9.02

Bundesrätin Mag. Marlene Zeidler-Beck, MBA (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Haben Sie heute in der Früh vielleicht am Tisch eines schwedischen Möbelherstellers gefrühstückt (allgemeine Heiterkeit – Rufe: Nein! Ja!), ein Kleidungsstück eines internationalen Textilunternehmens angezogen (Rufe: Nein!), sind Sie in ein Paar Sneakers geschlüpft, mit dem Rad oder mit dem Auto zur Arbeit (Bundesrat Schreuder: Fahrrad! – Ruf bei der ÖVP: Zug!) gefahren und haben Sie dort vielleicht Ihren Laptop aufgeklappt oder den Computer hochgefahren? Dann sind Sie ziemlich sicher mit einem Produkt in Kontakt gewesen, wie sie an Bord der Ever Given geladen waren.

Sie erinnern sich vielleicht: Die Ever Given war jenes Schiff, das am 23. März 2021 weltweit berühmt geworden ist, als es auf dem Suezkanal auf Grund gelaufen ist und in weiterer Folge den Kanal für ganze sechs Tage blockiert hat; eines der weltweit größten Containerschiffe mit einer Länge von unglaublichen 400 Metern und einer Breite von 60 Metern, vom Volumen her so groß, dass das österreichische Parlament als gesamtes Gebäude doppelt hineinpassen würde. An Bord waren fast 20 000 Container mit Gütern des alltäglichen Lebens und des täglichen Gebrauchs geladen, nämlich von Motoren und Fahrrädern über Kleidung bis hin zu Solarmodulen.

Die Havarie der Ever Given hat dazu geführt, dass mit dem Suezkanal eine der wichtigsten Seerouten des Welthandels gesperrt war, nämlich jene Route, über die jährlich nicht weniger als 12 Prozent des gesamten Welthandels abgewickelt werden. Es hat zu Staus von Hunderten Schiffen vor den Einfahrten geführt und in weiterer Folge dann auch zu Kapazitätsproblemen in den Häfen, weil nämlich zuerst nichts gekommen ist und es dann einen großen Rückstau zu bewältigen gab.

Auch in Österreich waren Konsumentinnen und Konsumenten betroffen, und es waren auch die Unternehmen in ganz unterschiedlicher Form gefordert. Ich erinnere mich, mit Blick in meinen Heimatbezirk, daran, dass es da Unternehmen gab, die direkt betroffen waren, beispielsweise in der Metallindustrie, weil sie das Material nicht bekommen haben, nicht liefern konnten und Pönalzahlungen fällig wurden, oder auch ein Mechatronikunternehmen, das auf Chips aus China gewartet hat, nicht weiterproduzieren konnte und seine Mitarbeiter:innen dann in Kurzarbeit schicken musste.

Es waren aber Unternehmer auch indirekt betroffen wie beispielsweise ein Unternehmen bei uns, das an die deutsche Automobilindustrie liefert. Dort waren zwar Personal und ausreichend Materialien zur Verfügung, aber der Absatz ist eingebrochen. Deutschland hat nichts mehr abgenommen, und damit sind auch sie ins Stocken geraten.

Der „Economist“ hat die Havarie der Ever Given als ein gigantisches Ausrufezeichen beschrieben, das uns an die Brüchigkeit unserer Lieferketten gemahnt hat – eine Brüchigkeit, die wir zuvor auch schon in der Pandemie und bei den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine bemerkt haben.

Wenn ich in den letzten Jahren in Betrieben unterwegs war, habe ich immer wieder gehört: Na ja, unsere Auftragsbücher sind voll, aber wir können teilweise nicht leisten. Uns fehlen einerseits die Arbeitskräfte, und uns fehlt andererseits auch schlicht das Material, um erfüllen zu können. Vielleicht hat das der eine oder andere von Ihnen auch gemerkt: Wenn man ein privates Projekt umsetzen wollte, wie etwa eine neue Fotovoltaikanlage installieren, hat es geheißen, die Module sind einfach nicht lieferbar.

Das hat sich auch statistisch im Wifo-Konjunkturtest niedergeschlagen: Für den Zeitraum von 2021 bis 2022 haben bis zu 40 Prozent der heimischen Unternehmen gemeldet, dass der Mangel an Material oder Kapazität hinderlich in der Sachgütererzeugung ist.

