17.09
Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ, Steiermark): Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Democracy Report 2022 müsste wirklich alle Alarmglocken, dass etwas im Staate Österreich nicht stimmt, läuten lassen. Das ist der ÖVP natürlich sehr unangenehm, und da ist es eine bewährte Strategie, dass man diese Studien dann einfach in Zweifel zieht. Sie werden schlechtgemacht, Fakten und auch die dahinterstehenden Personen werden hinterfragt.
Also diese Strategie kennen wir schon, aber – Kollege Arlamovsky hat es schon ausgeführt – es ist nicht der einzige Befund, der für Österreich gestellt wird und der hier ein negatives Ergebnis zeigt. Wir fallen ja überall zurück: In den Korruptionsindizes, beim Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU oder auch, wenn es um den Befund der Pressefreiheit geht – überall fällt Österreich zurück, seit die ÖVP die Regierungsspitze stellt. Das zieht sich jetzt schon durch. (Bundesrat Schennach: So ist das, tragisch, tragisch!)
Es ist nicht nur so, dass das durch Studien und internationale Vergleiche festgestellt wird – wir als Opposition machen regelmäßig darauf aufmerksam –, sondern die Menschen spüren das auch. Schauen Sie sich die Vertrauensindizes, die Vertrauenswerte der Regierungsmitglieder an! Die Menschen verlieren insgesamt das Vertrauen in die Politik, und das ist demokratiepolitisch ganz, ganz gefährlich, brandgefährlich.
Auch angesichts all der Äußerungen, die heute gefallen sind, die wir uns anhören mussten, fällt das Vertrauen immer mehr zurück, und das muss uns allen große Sorgen bereiten (Beifall bei der SPÖ) und da sind wir alle wirklich in höchstem Maße gefordert.
Und wenn nun gerade zu dieser Kernaufgabe der Politik, zum Zustand der Demokratie, eine Anfrage gestellt wird und die Spitze der Bundesregierung bestehend aus Bundeskanzler und Vizekanzler sich einfach für unzuständig erklärt – es geht sie einfach nichts an, wie es um die Demokratie in diesem Staat bestellt ist –, ja was sollen denn die Menschen dann davon halten? Also in Wahrheit ist das ein Skandal, denn das ist Chefsache!
Jetzt ist die Frau Staatssekretärin hierher entsandt worden, hier Rede und Antwort zu stehen. Sie bemüht sich auch sichtlich, aber das ist Chefsache. – Es ehrt Sie sehr, dass Sie da sind und Sie machen da Ihren Job, aber das ist wirklich ein Grundproblem, wenn Österreich hier zurückfällt – mit anderen Staaten gemeinsam, von denen wir wissen, dass da sehr vieles im Argen liegt: mit Ghana, Trinidad und vielen anderen Staaten – auf ein Niveau, das man nicht mehr als liberale Demokratie bezeichnen kann, sondern eben als Wahldemokratie.
Wir lernen das – in politischer Bildung und wo auch immer sollte man das gelernt haben –: Demokratie ist mehr als nur eine Mehrheitsentscheidung, Demokratie ist eine Haltung. Demokratie, das sind Werte, das sind Prinzipien wie eben Rechtsstaatlichkeit, das ist vor allem politische Kultur (Bundesrat Schennach: Ja, aber die ist verloren bei der ÖVP!), das ist die Kultur des Miteinanders, die Akzeptanz des Andersdenkenden. Da geht es auch darum, wie man zu Entscheidungen kommt, da geht es um Meinungsaustausch, um Respekt voreinander. Das sind natürlich auch die Kontrollrechte, die Rechte der Opposition, und wenn nun mit Oppositionsrecht, dem Interpellationsrecht so umgegangen wird, dann ist das ein Skandal und dann ist es natürlich klar, dass das auch in entsprechenden Berichten festgestellt wird.
Wir müssen das eben leider feststellen – ich habe es schon angeführt –, seit die ÖVP vor allem die Regierungsspitze stellt. Dabei können wir uns noch an Slogans erinnern, mit denen Sie beispielsweise bei einer Präsidentschaftswahl hausieren gegangen sind: „Macht braucht Kontrolle“, hat es da einmal geheißen – und wie sieht denn das jetzt aus?
Das passiert alles mit Duldung der jeweiligen Koalitionspartner. Einmal war es die FPÖ – da war es, muss man schon auch dazusagen, wirklich am allerärgsten (Bundesrat Steiner: Was?!), da sind die meisten Gesetze wegen Verfassungswidrigkeit im Nachhinein aufgehoben worden –, aber man muss auch sagen, mit den Grünen – es tut mir leid, auch wenn heute einige selbstkritische Geständnisse vom Klubobmann gekommen sind – ist es nicht viel besser geworden. (Bundesrat Schreuder: Es waren keine Geständnisse!)
