10.11
Bundesrat Dr. Johannes Hübner (FPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Landeshauptmann! Liebe Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegen! Ich bin der erste Nichtburgenländer, der an diesem Tag heute an das Pult tritt. Das liegt daran, dass wir leider keinen burgenländischen Bundesrat in unseren freiheitlichen Reihen haben. (Heiterkeit der Bundesrätin Zwazl.) Es ist aber nicht so ganz falsch, wenn ein Wiener zum Burgenland redet, weil Wien ja bekanntlich die größte burgenländische Stadt ist, zumindest nach den burgenländischen Einwohnern. Wien hat ja Chicago seit einigen Jahrzehnten abgehängt (Zwischenruf des Bundesrates Novak) und ist jetzt unzweifelhaft die größte burgenländische Stadt.
Ich brauche aber auf die burgenländischen Interna gar nicht einzugehen, denn wir haben jetzt von den Kollegen von der SPÖ und von der ÖVP beides gehört: Die SPÖ-Kollegin hat uns dargelegt, dass das Burgenland das bestverwaltete Bundesland Österreichs, Europas und der Welt ist. (Zwischenruf bei der SPÖ.) Kollege Hirczy von der ÖVP hat uns erklärt, dass im Burgenland natürlich alles schlecht ist (die Bundesrät:innen Buchmann und Zwazl: Das hat er nicht gesagt!) und die Verwaltung fast nur Fehler macht, dass alles, was gemacht wird, populistisch ist, und so weiter. Die Wirklichkeit liegt natürlich in der Mitte. Im Burgenland wird vieles richtig gemacht, es werden aber natürlich auch Fehler begangen, wie überall in der Welt.
Ich kann daher zum eigentlichen Thema dieser Aussprache und zu dem, was auch der Herr Präsident als Motto vorangestellt hat, zurückkehren: zur Sache, dass auf der einen Seite Politik dazu da ist – beziehungsweise soll Politik das machen –, die Lebenssituation der Menschen, die die Politik vertritt, zu verbessern, und dass auf der anderen Seite der Föderalismus oder die dezentrale Regierungsform, wie das der Herr Präsident und auch der Herr Landeshauptmann gesagt haben, „maßgeschneiderte Lösungen“ für die Menschen, die in einem Gebiet leben, ermöglicht und daher die beste Form der Verwaltung ist.
Ich möchte hinzufügen: Sie ermöglicht nicht nur maßgeschneiderte Lösungen, sondern die Dezentralisierung und der Föderalismus ermöglichen auch wahre Demokratie, denn je mehr dort entschieden wird, wo man lebt, je kleiner die Zahl der Menschen ist, die über ein Thema entscheiden, und je näher man zur Örtlichkeit, wo entschieden wird, ist, desto demokratischer ist es.
Da komme ich jetzt zu dem, was mich bei beiden Reden verwundert hat: dass keiner sagt, wo die Bedrohungen für diese maßgeschneiderten Lösungen herkommen. Die kommen ja nicht vom Bund – ja, sie kommen auch vom Bund, weil die österreichische zentrale Bundesverwaltung, wie jeder bürokratische Organismus, natürlich selber entscheiden will. (Bundesrat Schennach: Aber der Hübner ... Russland!) Jeder, Kollege Schennach, der irgendein Budget hat, der etwas verwalten kann, will das natürlich vergrößern, und den ärgert es, wenn irgendwelche kleinen Leute in den dezentralen Stellen, die eigentlich untergeben sind, mitreden. Das wissen wir. Deshalb gibt es in Österreich auch immer einen Kampf zwischen Föderalismus und Zentralismus, Wegnehmen von Landeskompetenzen, auf Landesebene Wegnehmen von Gemeindekompetenzen, Zentralisierung von Entscheidungen, Überwachung und dergleichen.
Das ist aber nicht das Problem. Das Problem ist die Europäische Union beziehungsweise die Kommission, die diese Europäische Union darstellt und nach außen vertritt und deren Wirken wir zu spüren bekommen. Alle Leute aus dem Plenum hier, die gestern zum Beispiel im EU-Ausschuss des Bundesrates gewesen sind, wissen ja, was das bedeutet, wie weit diese Regelungen gehen. Sie wissen, dass 80 Prozent der Gesetzesmaterien, mit denen wir uns auseinandersetzen, zentrale EU-Gesetzesmaterien sind, die wir in der einen oder anderen Form umsetzen, mit weniger oder mehr Spielräumen, die wir auf nationaler Ebene haben.
