15.36

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Geschätz­ter Herr Minister! (Bundesrätin Grimling: Ah, ist das angenehm!) Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen! Ich weiß gar nicht, warum sich die FPÖ da immer so lautstark präsentiert, der ORF ist ohnehin schon weg. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.) – Von wegen Schauspiel und Theater: Das Theater hättet ihr vorher machen müssen – aber ist eh nicht mein Problem.

Ich würde mich ganz gerne zu Tagesordnungspunkt - - (Zwischenruf des Bundesrates Ofner.) – Ja, meldet euch dann nachher noch einmal, wenn ihr Lust habt, jetzt bin ich dran und jetzt wäre es vielleicht an der Zeit, einmal aktiv zuzuhören, damit man gege­benenfalls sachlich und inhaltlich richtig darüber reflektieren kann. – Vielen Dank.

Ich habe mich zu Tagesordnungspunkt 7 gemeldet und bringe dazu auch einen Ent­schließungsantrag meiner Fraktion ein – einen Entschließungsantrag, der für mich per­sönlich auch ganz wichtig ist, der aber, wie ich meine, auch ganz besonders wichtig ist, weil es um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen geht. Es ist dies ein Antrag, der aus meiner Sicht eigentlich aufgrund seiner Dringlichkeit, würde ich mei­nen, einstimmig angenommen werden muss, wenn wir hier im Bundesrat die Problematik auch tatsächlich ernst nehmen.

Erst vor wenigen Tagen sind ja wieder aktuelle Zahlen diverser Studien, zum Beispiel von der Donau-Universität Krems, durch alle Medien gegangen, wie es um die psychi­sche Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Österreich bestellt ist. Geschätzte Damen und Herren, es ist besorgniserregend, um nicht zu sagen: erschreckend.

Kurz zusammengefasst kann man sagen, Österreichs Jugendliche machen sich Sorgen. Sie machen sich große Sorgen um sich selbst, um ihre Zukunft, um ihre Chancen und Möglichkeiten und auch um jene ihrer Eltern, Geschwister, Freunde und vieles mehr.

Ein paar Zahlen, die man wirken lassen muss, glaube ich: Mehr als jeder zweite Jugend­liche, nämlich 55 Prozent, ab 14 Jahren weist depressive Symptome auf. (Bundesrat Of­ner: Ja, wegen euch!) 47 Prozent zeigen immer wieder auch Angstsymptome. (Zwi­schenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.) Fast jeder vierte leidet zumindest phasen­weise auch an Schlafstörungen und Schlaflosigkeit. Bei 60 Prozent hat sich ein gestörtes Essverhalten manifestiert. Und eine Zahl, die mich persönlich wirklich sprachlos macht und die man wirklich sacken lassen muss: 16 Prozent aller Jugendlichen ab 14 Jahren haben entweder täglich oder an mehr als der Hälfte der Tage suizidale Gedanken. (Bun­desrat Steiner: Ihr wart dabei ...!) Lauter Zahlen und Fakten, die man ernst nehmen muss, die wir hier als politische Vertreterinnen und Vertreter ernst nehmen müssen.

Ja, das ist zu einem gewissen Teil und bis zu einem gewissen Grad sicher auch der Covid-Pandemie mit all ihren Herausforderungen und auch Verunsicherungen geschul­det, die natürlich auch verstärkend für derartige Symptome war und ist, aber das allein wäre viel zu kurz gegriffen und viel zu eingeschränkt betrachtet, wenn ich das auch in Richtung der FPÖ sagen darf.

Erstens: Es hat auch schon lange vor der Covid-Krise ähnlich bedenkliche Zahlen ge­geben. Und zweitens: Aktuell geht es gleichzeitig auch um viele, viele weitere Themen, die hier eine ganz enorme Belastung für die Jugendlichen darstellen. Wir haben den Krieg in der Ukraine, die Teuerung und damit verbunden natürlich eine immense Sorge vor einer drohenden Armut. Wir haben die Klimakrise, die besonders die Jugend oftmals wirklich ohnmächtig zurücklässt, muss man sagen.

Die Frage, die sich im ganz akuten Fall stellt, ist: Wo kann einem betroffenen Jugendli­chen dann auch tatsächlich geholfen werden? Wohin wenden sich Eltern von Jugendli­chen, die von Ängsten, von Depressionen und vielem mehr betroffen sind? Bei Zahn­schmerzen geht man zum Zahnarzt, wenn man einen gebrochenen Arm hat, dann gibt es einen Gips drauf, aber was macht man bei einer psychischen Erkrankung? (Bundes­rat Steiner: Alkohol und Psychopharmaka!) Wir sehen viel zu oft, dass diese unbe­handelt oder gar unerkannt bleiben.

Die Liga für Kinder- und Jugendgesundheit ebenso wie zum Beispiel die Kinder- und Jugendanwaltschaft, die Unicef, die Volkshilfe, die Kinderfreunde und viele andere mehr weisen auch immer wieder darauf hin und bestätigen unsere Sorge und unsere Forde­rungen. Wir sehen nämlich einen ganz eklatanten Mangel an Kassenärztinnen und -ärzten im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, wo nur 37,5 von 112 Kassenstellen be­setzt sind. Das ist gerade einmal ein Drittel.

