11.32
Bundesrat Andreas Babler, MSc (SPÖ, Niederösterreich): Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Keine Angst, ich werde dann gleich zur „Wiener Zeitung“ sprechen. In meiner ersten Rede als Bundesrat möchte ich aber zuerst an die über 21 000 Menschen, die mir ganz persönlich ihr Vertrauen ausgesprochen haben und ermöglicht haben, dass ich heute als Mitglied des Bundesrates vor Ihnen stehen darf, ein Versprechen abgeben, und dieses Versprechen soll auch an alle Österreicherinnen und Österreicher gehen: Wir werden diese Regierung ablösen. Wir werden eine Regierung schaffen, die für neun Millionen Menschen in diesem Land da ist anstatt für die Wünsche der Konzerne, und die einen schwachen und taumelnden Umgang hat, wenn es jetzt darum geht, die Lebensrealitäten zu sichern.
Ich möchte auch zu meinem Vorredner noch anmerken, der die Aussagen des Bundeskanzlers interpretiert hat, wie respektlos ich es eigentlich finde, wenn man darüber spricht, dass arbeitslose Menschen de facto arbeiten gehen sollen, weil sie sich dann wieder etwas kaufen können. Wir wissen – alle vorliegenden Studien besagen es –, wie schwer für uns alle die Lebensrealitäten zu stemmen sind. Von der Statistik Austria wissen wir, dass 52 Prozent der Alleinerzieher:innen armutsgefährdet sind und dass sich 350 000 Kinder in diesem Land – jedes fünfte Kind! – in Armut befinden.
Wir haben jedoch eine Regierung, die das negiert, die nicht eingreift, die nur taumelt, die sich als Bittstellerin vor den Konzernen sieht, die nicht eingreift, die keine wirksamen Preiskontrollen zulässt und keine Abschöpfung der Übergewinne macht. (Rufe und Gegenrufe zwischen Bundesrät:innen von SPÖ und ÖVP.) Ich sage Ihnen ganz deutlich: Unsere Leute in Österreich können sich nicht nur die Preise nicht leisten, sie können sich auch diese Regierung nicht mehr leisten, liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der SPÖ.)
Jetzt komme ich zur Medienpolitik und auch zur „Wiener Zeitung“. Das beste Mittel, wenn Dinge nicht gut laufen und man Regierungen hat, mit denen man nicht zufrieden ist, ist immer, dass die Bevölkerung gut informiert ist. Die Medienpolitik der Regierung scheint jetzt aber genau das Gegenteil zu verfolgen, nämlich: Die blaue Seite des ORF wird zusammengekürzt, ausdrücklich mit dem Hinweis, tiefergehende Recherchen nicht mehr anbieten zu wollen. Es ist dies also eine Regierung, die einem Medium verbietet, gute Recherchen zu veröffentlichen. Das ist ja der eigentliche Skandal: Es wird eine Oberflächlichkeit produziert, die nicht in die Tiefe geht und mit der man dem Informationsbedürfnis und auch dem Informationsrecht der Bevölkerung nicht nachkommt.
Dazu kommt jetzt dieser Riesenskandal, ein riesengroßer Verlust für uns alle, dass die „Wiener Zeitung“ als gedruckte Tageszeitung von ÖVP und Grünen eingestellt wird. Die einzige Zeitung in Österreich, die uns allen, uns Österreicherinnen und Österreichern, gehört, wird jetzt von Ihnen, von dieser Regierung, eingestampft. Die „Wiener Zeitung“ war in den vergangenen Jahren ein Garant für unabhängigen und unaufgeregten Journalismus, ein Garant dafür, dass die Messagecontrol nicht ungeprüft übernommen wird. Wir waren sehr dankbar dafür, dass sie versucht hat, sich offensiv gegen diese Messagecontrol zu stellen und nicht alles zu übernehmen. Offensichtlich muss sie dafür jetzt büßen.
Wenn wir das nächste Mal hier im Bundesrat zusammentreten, dann wird die „Wiener Zeitung“ als Tageszeitung schon verschwunden sein. Türkis und Grün beenden somit die Geschichte eines Blattes, das im Laufe der Zeit auch viele Wandlungen durchgemacht hat – manchmal war sie näher an der Macht, manchmal kritischer, manchmal frei, manchmal zensiert. Eines aber hat sie in ihrer 320-jährigen Geschichte wirklich geleistet: die kritische Medienöffentlichkeit mit zu begründen und dadurch generell erst zu ermöglichen.
Ein besonders anschauliches Beispiel ist: Vor 234 Jahren, am 9. September 1789, übersetzte die „Wiener Zeitung“ die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte aus dem Französischen ins Deutsche und druckte sie in voller Länge ab. Jeder in der Monarchie konnte also folgenden Satz lesen: „Alle Menschen sind frey geboren, und bleiben frey und gleich in Ansehung der Rechte; [...].“
Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie revolutionär zu dieser Zeit ein solcher gedruckter Satz war! Es war eine unglaubliche Botschaft, so etwas in einer Zeitung zu lesen. Zu dieser Zeit war in Österreich-Ungarn der größte Teil der Bevölkerung in vielen Bereichen nicht frei. Bäuerinnen und Bauern waren an ihren Boden gebunden und hatten nicht einmal die Erlaubnis, ohne Zustimmung des Grundherrn das Land zu verlassen. Ein Recht auf den eigenen Boden hatten sie nicht und jedes Jahr mussten sie Geld an die Grundherren abliefern, damit sie das Land überhaupt bestellen durften.
In dieser Zeit begannen die Menschen aber auch, sich gegen diese Unfreiheit zu wehren. Es war eine Zeit im Umbruch, es war eine Zeit, in der sich auch Reformen durchsetzten. Es war die Zeit, die in Frankreich zu Aufständen bis hin zur Revolution geführt hat, und genau zu dieser Zeit veröffentlichte die „Wiener Zeitung“ die radikalste Erklärung, die es bis zu diesem Zeitpunkt jemals gegeben hatte. Die unterdrückten Bürger:innen, die unfreien Bauern, der Adel, der selber glaubte, aufgrund seiner Geburt etwas Besseres zu sein, alle konnten es schwarz auf weiß lesen: Alle sind frei und gleich geboren.
„Jeder ist jemand“ wie es Michel Friedman vorige Woche im Parlament in Anlehnung an George Tabori formuliert hat. Dieser Satz hatte eine unglaubliche Kraft, gedruckt in einer Zeitung, schwarz auf weiß für jeden lesbar.
Diese Geschichte beenden nun ÖVP und Grüne, und das ist ein unbeschreiblicher Skandal in der österreichischen Medienwelt! – Wir müssen und wir werden alles daran setzen, diese so stolze und traditionsreiche „Wiener Zeitung“ so schnell wie möglich wieder zurückzubringen. – Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPÖ.)
11.38
Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Elisabeth Grimling. – Bitte, Frau Grimling.