All das, meine sehr geehrten Damen und Herren, zeigt, glaube ich, nicht nur, wie aktuell das Thema der Lieferketten ist, sondern auch, wie dringend es ist, dass wir dem Thema sprichwörtlich auf den Grund gehen und auch in der Lieferkettenforschung ansetzen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Eines zeigt sich nämlich: Während das Lieferkettenmanagement aus Sicht der Betriebe zunehmend komplexer wird, ist es auch aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive oft schwierig, Lieferketten zu analysieren, weil Datenmaterialien fehlen oder oft nur für einzelne Bereiche Daten vorhanden sind, sodass man keine gesamten Rückschlüsse ziehen kann.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, genau da setzt die Bundesregierung gemeinsam mit dem Land Oberösterreich mit dem Supply Chain Intelligence Institute Austria, also dem Institut für Lieferkettenforschung, an. In einer Zeit, in der die Produktion immer kleinteiliger wird, in der das Fehlen eines einzelnen Teils oft zum Ausfall eines ganzen Produkts führen kann, soll das Institut mithelfen, Risiken und auch Gefahren frühzeitig zu identifizieren, und einen wichtigen Beitrag, glaube ich, leisten, um in Krisensituationen einfach rascher reagieren und auch datenbasiert entscheiden zu können.

Das Institut soll mit einem umfassenden Monitoring dazu beitragen, dass wir Abhängigkeiten einerseits aufzeigen, andererseits aber auch minimieren und etwa in Fragen der Beschaffung oder auch der Produktion diversifizieren. Erinnern Sie sich, wie wesentlich das in der Pandemie war, gerade im Bereich der Gesundheit und der Biowissenschaften, als wir, glaube ich, alle gesehen haben, wie sehr diese Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von strategischer Bedeutung für einen Standort sein kann. Letztlich soll das Institut auch durch umfassende Datensammlung und Analyse mithelfen, Entscheidungen zu treffen, auch wenn es um Fragen der Lagerhaltung vor Ort, um den Abschluss internationaler Lieferverträge oder etwa um die Wahl des Produktionsstandortes geht.

In den kommenden fünf Jahren werden dafür vom Bund und dem Land Oberösterreich gemeinsam 10 Millionen Euro in das Institut für Lieferkettenforschung investiert. Ich bin davon überzeugt, dass damit sozusagen eine Lücke in der Forschung geschlossen und ein weiterer Beitrag geleistet wird, damit der Standort Österreich in Zukunft noch resilienter, noch krisenfähiger wird.

Zusammenfassend muss man, glaube ich, schon eines klarstellen: So sehr Lieferketten derzeit im Fokus stehen, so sehr wir gerade jetzt auch sehen, immer wieder drastisch vor Augen geführt bekommen, wie anfällig sie für externe Einflüsse sind, so sind es gerade in einer kleinen, exportorientierten Volkswirtschaft wie Österreich auch 6 von 10 Euro, die wir im Außenhandel erwirtschaften. Das heißt, der internationale Handel wird auch in Zukunft unverzichtbare Vorteile für uns und für unseren Standort bieten. Ich glaube aber, es ist wichtig, dass wir in Zeiten multipler Krisen wie auch bei konkreten Vorfällen wie der Havarie der Ever Given Konsequenzen ziehen und Maßnahmen setzen – und das tun wir.

Das tun wir mit dem Institut für Lieferkettenforschung, indem wir uns in gewisser Weise einen Kompass in die Hand geben, um auch auf unruhiger See gut zu navigieren. Das tun viele heimische Unternehmen, die sich gerade jetzt ganz bewusst an Innovationen machen, die ihre Geschäftsmodelle anpassen, die ihre Betriebe anpassen und umrüsten. Da sind wir, glaube ich, auch gefordert, bestmögliche Rahmenbedingungen für die Unternehmerinnen und Unternehmer zu schaffen.

Letztlich, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, können wir alle auch einen Beitrag leisten, indem wir nämlich auf regionale Produkte und auch verstärkt auf Nachhaltigkeit setzen, indem wir mithelfen, Lieferwege zu verkürzen, und damit sozusagen dann sprichwörtlich dafür sorgen, dass in Zukunft vielleicht der eine oder andere Container weniger an Bord eines riesigen Containerschiffes wie der Ever Given landet. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

9.10

Präsident Günter Kovacs: Herzlichen Dank, Frau Bundesrätin.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Fraktionsvorsitzende Bundesrätin Korinna Schumann. – Bitte sehr.