9.23
Bundesrat Dr. Johannes Hübner (FPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Minister, grüß Gott! Lieber Vorredner Kollege Schennach: Ich wundere mich nicht, dass für die österreichische Neutralität nicht geworben wird, dass die österreichische Neutralität kein Exportartikel ist und dass andere Staaten sich von der österreichischen Neutralität nicht dazu bringen lassen, die eigene Neutralität aufrechtzuerhalten, denn: Was ist von dieser österreichischen Neutralität noch übrig?
Sie haben es erwähnt, es gibt ein Verfassungsgesetz, das Neutralitätsgesetz, das die immerwährende Neutralität Österreichs vorschreibt. Was Neutralität ist, ist keine Frage der Auslegung durch Frau von der Leyen oder durch einen Gastkommentar im „Standard“, sondern ist völkerrechtlich, um das schöne Wort zu verwenden, festgeschrieben, nämlich – der Herr Minister wird es wissen – im Artikel 5 der Haager Konvention. Da steht drinnen, Neutralität bedeutet, im Falle eines bewaffneten Konfliktes zwischen Parteien weder direkt noch indirekt eine dieser Parteien zu unterstützen, und es wird auch klargestellt: In nicht militärischen Belangen ist der Neutrale zur Gleichbehandlung der militärischen Konfliktparteien verpflichtet. Das heißt, es können alle Handelsbeziehungen, Reisebeziehungen aufrechterhalten werden, aber gleichartig und gleichwertig den beiden Konfliktparteien gegenüber.
Dass das in Österreich nicht in Ansätzen geschehen ist, braucht man hier nicht zu diskutieren. Weder die Lieferung von Splitterwesten und Schutzhelmen an eine der Konfliktparteien noch das Mitmachen bei Sanktionen oder das Enteignen von Bürgern eines Landes erfüllen nur annähernd diese Kriterien. Und wenn da irgendeiner mit den EU-Verträgen kommt – der Minister wird es vielleicht tun und sagen, wir sind ja in der EU, da ist die Neutralität nicht mehr so zu lesen –: Ja, in den EU-Verträgen gibt es gewisse Ausnahmen, aber ausdrücklich nur für friedensstiftende, friedensschaffende und friedenserhaltende Maßnahmen. Dass die Fortführung und Befeuerung des Krieges in der Ukraine keine friedensschaffende, friedensstiftende oder friedenserhaltende Maßnahme ist, brauche ich ja wohl hier nicht ernstlich darzulegen. (Beifall bei der FPÖ.)
So viel einmal zur österreichischen Neutralität, die nicht gelebt wird, in verfassungswidriger Weise nicht gelebt wird. Da hat Kollege Schennach, auch wenn er das hier nur andeutungsweise dargelegt hat, recht.
Kommen wir jetzt aber zur Einzigartigkeit und zum Zeitenwechsel, in dem wir uns befinden: dass es einzigartig sei, dass es jetzt auf einmal einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gibt; das hat es in der Geschichte offenbar noch nie gegeben. – Also ich kenne überhaupt keinen Krieg, der nicht durch einen Angriff gestartet wurde. Kriege sind kein Fußballspiel und Kriege kennen keine Schiedsrichter, sondern Kriege beginnen, wenn ein Staat einen anderen angreift; das kann man auch Aggression nennen.
Da brauchen Sie nur in die jüngste Geschichte zurückzugehen – Kollege Schennach ist ja sehr belesen, er wird das wissen. Der amerikanische Überfall auf den Irak, auf Afghanistan, auf Barbados, auf Haiti, auf Panama: Sind das Kriege gewesen, bei denen ein Schiedsrichter gesagt hat: Let’s go!, sind das völkerrechtskonforme Aktionen gewesen? Oder der Krieg zur Befreiung des Kosovo, an dem die EU ja auch beteiligt war, der Angriff auf Serbien, um die serbische Provinz Kosovo herauszubrechen und einen eigenen Staat zu schaffen: Ist das völkerrechtskonform gewesen? Hat es da einen Schiedsrichter gegeben, der gesagt hat: So, ich bin jetzt der Völkerrechtsmann, ich erlaube euch jetzt, loszuschlagen!? – Das gibt es alles nicht.
