9.35
Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eines kann ich schon sagen: Europa hat diese Sprache nicht verdient! (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)
Europa ist für so viele junge Menschen auf diesem Kontinent und auch in unserem Land – denn Österreich ist Europa, es geht nicht um Österreich versus Europa, es geht um Österreich mit Europa – ein Versprechen: für all die Erasmus-Studentinnen und -Studenten, die sich austauschen, für die vielen Kulturinitiativen, die miteinander arbeiten, für die Wirtschaft, die floriert. Es ist ja schon gesagt worden – und das ist völlig richtig, es ist sogar bewiesen –, dass kaum ein Land so sehr von einem Beitritt zur Europäischen Union profitiert hat wie Österreich. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Bundesrät:innen der SPÖ.)
Österreich war am Rande Europas! – Ich werde immer wieder gefragt, zum Beispiel da oben in der Demokratiewerkstatt oder auch bei Schuldiskussionen – und es wird wahrscheinlich vielen von uns so gehen –: Was war das wichtigste politische Ereignis, das Sie erlebt haben? – Und immer wenn ich dann zurückdenke, ist meine klare Antwort – obwohl in der Vergangenheit vieles passiert ist: der Überfall Russlands auf die Ukraine, was uns alle und auch unseren Kontinent natürlich stark bewegt und auch verändert, wir haben eine Pandemie erlebt, es gab 9/11, es gab sehr viele Themen, die bewegt haben –: Das wichtigste Ereignis in meinem Leben war der Fall der Mauer und das Fallen der Grenzen 1989 und dass ein gespaltener Kontinent zusammengewachsen ist – und ich werde nicht aufgeben, das als beste Idee, als beste politische Idee aller Zeiten zu feiern. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie der Bundesräte Obrecht und Schmid.)
Ein Wort noch zu Kollegen Spanring, weil er sich wünscht, wir mögen erst auf Aussagen einer Ministerin replizieren: Als Parlamentarier finde ich es eigentlich auch einmal ganz legitim und richtig, dass ein Minister auf unsere Reden und auf das, was die Parlamentarierinnen und Parlamentarier sagen, repliziert – denn so sollte es doch eigentlich auch sein. (Beifall der Bundesrätin Grossmann.)
Meine Damen und Herren! Wenn ich es biografisch sehe, kann ich sagen: Österreich ist damals einer Europäischen Union beigetreten, deren Bürger ich war. Ich war damals kein österreichischer Staatsbürger – ich war damals noch niederländischer Staatsbürger –, und von daher war es natürlich auch in meinem ganz persönlichen Interesse, dass Österreich sozusagen in diese Familie aufgenommen wird. Und das Interessante war: Ich hatte dann eine Zeit lang noch eine niederländische Staatsbürgerschaft, dann später eine österreichische Staatsbürgerschaft, und ich fand den Unterschied überhaupt nicht mehr groß, denn alles in allem war es eine europäische Identität und eine europäische Kraft.
Österreich hat so enorm profitiert! Jetzt aber gibt es Kräfte, die anderes wollen, und eine Kraft haben wir soeben in einer Rede gehört: Wir haben von der FPÖ keine einzige Idee gehört, keinen einzigen Vorschlag, keine einzige positive Aussage im Sinne von: Das könnte Europa machen!, im Gegenteil, es wurden nur negative Äußerungen über die Europäische Union gemacht – mit dem Ziel, diese Europäische Union zu zerstören. Das ist euer Konzept.
Ihr wollt die Grenzen und die Mauern, die wir 1989 niedergerissen haben, die in Revolutionen, in friedlichen Revolutionen niedergerissen wurden, wieder bauen. Das ist in Wahrheit das Konzept. Ihr nennt es Festung, und in Wahrheit sind es Mauern und Grenzen.