Diese Kompetenzen greifen ja nicht nur in die nationalstaatlichen Belange ein, sondern sie greifen in die Landesbelange oder, wie das sonst in Europa heißt, Provinzbelange und dergleichen, aber auch in die Gemeindebelange ein. Gestern hatten wir zum Beispiel einen Vorhabensbericht der Europäischen Kommission auf der Tagesordnung, der sich Bericht über „die Wiederherstellung der Natur“ nennt. (Bundesrat Schennach: Ihr habt den Antrag abgelehnt! Ihr habt den SPÖ-Antrag abgelehnt!) – Kollege Schennach, ich komme gleich zu Ihnen, wenn Sie sich melden, vergesse ich nicht auf Sie. – Da will die Kommission zentral bestimmen, wie unsere engste Umwelt aussieht. (Bundesrat Schennach: Aber geh!) Das geht bis zur Zahl der Bäume in den Städten, der Grünflächen in den Kleingemeinden. All das soll mit einer Verordnung, nicht einmal mit einer Richtlinie, geregelt werden.
Das sind Dinge, die uns wirklich bedrohen, die uns als Demokraten bedrohen (Beifall bei der FPÖ), die den Föderalismus bedrohen (neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Schennach) und die die maßgeschneiderten Lösungen für die Leute, wie das so schön formuliert worden ist, unmöglich machen und zerstören, denn von einem bürokratischen Organismus erdachte Vorschriften, die für Zypern und Malta auf der einen Seite, für Österreich, Holland, Schweden und Deutschland auf der anderen Seite gelten, können nicht maßgeschneidert sein. Die müssen in gröbster Weise sinnvollen Vorschriften widersprechen.
Das sehen wir ja in vielen Dingen. Ich rede da nicht von der Gurkenkrümmung, von Bananen, das sind ja eher Dinge für das Kabarett. (Bundesrätin Schumann: Bitte! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Ich rede aber zum Beispiel davon, Kollege Schennach, dass die Höchstmenge, die bei Toilettenspülungen heruntergelassen werden darf, auf europäischer Ebene verbindlich geregelt ist. Das mag vielleicht in Ländern und Regionen wie Zypern, Malta, Süditalien und Andalusien, in denen es Wassermangel gibt, sinnvoll sein, das ist aber in Österreich, im Burgenland oder auch in Wien geradezu absurd. (Bundesrat Schreuder: Ich finde, das ist eine wichtige Burgenlandrede!)
Das ist ein kleines Beispiel. Es stört uns nicht so sehr, wenn es jetzt weniger oder mehr Toilettenspülungsmenge gibt; das stört vielleicht die Betreiber von Kanalisationssystemen und Kläranlagen, weil dann gewisse Dinge nicht mehr so funktionieren, aber das ist nicht so ein Problem wie andere Dinge. (Bundesrat Schreuder: Wasserexperte Hübner!)
Andere Dinge, die die Leute wirklich spüren, sind zum Beispiel der heute schon erwähnte Strompreis. Da ist es natürlich dramatisch, wenn in einem Land wie Österreich, in dem 60 Prozent – im Schnitt, es ist ein bisschen mehr, es sind 61, 62 Prozent – der Energie aus Wasserkraft gewonnen werden (Bundesrat Schennach: Land am Strome!), 20 Prozent aus diversen anderen alternativen Quellen und nur 20 Prozent aus Gas, die Leute jetzt eine Verdreifachung des Strompreises – auch im Burgenland übrigens – haben, mit der sie leben müssen, und das Ganze mit einem sogenannten Meritordersystem begründet wird, das die europäischen Strommärkte regelt.
Daran sehen wir, dass diese zentralen europäischen Bestimmungen für uns einen riesigen Schaden anrichten. Österreich ist nicht in der Lage, sich da auszuklinken. Österreich ist nicht in der Lage, die eigenen Konsumenten zu schützen, die Schwächsten der Schwachen zu schützen. Wir müssen bürokratische Riesenapparate wie Strompreisstützungen machen, bei denen mit gewaltigem Aufwand und mit gewaltigen Fehlern ein kleiner Teil dieses Schadens, der da angerichtet wird, mit dem Einsatz von Steuermitteln wieder ausgeglichen wird.