Bei den Klinikplätzen schaut es ähnlich schwierig aus – noch eine ganz beeindruckende Zahl, die man hinterfragen muss –: Für 1,73 Millionen Kinder in Österreich gibt es derzeit 400 vollstationäre Plätze und 138 Tagesklinikplätze, also viel zu wenig. Das heißt dann in der Realität, dass betroffene Jugendliche sechs bis neun Monate auf einen therapeu­tisch-diagnostischen Aufenthalt warten müssen. Dieses Warten und diese Zeitverzöge­rung verschlechtern natürlich den Zustand der Betroffenen oft dramatisch und erhöhen natürlich auch das Risiko von chronischen Leiden.

Ähnlich ist es bei den Schulpsychologinnen und -psychologen und auch bei den Schulso­zialarbeiterInnen. Derzeit stehen für über eine Million SchülerInnen gerade einmal 181 SchulpsychologInnen zur Verfügung. Ja, ich weiß, es ist eine Aufstockung im Gan­ge, aber es ist dennoch viel zu wenig und nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Dabei wäre es gerade direkt an der Schule so wichtig, auch genügend Ansprechperso­nen zu haben. Wir wissen, Jugendliche verbringen einen Großteil ihrer Zeit in der Schule, haben Lehrerinnen und Lehrer als erste Ansprechpersonen. Gerade die können erste Anzeichen oft schnell erkennen oder zumindest vermuten. So kann es unter Umständen dann auch ganz einfach schon direkt in der Schule jemanden geben, der sich das dann einmal genauer anschauen kann.

Oft – das wissen wir leider auch – braucht es auch jemand anderen, eine andere An­sprechperson, der man sich anvertrauen kann, als vielleicht die Lehrkraft, damit vielleicht schon die eine oder andere depressive Störung rechtzeitig abgefedert werden kann.

Aus diesem Grund bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Doris Hahn MEd MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Drin­gend notwendige Reformen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“

Der Bundesrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat sowie dem Bundesrat umge­hend ein umfassendes Gesetzespaket zur Verbesserung der dramatischen Situation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie vorzulegen, das im besonderen folgende Punkte ent­halten soll:

- Der rasche Ausbau der Therapie- und Betreuungsplätze in der Kinder- und Jugend­psychiatrie

- Kurzfristiger Aufbau eines aufsuchenden, mobilen, interdisziplinären Angebotes, um die fehlenden stationären Kapazitäten aufzufangen

- Eine nachhaltig massive Aufstockung des stationären Bereiches der Kinder- und Ju­gendpsychiatrie, sowie budgetäre Deckung durch den Bund im Rahmen des Finanzaus­gleichs

- Kostenfreie Therapieplätze für Kinder und Jugendliche

- Die Bekämpfung des Ärzt:innenmangels, insbesondere in der Kinder- und Jugend­psychiatrie, mit besonderem Fokus auf einen österreichweiten niederschwelligen und vor allem leistbaren Zugang zu der ärztlichen Versorgung

- Eine Ausbildungsreform im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die vor allem eine Aufstockung der Ausbildungsplätze und die Verkürzung der Ausbildungszeit nach dem Vorschlag der Fachgesellschaft beinhaltet

- Attraktivierung des Berufs der/des Kinder- und Jugendpsychiater:in durch bessere Bezahlung

- Weitere Aufstockung der Schulpsycholog:innen, Beratungslehrer:innen und Schulso­zialarbeiter:innen, mit dem Ergebnis, dass an jeder Schule mindestens ein:e Schulpsy­cholog:in mit ausreichend Beratungszeit für jeden Schüler bzw. jede Schülerin zur Ver­fügung steht.

*****

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat, die genannten Zahlen sollten uns als Politikerinnen und Politiker nicht nur zu denken geben, es sollte unser dringendster Handlungsauftrag sein, endlich für mehr Therapieplätze, für mehr stationäre Betten, für mehr Personal in diesem Bereich und für all das, was ich gerade genannt habe, zu sorgen.

Lippenbekenntnisse – ich darf da zitieren: Wir schauen uns das an – werden in diesem Fall einfach nicht reichen. Ich möchte in diesem Zusammenhang abschließend noch einmal darauf hinweisen, dass gerade wir als Bundesrat zu Recht stolz darauf sind, dass wir einen eigenen Kinderrechteausschuss haben, der in seiner Form, glaube ich, wirklich einzigartig ist – aber dann nehmen wir bitte auch die UN-Kinderrechte entsprechend ernst!

Auch wenn die Aufmerksamkeit jetzt schon ein bisschen schwindet: Jedes Kind, jeder Jugendliche hat ein Recht auf ein Höchstmaß an körperlicher und psychischer Gesund­heit, und jedes Kind hat ein Recht, dass es entsprechende Einrichtungen zur Behand­lung von Krankheiten und zur Wiederherstellung seiner Gesundheit aufsuchen kann.

In diesem Sinne darf ich Sie bitten, unserem Entschließungsantrag zu folgen und somit einen ersten Schritt zu einer dringend notwendigen Reform der Kinder- und Jugendpsy­chiatrie zu setzen. Es wäre wichtig im Sinne der Kinder und der Jugend. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

15.45

Vizepräsident Bernhard Hirczy: Der von den Bundesräten Doris Hahn, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Dringend notwendige Re­formen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ ist ausreichend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Bei uns eingetroffen ist Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Dr. Mar­tin Polaschek. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie der Bundesrätin Grossmann.)

Ich darf auch den Bürgermeister der Gemeinde Lanzenkirchen in Niederösterreich, Bern­hard Karnthaler, auf der Besuchergalerie recht herzlich begrüßen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundesrat. (Bundesrat Schennach: Aber bitte tatsäch­lich berichtigen! – Bundesrat Kornhäusl – auf dem Weg zum Rednerpult –: Absolut tat­sächlich!)