Wir lassen dieses Europa nicht zerstören (Bundesrat Spanring: Das entscheidet der Wähler!), nicht von der Freiheitlichen Partei und nicht von anderen nationalistischen Parteien in diesem Land. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesrät:innen der ÖVP.)
Wir werden es nicht zulassen! Es gibt Kräfte außerhalb dieser Europäischen Union, die, selbstverständlich auch aus machtpolitischen Gründen, aus geopolitischen Gründen, kein starkes Europa haben wollen. Sie wollen nicht, dass Europa im sicherheitspolitischen Bereich, im wirtschaftspolitischen Bereich oder in anderen Bereichen mit einer Stimme spricht. Sie wollen ein zerklüftetes, ein zerstrittenes Europa – und ihr (in Richtung FPÖ) seid die Handlanger dieses zerstrittenen Europas. Ihr seid es, die das voranbringen (Bundesrat Spanring: Peinlich! Einfach nur peinlich!), ihr seid es, die das kaputt machen, ihr seid diejenigen, die das, was Putin und andere wollen, erreichen wollen. Ihr seid genau das: Ihr arbeitet gegen die Interessen Österreichs, gegen die Interessen Europas, ihr arbeitet für die Interessen des Kreml. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie des Bundesrates Arlamovsky. – Bundesrat Spanring: Du hast keine Ahnung!)
Was sind die Herausforderungen? – Es sind schon viele genannt worden. Ich fand auch sehr wichtig, was Kollegin Grossmann gemacht hat: Man muss ja in so einem demokratischen Gefüge auch Forderungen stellen, sagen, was noch fehlt, was notwendig ist. Auch wir haben da viele Punkte. Vieles sehr Positives ist erreicht worden, vieles muss erreicht werden. Das ist das, was Europa ausmacht: ein demokratischer Streit darüber, was wir brauchen, und ein ständiges Ringen um Lösungen. (Bundesrat Steiner: Frag doch die Lena!)
Jetzt hört einmal zu: Ihr von der Freiheitlichen Partei (Bundesrat Steiner – mit Daumen und Zeigefinger beider Hände ein Herz formend –: Hallo!), ihr beruft euch immer gerne auf die 1848er-Revolution und auf die nationalliberalen Revolutionen. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.) Lest doch einmal bei Carl von Clausewitz nach! Das war ein preußischer Militärhistoriker und -theoretiker, der ganz klar gesagt hat, dass jede Friedensordnung wichtig ist und dass sie nur so lange funktioniert, bis einer ausschert, und wenn einer ausschert, ist jede Friedensordnung in Gefahr. Beherzigt das einmal – ihr, die ihr immer die Aufklärung so hochhaltet! (Bundesrat Steiner: ... der Coronalockdown ...! Gott sei Dank sind wir ausgeschert bei Corona! Gott sei Dank, sonst wär’ der Wahnsinn da weitergegangen mit dir und mit deine Wappler! – Ruf bei der ÖVP: Wappler?! – Ruf bei den Grünen: Deine was?) – „Wappler“ hat er gesagt. (Bundesrat Steiner: Wappler habe ich gesagt, Wappler! – Bundesrätin Schumann: Der Bundesrat wird zur Tschauner Bühne!)
Präsidentin Margit Göll: Ich muss mich jetzt wirklich wieder melden.
Merkst du nicht selbst, wie du mit deiner Sprache hier in diesem Saal eigentlich uns alle, alle Politiker schlechtmachst? (Bundesrat Steiner: Was sagst du denn zur Coronazeit?) Ihr seid es, die ständig Beschimpfungen und Beleidigungen aussprechen. (Bundesrat Steiner: Corona!) Wir haben hier respektvoll miteinander umzugehen. Vielleicht hörst du jetzt bitte einmal zu! (Neuerliche Zwischenrufe der Bundesräte Spanring und Steiner.) – Nein, vielleicht hörst du bitte jetzt einmal zu!
