11.27

Bundesminister für Inneres Mag. Gerhard Karner: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren Bundesräte! Geschätzte Besucher! Geschätzte Zuseher! Vielen Dank für die Möglichkeit, dieses für uns alle, wie ich glaube, sehr wichtige Thema – wie man bei den ersten Stellungnahmen bereits feststellen konnte – anzusprechen und möglichst ruhig, vernünftig und sachlich diskutieren zu können.

Ich meine, prinzipiell ist nicht der Zeitpunkt der Debatte entscheidend, sondern der Inhalt der Debatte. Ich hätte natürlich auch sehr gerne zu Beginn oder in der Mitte oder auch am Ende meine Stellungnahme abgegeben. Ich denke aber, es hat jeder die Gelegenheit, seinen Redebeitrag hier entsprechend den Wortmeldungen zu jedem Zeitpunkt zu leisten, Herr Abgeordneter. Das halte ich für sehr, sehr wichtig, und das ist auch das Lebendige an einer parlamentarischen Debatte.

Neben dem Thema Cyberkriminalität und dem Thema Kampf gegen Extremismus in den unterschiedlichsten Ausprägungen, von Rechtsextremismus bis hin zu politischem Islam, ist der Kampf gegen die Schleppermafia und der Kampf gegen den Asylmissbrauch eine der größten Herausforderungen, die wir aktuell zu bewältigen haben. Das war im letzten Jahr so und das ist auch aktuell so, und das ist etwas, was unsere Beamtinnen und Beamten ganz besonders fordert, weshalb wir auch entsprechende Akzente gesetzt haben und weitere Akzente setzen müssen.

Ich möchte mit einem Blick zurück auf das letzte Jahr beginnen, in welches letztendlich auch der tragische Ausgangspunkt für diese großen Zahlen fiel, die wir zu bewältigen haben, und begründen, warum diese Zahlen so hoch sind. Am 24. Februar 2022 hat nämlich Putin diesen furchtbaren Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen.

Das hat bedeutet, dass wir eine unglaubliche Flüchtlingswelle zu bewältigen hatten, vor allem natürlich in den Nachbarländern – wenn ich daran denke, dass alleine in Polen nach wie vor 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine untergebracht sind, vor allem Frauen und Kinder –, aber natürlich auch in Österreich. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Es sind in Österreich fast 90 000 Menschen registriert. Aktuell sind 54 000 Menschen aus der Ukraine – und da wieder in erster Linie Frauen und Kinder – in der Grundversorgung, das heißt Bundes- und Länderversorgung, entsprechend untergebracht, plus 10 000 Menschen aus der Ukraine, die selbst für sich sorgen können. Sie alle kennen diese Bilder, auf denen natürlich auch größere Autos zu sehen sind, aber diese Menschen haben sich bei Freunden, bei Bekannten oder auch in Hotels selbst untergebracht.

In Summe ist da also vieles gelungen, dass wir nämlich den Menschen, die vor Bomben, vor Gewehrsalven geflohen sind, auch helfen konnten. (Zwischenruf bei der FPÖ.)

Ich möchte mich an dieser Stelle – vielleicht können wir uns alle diesem Dank anschließen – bei den Ländern, bei den Gemeinden, bei vielen Hilfsorganisationen – viele von Ihnen waren in den Gemeinden, bei Vereinen engagiert, als es darum ging, Geld zu sammeln, Hilfsgüter zu sammeln und letztendlich auch in die Ukraine zu bringen, da ist Hervorragendes gelungen –, bei der Zivilgesellschaft, bei allen Beteiligten, bei den vielen, die geholfen haben, ganz, ganz herzlich bedanken. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Bundesrät:innen der SPÖ.)

Weil dem so ist, ist das natürlich auch eine entsprechende Herausforderung für das System, eine Belastung für das System. Ich habe es gesagt: 54 000 Menschen sind in der Grundversorgung untergebracht. In Summe gab es dazu noch im letzten Jahr – diese Zahl wurde heute zu Recht schon mehrmals genannt – fast 109 000 Asylanträge, so viele wie in Wahrheit seit den Fünfzigerjahren nicht mehr. Eine letzte Zahl vielleicht noch: In Summe sind aktuell insgesamt, mit den Menschen aus der Ukraine, rund 90 000 Menschen in der Grundversorgung untergebracht. Grundversorgung heißt: Bundeszuständigkeit und Länderzuständigkeit in finanzieller Hinsicht im Verhältnis von 60 : 40.