Das ganze Gerede von Zeitenwende, von Einzigartigkeit in diesem Sinne, dass diese russische Aktion einzigartig ist und so etwas nie in der Geschichte vorgekommen ist, ist eine leere Luftblase. Ich möchte nicht das hässliche Wort Lüge verwenden, aber es ist eine bewusste Täuschung aller, die solchen Vorträgen zuhören. (Beifall bei der FPÖ.)
Kollege Schennach, da darf man sich auch nicht wirklich wundern, dass eine Gruppe von Staaten – Sie haben die Brics-Staaten genannt; in Wirklichkeit ist es fast die gesamte Welt, außer dem Block, der unter amerikanischem Einfluss steht – bei dieser Politik nicht mitmacht, bei dieser Politik, die keine Friedensinitiative kennt, wie Sie richtig gesagt haben, die das Wort Frieden ersetzt durch die Phrase: Friede ja, aber nur zu den Bedingungen der Ukraine!, oder, wie Sie es formuliert haben: Ja, aber keinen Diktatfrieden gegen den Willen der Ukraine! – Natürlich, wenn man sagt: Frieden nur zu meinen Bedingungen!, ist das nicht wirklich ein Einstieg in eine neue Friedensordnung.
Wenn man das Ganze, diesen extrem blutigen Krieg mit Hunderten Toten jedes Jahr, durch monatliche Milliardeninvestitionen in eine Kriegspartei aufrechterhält – da geht es ja nicht um Kleinigkeiten, es geht um Milliarden pro Monat, die nicht nur aus Europa kommen, sondern vor allem von den USA in diesen Konflikt hineingesteckt werden – und wenn man gleichzeitig jede Friedens- oder auch nur Waffenstillstandsbemühung nicht nur verhindert, sondern auch torpediert, wie das geschieht, dann darf man sich nicht wundern, dass sich ein Teil der Welt davon erschrocken abwendet.
Das Ganze wird davon begleitet, dass die Werte, die durch diesen Krieg angeblich verteidigt werden, auf den Kopf gestellt und von uns selbst mit Füßen getreten werden. Wir behaupten, dass wir den Rechtsstaat verteidigen, und beschlagnahmen gleichzeitig das Vermögen von Privatpersonen, die wir halt Oligarchen nennen, lassen russische Künstler nicht auftreten, beschlagnahmen Auslandsguthaben von Banken, von Nationalbanken, Dollarguthaben und dergleichen. Wir tun das ohne jede Rechtsgrundlage und ohne jede völkerrechtliche Grundlage und berufen uns darauf, dass wir die Rechtsstaatlichkeit verteidigen.
Oder: Sie haben, Kollege, von der Meinungsfreiheit, die wir verteidigen, gesprochen. Wir führen erstmals offen Zensuren ein, die es sogenannten prorussischen Medien oder Sendern unmöglich machen, hier verbreitet oder konsumiert zu werden. Wir haben Verwaltungsstrafen, in manchen Ländern sogar gerichtlich verfolgbare Straftatbestände, geschaffen, die das Verbreiten oder Abhören von russischen Medien oder Sendern beinhalten. Das ist Zensur.
Wir haben eine Medienlandschaft, die sich – allerdings selbst verschuldet – selbst gleichgeschaltet hat und nichts anderes tut, als die amerikanische oder euroamerikanische Propaganda wiederzugeben. Wir merzen alle Personen – seien es Akademiker, Journalisten oder Künstler –, die sich anders zu Wort melden, aus dem Diskurs aus. Das sind dann Putin-Versteher, das sind dann Kriegstreiber, Extremisten, Verschwörungstheoretiker, antiamerikanische Fanatiker und dergleichen.
Ich will jetzt die Namen nicht nennen, aber Professoren in Deutschland, Politologen – vielleicht wirst du (in Richtung Bundesrat Spanring) sie noch erwähnen – werden gekündigt, weil sie eine differenzierte Politik in diesem Krieg, eine Friedensinitiative und das Aussteigen aus dem amerikanischen Kriegsdiktat verlangen.
