin stolz darauf, dass sich Österreich da so intensiv beteiligt hat.

Ich muss aber nach mehr als zwei Jahren als Europaministerin auch einen durchaus beunruhigenden Befund stellen, denn wir haben ein Europa vor uns, das unter Druck ist. Der European Way of Life, den wir alle so lieben und schätzen, ist in Gefahr. Wir sind gefordert, unsere Werte jetzt aufrechtzuerhalten, einfach dafür einzutreten und sie auch zu exportieren.

Wir haben bereits vor der Pandemie erlebt, dass uns das Streben Chinas nach der Vormacht in der Welt unter Druck bringt. Wir haben erlebt, was die Globalisierung an negativen Folgen zeitigt, wenn wir an die Pandemie zurückdenken. Oder denken Sie an die Rohstoffknappheit, an die Innovation, die wir brauchen, wenn wir klimaneutral werden wollen und die nächsten Generationen absichern wollen. Und wir erleben natürlich auch diesen unglaublich aggressiven Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der uns alle vor noch nie dagewesene Herausforderungen stellt. – So weit der beunruhi­gende Befund.

Die gute Nachricht ist aber, dass Europa seine Stärke dem entgegenhalten kann. Ich sage Ihnen, ich überblicke die Europapolitik mittlerweile seit etlichen Jahren sozusagen aus erster Reihe, ich habe die Ratspräsidentschaft Österreichs erlebt, und noch nie zuvor habe ich solch eine Geschlossenheit innerhalb der Europäischen Union erlebt wie jetzt.

Das heißt nicht, dass wir nicht diskutieren hinter den Kulissen. Das heißt nicht, dass es da emotionslos abgeht. Das heißt nicht, dass es nicht schwierig ist, Lösungen zu finden, aber diese Lösungen werden gesucht, intensiv gesucht, und auch gefunden, und dann wird die Einigkeit nach außen präsentiert. Und genau das ist das, was uns zu einer globalen Macht in der Welt macht, und das ist das, was wir auch in Zukunft aufrecht­erhalten müssen.

Ganz konkret, weil ich versuchen möchte, auch auf Ergebnisse einzugehen, möchte ich Ihnen hier drei Punkte präsentieren, die man aus den vielen, vielen Beiträgen, die wir bekommen haben, ableiten kann.

Es sind drei Dinge zu tun: Wir müssen die geopolitischen Interessen der Europäischen Union wieder voranstellen; das ist der erste Punkt, ich komme noch darauf zurück.

Wir müssen uns rückbesinnen auf die Wirtschaftsmacht der Europäischen Union. Un­sere Stärke ist der Binnenmarkt, den wir endlich auch vollenden müssen.

Und der dritte Punkt: Wir müssen die Institutionen der Europäischen Union stärken, damit wir im Inneren stark sind und das auch nach außen tragen können.

Was meine ich ganz konkret damit? – Der Außengrenzschutz ist ein Thema, das uns weiter beschäftigen muss. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch schauen, dass wir legale Migration nach Europa ermöglichen. Denken Sie nur daran, wie viele hoch­qualifizierte Russinnen und Russen derzeit ihr Land verlassen! Die dürfen wir nicht nach Amerika verlieren.

Wir müssen für die Stabilität und Sicherheit Europas sorgen, indem wir die Westbalkan­staaten endlich heranführen und unsere Versprechen einlösen. Da bin ich sehr kritisch gegenüber der Europäischen Union, auch nach dem letzten Europäischen Rat, bei dem es aufgrund der Initiative von Bundeskanzler Karl Nehammer gelungen ist, Bosnien-Herzegowina auch in die Debatte zu bringen, wenn wir vom Kandidatenstatus für die Ukraine und die Republik Moldau reden.

Das sind Dinge, die unsere Sicherheit absichern. Ich weiß, dass es manchmal nicht einfach ist, das den Menschen zu erklären, weil manches Mal die Sorge im Vordergrund ist, es könnten da weitere Nettoempfänger in die EU aufgenommen werden. Ja, im Moment schaut es so aus, aber das ist das, was uns als Sicherheitspuffer für die Zukunft Stabilität und Frieden auch auf dem Westbalkan und damit in Europa garantiert.

Selbstverständlich sehen wir seit dem Angriffskrieg, dass es nicht angenehm ist, von Rohstoffen aus dem Osten, insbesondere aus Russland, abhängig zu sein. (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.) Da müssen wir ansetzen und noch schneller sein, um einfach unabhängiger zu werden, um eine Diversifizierung der Energiequellen auf den Weg zu bringen. Das sind nur einige Punkte, die unter den Punkt Vormachtstellung und Voranstellen der geopolitischen Interessen der EU fallen.

Der zweite Punkt, ich komme noch einmal darauf zurück, ist die Rückbesinnung auf die Wirtschaftsmacht der Europäischen Union. Sie wurde ursprünglich gegründet, damit man Krieg vermeidet, damit man miteinander Wirtschaft treibt und das Ganze friedlich macht. Jetzt aber ist es an der Zeit, das Wettbewerbsrecht auf die Höhe des 21. Jahr­hunderts zu bringen.

Dabei sage ich ganz klar: Es war richtig, dass wir in der Krise die AUA unterstützt haben, um nicht langfristig von asiatischen Fluglinien abhängig zu sein. (Bundesrat Schennach: Aber die Kündigungen hat es nicht verhindert!)

Wir sollten uns auch darauf einigen, dass wir Gold Plating verhindern, damit wir nicht weitere Hürden im Binnenmarkt aufbauen, damit die Unternehmerinnen und Unter­neh­mer, die innovativ und kreativ sind und das heuer auch während der Pandemie bewiesen haben, sich nicht an 27 Einzelvorschriften halten müssen, sondern einfach einen Bin­nenmarkt vor sich haben, der sozusagen barrierefrei ist.