Da sind Sie übrigens Ihren Prinzipien untreu geworden. Ihre Fraktion hat sich immer gerühmt, Hüterin von Demokratie und Rechtstaatlichkeit zu sein, und sich entsprechend inszeniert. Wir können uns noch an den Slogan erinnern: „Wen würde der Anstand wählen?“ – Also sicherlich nicht das, was Sie hier mit Ihrer Regierungsbeteiligung mit unterstützen.
Wir erleben immer wieder Fälle, die einen einfach aufrütteln, Angriffe auf rechtstaatliche Institutionen durch den Regierungschef. Zum Beispiel hat der jetzige Bundeskanzler und ehemalige Innenminister Karl Nehammer nach dem wirklich mehr als schrecklichen Terroranschlag in Wien nichts Besseres zu tun gehabt, als die Justiz zu attackieren, anstatt eigene Ermittlungsfehler im Innenministerium einzugestehen.
Eine Flut von Skandalen erschüttert unser Land eigentlich am laufenden Band. Diesen Befund hat auch – weil heute schon Gastkommentare zitiert worden sind – Hans Rauscher gestellt und gemeint: „eine Flut von Skandalen [...]. Der Machtanspruch der türkisen ÖVP, nur ja jede Verwaltungsposition bis zur Bezirksebene zu besetzen, aber auch die Justiz zu dominieren und zu instrumentalisieren [...] lässt den Staat ziemlich verrottet aussehen.“ – So eben der Kommentar in den Medien, also jetzt nicht nur von Vertreterinnen und Vertretern der Oppositionsparteien.
Frau Staatssekretärin, da Sie ja auch JVP-Funktionärin sind oder waren: Ein ausgetretener JVP-Funktionär hat in den Medien mitgeteilt, was ihn tatsächlich zum Austritt bewogen hat: „Dieses bauernschlaue Denken, den unmittelbaren Vorteil persönlich zu verfolgen und nicht mittel- und langfristig zu denken, ist heute eine Krankheit des Konservatismus.“ (Bundesrat Preineder: Also Bauern denken langfristig, Frau Kollegin! Das sollten Sie wissen! – Zwischenrufe bei der SPÖ.) Das sagt ein ausgetretener JVP-Funktionär in Richtung seiner ehemaligen Partei. Das kommt in der Bevölkerung und auch in Ihrer Parteibasis an, dass da einfach vieles nicht stimmt.
Wenn parlamentarische Kontrollrechte immer mehr ausgehöhlt werden, dann kann uns das keineswegs egal sein, dann ist auch für uns als Opposition akuter Handlungsbedarf gegeben. Deshalb stelle ich den
Antrag
gemäß § 60 Abs. 6 GO-BR
der BundesrätInnen Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen, eingebracht im Zuge der Besprechung der schriftlichen Anfrage am 29. Juni 2022
Die unterfertigten Bundesrätinnen und Bundesräte stellen den Antrag:
„Die der Besprechung zu Grunde liegende Anfragebeantwortung 3715/AB-BR/2022 des Bundeskanzlers gem. § 60 Abs. 6 der Geschäftsordnung des Bundesrates nicht zur Kenntnis zu nehmen.“
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Werte Frau Staatssekretärin, Sie haben heute auch die Wahlaltersenkung angesprochen. Das war ursprünglich mein Verhandlungsgegenstand vor vielen Jahren im Nationalrat. Ich habe damals mit den Mitstreiterinnen und Mitstreitern aus allen Fraktionen eindeutig gesagt: Das muss begleitet werden von Maßnahmen zur politischen Bildung. Im Zuge dessen haben wir dann auch den Prototyp für die Demokratiewerkstatt entworfen, um gerade den jungen Menschen die Mechanismen der Demokratie und der Willensbildung näherzubringen.
Da würde ich Ihnen – zusammen mit den übrigen Mitgliedern der Bundesregierung – einen Besuch in der Demokratiewerkstatt des Parlaments empfehlen, aber nicht als Vortragende, sondern als Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Dort können Sie nämlich wirklich einiges darüber lernen, wie Demokratie funktionieren sollte. Da ist der Lernbedarf noch sehr groß. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)
17.19
Vizepräsidentin Sonja Zwazl: Der von den Bundesräten Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Antrag auf Nichtkenntnisnahme der Anfragebeantwortung ist genügend unterstützt und steht mit in Verhandlung.
Zu Wort gemeldet ist Christoph Steiner. – Christoph, ich mache dich darauf aufmerksam: Deine Redezeit darf jetzt nur 5 Minuten sein. Bitte.