Dass das keine von Europa selbst gewollte Politik ist, bestreitet niemand, der auch nur ein bisschen hinter die Kulissen schaut. Dass Europa in irgendeiner Weise in der Lage ist, international eigene Entscheidungen zu treffen, ist eine Illusion.
Wir wissen spätestens seit den Enthüllungen von Snowden und Assange 2012, dass der amerikanische Geheimdienst über das amerikanische Monopol im internationalen digitalen Nachrichtenverkehr alle ausspioniert, von der deutschen Bundeskanzlerin zur Kommissionspräsidentin, vom Generalsekretär der Vereinten Nationen bis zu fast allen europäischen Bundesregierungen. Dass weltweit der gesamte Internet- und Mobilfunkverkehr abgehört, gespeichert und katalogisiert wird, wissen wir. Das haben die amerikanischen Regierenden, der damalige Präsident Obama, der Chef des Geheimdienstes NSA und eine Untersuchungskommission des Kongresses genau so bestätigt. Geschehen ist gar nichts. Die deutsche Bundeskanzlerin hat einen Brief nach Amerika an den Präsidenten geschrieben, der bis heute nicht beantwortet wurde. – So viel also zur Selbstständigkeit Europas.
Auch die Schweiz hat ihre Neutralität aufgegeben, aber nicht aus freien Stücken, sondern aufgrund der amerikanischen Drohung, dass es sonst zu einer Vernichtung der Schweizer Finanzindustrie kommen würde.
Was passiert? – Länder, die sich das ansehen, wie Länder und Staatengemeinschaften und Wertegemeinschaften die eigenen Werte, für die sie in den Krieg ziehen, mit Füßen treten, bekommen natürlich Angst. Sie bekommen Angst, das nächste Russland, der nächste Iran, das nächste Nordkorea, das nächste Afghanistan und dergleichen zu werden und aufgrund einseitiger amerikanischer Entscheidungen, einseitiger amerikanischer Gesetzesakte – ich habe hier einmal den Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act erwähnt – mit universaler Geltung auf Schwarze Listen zu kommen.
Sie flüchten natürlich aus der Wertegemeinschaft oder sie versuchen, sich einen eigenen Schutzschirm zu schaffen: Das ist unter anderem die Staatengemeinschaft Brics, das ist aber auch die Shanghai Cooperation Organisation, in der mächtige Länder wie China und Indien Mitglied sind – auch weniger mächtige Länder wie Russland. Dieses wird jetzt zum bösesten und gefährlichsten Feind hochstilisiert, was es erlaubt, die Rüstungsausgaben zu verdoppeln, die Nato auf bisher neutrale Länder auszuweiten, die amerikanische Truppenpräsenz und die amerikanischen Atomwaffen in Europa zu verewigen und die amerikanische Haltung in keiner Weise infrage zu stellen.
Diese Staaten machen viel – sie werden auch versuchen, aus dem Dollar auszusteigen, der ein ganz wichtiges Erpressungs- und Herrschaftsinstrument der Amerikaner ist –, und wir stehen abseits. Wir stehen abseits: Wir beugen uns vor den amerikanischen Wünschen, schauen zu, wie täglich Hunderte Leute getötet werden, und klopfen uns gegenseitig auf die Schulter oder selbst auf die Brust, was wir alles Großes tun, was wir für die Werte, für den Frieden, für die Rechtsstaatlichkeit, fürs Völkerrecht tun.
Das ist keine Politik, die ich unterschreibe, das ist keine Politik, die mein Heimatland betreiben und unterstützen sollte, und das ist, meine ich, auch keine Politik, die ein Außenminister eines gemäß Verfassung immer noch neutralen Landes betreiben sollte. (Beifall bei der FPÖ.)
Damit bin ich mit meinen Ausführungen am Ende und lausche gespannt den Ausführungen meiner Nachredner und besonders jenen des Herrn Ministers Schallenberg. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)
9.35
Präsident Günter Kovacs: Herzlichen Dank, Herr Bundesrat.
Zu Wort gemeldet ist nun Herr Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross. – Bitte sehr, Herr Bundesrat.