Das geht aber viel weiter. Herr Landeshauptmann, zum Beispiel der von Ihnen erwähnte Fliesenleger: Ja, das ist ein Problem. Die Handwerker werden bei uns nicht angemessen bezahlt, wie alle manuellen Arbeiter. Es ist so, dass seit 2000, seit der Einführung des Euro das real verfügbare Einkommen gemessen an der Kaufkraft dieser manuellen Arbeiter, inklusive der Handwerker, um etwa 30 Prozent gesunken ist – nicht weil die burgenländische Landesregierung einen Fehler gemacht hat, sondern weil wir gezwungen wurden, alle Schutzbestimmungen unseres Arbeitsmarktes aufzuheben, und weil unsere Arbeitnehmer – seien es die Fliesenleger, sei es die Abwäscherin, um die Kollegin von der SPÖ zu zitieren, oder die Reinigungskraft – mit Leuten aus Ländern konkurrieren müssen, in denen das Lohnniveau ein Drittel oder die Hälfte des österreichischen Lohnniveaus beträgt.
Wie soll da das heimische Lohnniveau geschützt werden? (Bundesrätin Schumann: Die FPÖ hat die Mangelberufsliste ... ohne Ende! Danke an die FPÖ!) Wie soll ein Unternehmer oder ein Auftraggeber dazu gebracht werden, jemanden doppelt oder dreifach zu bezahlen, wenn er ausländische Kräfte entsprechend günstiger bekommt? (Beifall bei der FPÖ.) Das sind wirkliche Probleme.
Und weil hier Kollege Hirczy – er ist, glaube ich, jetzt nicht anwesend – davon gesprochen hat, dass wir hier im Bundesrat eine „Europakammer“ und eine „starke Stimme“ gegen die Europäische Union sind (Bundesrätin Schumann: Nicht gegen die Europäische Union!), appelliere ich an die Leute: Bitte lasst diese starke Stimme hören! Wo haben wir eine starke Stimme gegen diese Gesamtdemontage unseres dezentralen, bürgernahen, basisdemokratischen Systems? Wo haben wir da eine starke Stimme gehört? Wo sind die Einsprüche des Bundesrates gegen die Vorhabensberichte? (Bundesrätin Kahofer: ... wann seid ihr dafür ...?! – Bundesrätin Grimling: ... gemeinsam arbeiten ...!)
Wir haben gestern – fast probeweise – einen Antrag gestellt, zumindest diese Durchführungsverordnung der Europäischen Kommission zu bekämpfen, die vorsieht, dass uns geschrotete Insekten in die Lebensmittel beigemischt werden. (Bundesrat Schennach: Ja sicher! – Bundesrätin Grimling: Geh bitte!) – Ja, ja, Kollege Schennach, das hören Sie nicht gerne, weil Sie selbst dagegen gestimmt haben (Bundesrat Schennach: Ja sicher!), dagegen etwas zu tun, weil Sie selbst der Meinung sind, wir dürfen nicht so viel selbst bestimmen, die Europäische Kommission muss entscheiden, dass Insekten in unsere Müsliriegel, in unser Brot und unser Mehl eingemischt werden dürfen. (Bundesrätin Schumann: Der Brexit in England war ja so erfolgreich! – Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) – Ja, Kollege, das verstehe ich. Wenn man solche Standpunkte vertritt, dann tritt man damit nicht gerne vor die Leute, vor die Wähler und vor die Öffentlichkeit, sondern dann macht man irgendwelche Zwischenrufe. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.)
Was ich erwarten würde, ist, dass man solche Missstände, solche Fehlentwicklungen und solche Unterhöhlungen unserer Lebensgrundlagen, wie sie die Europäische Kommission da vornimmt, wenn man sie schon nicht aufhalten und verhindern kann, zumindest mit den vorhandenen Mitteln bekämpft. (Bundesrätin Kahofer: Ja, wenn man die Mittel dafür kriegt!) Auch das passiert leider bei meinen Kollegen von den anderen Parteien nicht. (Bundesrätin Schumann: Der Brexit war in England so erfolgreich! – Bundesrätin Grimling: Ja, ganz erfolgreich!)
Mein Appell daher: nachdenken (Bundesrätin Grimling: Ja! Nachdenken! – Bundesrätin Kahofer: Ja! – Bundesrätin Schumann: Ja! Nachdenken! – Beifall der Bundesrätinnen Grimling, Kahofer und Schumann), die Positionen infrage stellen und einmal schauen, liebe Kollegen von der SPÖ (Zwischenruf des Bundesrates Schennach – Heiterkeit der Bundesrätin Zwazl), was man wirklich für die Bürger tun kann, außer hier Sonntagsreden zu halten! – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)
10.22
Präsident Günter Kovacs: Danke, Herr Dr. Hübner.
Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Dipl.-Ing.in Dr.in Maria Huber. Ich erteile ihr dieses. – Bitte sehr.