Was sind die Ursachen dafür? – Ich möchte versuchen, auch das in dieser Debatte kurz zu skizzieren, um eine möglichst große Sachlichkeit hineinzubringen: Aus meiner Sicht liegt der erste Punkt – das haben wir klar gesehen – im Marketing der Schlepper. (Ruf bei der FPÖ: ... Klimabonus!) Der Ukrainekrieg hat ausgelöst, dass die Schlepper ihr Marketing dahin gehend geändert haben, dass sie gesagt haben: Europa ist offen, Europa sucht Arbeitskräfte und ermöglicht es auch sofort, auf den Arbeitsmarkt zu kommen.

Sie wissen, was ich damit meine: Die Vertriebenenrichtlinie, die Anfang März von den europäischen Innenministern in Kraft gesetzt wurde, ermöglicht ja Menschen aus der Ukraine zu Recht, dass sie automatisch Zugang zum Arbeitsmarkt haben und auch entsprechend versichert sind. Mit dieser Richtlinie haben Schlepper begonnen, in den Herkunftsländern brutales Marketing zu machen, sodass viele aus diesen Ländern gekommen sind – Indien, Tunesien. Sie sind mit dem Flugzeug bis Belgrad, bis Istanbul gekommen und dann mit den Schleppern – 5 000 bis 7 000, 10 000 Euro wurden pro Fahrt bezahlt – letztendlich bis nach Österreich beziehungsweise auf ganz Europa verteilt – erster Grund.

Der zweite Grund: Natürlich spielen auch wirtschaftlich schwierige Situationen in Herkunftsländern mit, in denen sich Menschen aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg machen, um ihr Heil woanders zu suchen, weil ihnen von den Schleppern etwas vorgegaukelt wird. Das hat aber nichts mit dem Thema Asyl zu tun, das sind andere Gründe, warum sich diese Menschen auf den Weg machen.

Das Dritte ist das Thema Visapolitik in manchen Ländern und das Vierte – auch das wurde schon kurz angesprochen – ein aktuell eben nicht funktionierendes Schengensystem. Das muss man so zur Kenntnis nehmen. Leider, sage ich, denn Schengen war oder ist eine der großen Errungenschaften dieser Europäischen Union, nämlich die Reisefreiheit der Menschen innerhalb der europäischen Länder, aber es funktioniert leider – sage ich sehr bewusst als Innenminister dazu – nicht. Wir haben Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich, zwischen Frankreich und Deutschland, bis vor Kurzem zwischen Tschechien und der Slowakei. Schengen funktioniert nicht, und das ist auch ein wesentlicher Grund, warum letztendlich die Zahlen so gestiegen sind.

Eine ganz wesentliche Zahl, die ich noch nennen möchte und muss, weil das Thema Asylbremse angesprochen wurde – was ich sehr wohl für den richtigen Begriff halte –: Wir haben gesehen, dass 75 000 Menschen, die gekommen sind, nicht registriert waren – das unterstreicht ja, dass da etwas nicht stimmt –, obwohl Österreich ein sogenanntes Binnenland ist, das heißt von Ländern der Europäischen Union umgeben ist. (Zwischenrufe der Bundesrät:innen Reisinger und Schumann.)

Daher haben wir bereits letztes Jahr im Mai begonnen, erste Maßnahmen zu setzen. Es war eine „Aktion scharf als Aktion gerecht“ – ein sehr martialischer Ausdruck, wenn man so will, ich halte ihn aber für notwendig. Warum Aktion scharf als Aktion gerecht? – Weil eben eine klare Überforderung des Systems gedroht hat, weil schon sehr viele Menschen aus der Ukraine – zu Recht – in diesem System untergebracht waren und wir gesehen haben, dass die Zahlen der Anträge aus den Ländern steigen, bei denen es praktisch keine Chance auf Asyl gibt. Wir haben gesagt, wir müssen diesen Missbrauch verhindern, damit wir jenen Menschen helfen können, die unsere Hilfe auch brauchen. Das haben wir im Mai gestartet: Aktion scharf als Aktion gerecht. Ich wurde dann auch kritisiert, ich würde von etwas ablenken. Faktum ist: Das ist die Arbeit, die im Innenministerium von der Polizei, von der Exekutive zu tun ist. Das ist die Aufgabe, für die wir alle bezahlt werden. (Beifall bei der ÖVP.)