Wir brauchen mehr Flexibilisierung für den Arbeitsmarkt. Stellen Sie sich vor, Sie leben im Salzburger Lungau und arbeiten für eine belgische Firma. (Zwischenruf der Bun­desrätin Steiner-Wieser.) Ja, theoretisch ist das insbesondere nach der Pandemie möglich, aber praktisch haben Sie sehr viele bürokratische Hürden zu überwinden. Auch da gilt es Vereinfachung herzustellen, damit wir eben hier flexibler werden, besser sind und die besten Köpfe auch dorthin bringen, wo sie gefragt sind. 

Der dritte Punkt ist die nachhaltige Stärkung der europäischen Institutionen. Ich halte es für wichtig, dass es 27 Kommissarinnen und Kommissare gibt, damit auch ein Bezug zu den Ländern, zu den einzelnen Mitgliedstaaten gegeben ist.

Mich hat einmal jemand kritisch gefragt: Wissen Sie, wer aus Belgien der Kommissar ist? – Ich weiß es natürlich schon. Vielleicht weiß es nicht jeder, das ist aber auch nicht weiter tragisch, wichtig ist, dass man weiß, dass jeder Mitgliedstaat in der Kommission vertreten ist. Ich fürchte, dass wir uns keine Sorgen darüber machen müssen, dass irgendjemand zu wenig Arbeit hat, in Anbetracht der vielen Krisen, die es auch in Zukunft zu bewältigen gilt.

Ein Thema ist mir auch ganz wesentlich, wenn es um Stabilität der Institutionen geht, und das ist die Rechtsstaatlichkeit. Unsere gemeinsame Zusammenarbeit fußt auf drei Dingen: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte. Darauf müssen wir uns verlassen können. Deshalb trete ich massiv dafür ein, dass wir den Rechts­staatlich­keitsmechanismus, den wir jetzt entwickelt haben, auch in den Verträgen tatsächlich verankern. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Das Artikel-7-Verfahren ist nämlich eines, das aus meiner Sicht, wenn man es legistisch ausdrücken will, eine Lex imperfecta ist. Ich finde, dass wir da irgendwann einmal raus­kommen müssen, nämlich hin zu einem Best-Practice-Modell, zu einem Voneinander-Lernen statt Blaming and Shaming. Aber wenn hier Probleme sind, dann gilt es auch tatsächlich durchzugreifen und auch Gelder nicht zur Auszahlung zu bringen, wenn Staaten den Weg der Rechtsstaatlichkeit verlassen.

All das klingt jetzt relativ komplex, das gebe ich zu, und wir alle sind gefordert, das den Menschen auch zu vermitteln, auch was wir aus den Ergebnissen herausziehen. Der beste Weg, das zu tun, ist aus meiner Sicht die Installation von Europagemeinderätinnen und -räten in jeder einzelnen Gemeinde Österreichs.

Mit Stolz sage ich Ihnen, dass wir schon über 1 500 Europagemeinderätinnen und -räte haben, die großes Engagement an den Tag legen, die von uns mit Newslettern und einem viermal im Jahr erscheinenden Magazin versorgt werden, mit denen ich Sprech­stunden abhalte, denen ich auch das direkte Angebot der Information mache, etwa wenn es darum geht, Fördergelder abzuholen; und das ist es, wie dieses komplexe, von außen manchmal sehr bürokratisch wirkende Gebilde der Europäischen Union direkt bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt.

Machen Sie Werbung dafür! Sprechen Sie auch in Ihrer Gemeinde über diese Möglich­keit, und motivieren Sie unsere Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, die EU dorthin zu bringen, wo sie beginnt: Sie ist nicht in Straßburg, sie ist nicht in Brüssel, sie ist dort, wo die Menschen Antworten suchen und erwarten.

Sehr geehrte Bundesrätinnen und Bundesräte, ich möchte mit Folgendem schließen (Bun­desrätin Grimling: Es ist gleich 13 Uhr, das Fernsehen ist vorbei! – Zwischenruf des Bundesrates Bader): Was Sie sagen und transportieren müssen, ist: Die Euro­päische Union ist in den letzten Jahrzehnten der Garant für Frieden, Freiheit, Stabilität und Menschenrechte gewesen. Die Europäische Union wird aber nicht an ihrer Geschichte gemessen werden, sondern an der Fähigkeit, Lösungen auf die Fragen der Gegenwart zu finden und auch Antworten auf die Fragen der Zukunft zu geben. Das ist es, was uns als Politikerinnen und Politiker motivieren sollte.

Ich möchte abschließend noch einmal darauf hinweisen, dass es diesen Aktivitäten­bericht gibt, und es lohnt sich, in diesen einmal hineinzuschauen. Ich möchte auch allen Zuseherinnen und Zusehern sagen: Wenn Interesse besteht, wir haben auch einige Exemplare. (Bundesrätin Grimling: Gute Werbung gemacht!)

Es lebe eine wirklich starke Europäische Union, die aufgebaut ist auf dem, was die Bürgerinnen und Bürger von ihr erwarten! – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

12.58

Vizepräsidentin Sonja Zwazl: Bevor ich unseren Kollegen Markus Leinfellner um seine Ausführungen bitte, begrüße ich recht herzlich die neue Gruppe auf der Galerie. Herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall. – Bundesrätin Grimling: Die sieht man nicht! – Bun­desrätin Grossmann: Liebe anonyme Gruppe!)

Bitte, Herr Kollege.