Jetzt ist Bundesrat Schreuder am Wort, und ich bitte darum, dass ihr jetzt auch einmal zuhört und dem Redner diesen Respekt entgegenbringt!
Bundesrat Marco Schreuder (fortsetzend): Es ist ja völlig klar, dass die Freiheitliche Partei hier ganz laut schreit, weil sie zu Europa nichts zu melden hat, außer zu meckern – weil ihr keine Idee, keine Politik, keine Vorstellung habt, während wir, die konstruktiven Kräfte, hier stehen und um die besten Lösungen für Europa ringen. Darum geht es hier am Ende. (Beifall bei Grünen und ÖVP, bei Bundesrät:innen der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)
Die Auseinandersetzungen, die globalen Fragen sind so riesig, die werden wir als kleines europäisches Land nicht alleine lösen können. Selbstverständlich kann man immer darüber diskutieren, was man auf nationalstaatlicher Ebene und was auf europäischer Ebene lösen sollte – na klar! –, aber die Klimakatastrophe, die uns droht, werden wir nur in einem planetarischen, gesamten Akt erledigen können, die werden wir nicht als kleiner Staat erledigen können. All die Fragen, all die Kooperationen in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Kultur werden wir nur gemeinsam und nicht getrennt voneinander angehen können.
Im Hinblick auf Putin, der wieder den Krieg nach Europa gebracht hat, der es wieder geschafft hat, dass Bomben auf zivile Ziele geschossen werden – wie neulich auf Theaterhäuser, auf Baumärkte –, der wieder Kinder entführt, müssen wir als Europa sagen: Das ist ein Europa, das wir nicht zulassen werden! Da müssen wir als Europa sagen: Nein!, und da müssen wir auf der Seite der Ukraine stehen. Wir dürfen den nationalistischen und zerstörerischen Kräften Europas keinen Platz geben, sie dürfen dieses Europa nicht kaputt machen.
Kooperation bedeutet Verhandlung, Kooperation bedeutet Kompromissfindung, Kooperation ist manchmal mühsam, sie ist anstrengend, sie ist ein ständiger Verhandlungsprozess. Das ist nicht immer einfach, das ist auch nicht immer einfach zu kommunizieren, das weiß auch Europa, das wissen wir alle, aber mühsame Entscheidungsprozesse und demokratische Verhandlungen sind immer noch besser, als dass eine Person, eine Kraft über alle anderen Köpfe hinweg entscheidet.
Es geht um Beitrittsperspektiven für wichtige Länder. Einige von uns waren ja selbst in Georgien: Wir haben gesehen, was für ein Versprechen Europa für die Menschen in Georgien ist. Dieses Versprechen habe ich am Anfang genannt: ein Kontinent, der gemeinsam arbeitet, gemeinsam Kultur, Wissenschaft und Politik betreibt. Es geht um die Versorgungssicherheit – da hat Frau Kollegin Grossmann vollkommen recht –, es geht um die großen Fragen der digitalen Revolution, vor denen wir stehen, und es geht um die künstliche Intelligenz. Es geht um Jugend, es geht um die Zukunft – es geht um unsere Jugend, und da sage ich auch klar: Wir brauchen eine Jugend, die auch politisch partizipiert. Es geht auch um das Klima, aber dazu wird natürlich mein Kollege Grossmann als Experte noch viel mehr sagen können. (Rufe bei der SPÖ: Gross! – Heiterkeit der Bundesrätin Grossmann.) – Was habe ich gesagt: Grossmann? Entschuldigung, Adi Gross.
Meine Damen und Herren, wir lassen uns von den nationalistischen Kräften, die Europa zerstören wollen, dieses Europa sicher nicht kaputt machen, auch nicht als Koalitionspartner. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie des Bundesrates Schmid.)
9.46
Präsidentin Margit Göll: Zur Geschäftsordnung hat sich Bundesrat Christoph Steiner zu Wort gemeldet. – Bitte.
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