Wie haben wir das getan? – Wir haben Grenzkontrollen entsprechend verstärkt, wir haben auch die Strategie in manchen Bereichen geändert und neben Grenzkontrollen auch noch Grenzraumkontrollen eingeführt, sowohl auf österreichischem Staatsgebiet als auch auf ungarischem Staatsgebiet mit der sogenannten Operation Fox, bei der eben gemeinsam mit den ungarischen Behörden danach getrachtet wird, dass jene, die illegal unterwegs sind, nicht bis an die österreichische Grenze durchkommen. Ja, die Zusammenarbeit mit den Ungarn ist nicht immer einfach, aber sie ist notwendig. Wir müssen mit unseren Nachbarn zusammenarbeiten. Das ist Aufgabe der Polizei. Wir können uns vor dieser Zusammenarbeit nicht drücken. Die Polizei muss da zusammenarbeiten. Das sind Aufgaben, die man gemeinsam mit den Nachbarn auch zu erledigen hat.

Daher haben wir im letzten Jahr – das ist ein Rekordwert – über 700 Schlepper festgenommen, beispielsweise einen rumänischen Schlepper – ich glaube, 30 Jahre, der junge Mann –, verantwortlich für 30 000 Schleppungen, natürlich über mehrere Jahre hinweg. Der hat sich ein Imperium aufgebaut. Das sind die großen Fische, die es Gott sei Dank gelingt, auch manchmal dingfest zu machen. Der Großteil sind natürlich eher die kleineren Fische, aber ganz, ganz entscheidend ist: Da leisten sehr, sehr viele exzellente Arbeit.

Ebenso war der Auftrag klar da – das war für die Polizei und das Bundesheer besonders schwierig, gerade an der burgenländischen Grenze –, dass es kein Durchwinken gab und gibt, denn wir haben in Europa und in Österreich ein Recht darauf, zu wissen, wer sich auf unserem Staatsgebiet aufhält. Daher war klar, wir kontrollieren – Fingerprint und all diese Dinge, die auch dazugehören –, und das war enorm schwierig. In den Bezirken Neusiedl am See und Oberpullendorf – die Burgenländerinnen und Burgenländer hier im Saal wissen das – war das extrem belastend. (Zwischenruf bei der SPÖ.)

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Bitte einen Schlusssatz, Herr Bundesminister!

Bundesminister für Inneres Mag. Gerhard Karner (fortsetzend): Ich brauche noch ein paar Minuten, Herr Bundesrat.

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Herr Bundesminister, du kannst dich am Ende noch einmal zu Wort melden, jetzt haben wir 10 Minuten Redezeitbeschränkung. – Einen Schlusssatz, bitte!

Bundesminister für Inneres Mag. Gerhard Karner (fortsetzend): Ich darf an dieser Stelle – wenn das mein Schlusssatz sein soll, werde ich mich gern zum Schluss noch einmal zu Wort melden – sagen, dass ich mich bei der Polizei und beim Bundesheer, gerade im Burgenland, ganz besonders bedanke, auch beim Land Burgenland, weil der Herr Landeshauptmann aus dem Burgenland auch gerade da war. Das waren schwierige Gespräche, die wir immer hatten, aber korrekte und ordentliche Gespräche, weil es eine wichtige und schwierige Aufgabe ist, die dort auch entsprechend zu erfüllen ist.

Es wurde vieles auf den Weg gebracht. (Ruf bei der FPÖ: Schlusssatz!) – Ich werde mich sehr gerne zum Schluss noch einmal zu Wort melden. Ich freue mich, dass Sie mir bisher zugehört haben, und darf dann später die restlichen 5 Minuten meiner Rede fertig ausführen. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

11.39

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Danke, Herr Bundesminister.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit der weiteren Teilnehmer und Teilnehmerinnen an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz auf 5 Minuten beschränkt ist.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Martin Preineder. – Bitte, Herr Kollege.