Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 141. Sitzung / 102

bitte passiert dies spezifisch und gerade jetzt? (Abg. Haigermoser: Weil Österreich den EU-Vorsitz hat! – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Da müssen Sie sich schon den öffentlich ausgesprochenen Verdacht gefallen lassen, daß das doch etwas damit zu tun hat, daß gerade in Österreich groß diskutiert wird, was mit den Opfern des Nationalsozialismus ist, welche Rolle die österreichischen Banken spielten und was mit den Zwangsarbeitern bei österreichischen Firmen war. (Abg. Dr. Ofner: Peter, lies doch einmal die Anfrage!)

Herr Kollege Ofner! Der Historiker Karner, den Sie hier berechtigterweise zitiert haben, warnt uns alle davor, in die Haider-Falle zu tappen, nämlich Holocaust und Sudetendeutsche gleichzusetzen. Er sagte wörtlich – ich zitiere –:

Das wäre jetzt das absolut falsche Signal. Es würde vor aller Welt den Eindruck erwecken, daß Österreich gegenseitig aufrechnen will. Unrecht kann man nicht aufrechnen. – Zitatende. (Abg. Dr. Ofner: In keiner Richtung!)

Meine Damen und Herren! Wir sollten nicht in diese – nein, ich berichtige mich –, wir sollten in keine Haider-Falle tappen! (Beifall bei der SPÖ und beim Liberalen Forum.)

16.00

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Spindelegger. – Bitte, Herr Abgeordneter.

16.00

Abgeordneter Dr. Michael Spindelegger (ÖVP): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Meine Damen und Herren! Ich beginne jetzt mit dem Vorwurf, dem ich mich seitens des Kollegen Graf ausgesetzt sehe, nämlich "tschechienfreundlich" zu sein. – Meine Damen und Herren! Ich kann mit einem solchen Vorwurf durchaus leben. Unsere Außenpolitik ist nämlich eine andere als Ihre: Sie beruht nicht auf Freund- und Feindbildern in Europa, sondern wir setzen darauf, mit unseren Nachbarn gut auszukommen. Und das ist eine richtige Politik, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Ich möchte zum Thema dieser Anfrage fünf Bemerkungen machen.

Thema Nummer eins, worin wir uns von unseren tschechischen Kollegen durchaus unterscheiden, ist die Frage der Qualifizierung der Beneš-Dekrete. Und was die slowenischen Kollegen betrifft, gibt es eine Differenzierung hinsichtlich der AVNOJ-Beschlüsse von 1943 beziehungsweise 1944.

Wir stehen dazu, daß dieses "Recht", das damals mit Mord, mit Massenvertreibung, mit Konfiskation und Heimatvertreibung von Menschen einhergegangen ist, keines war, sondern Unrecht ist – und bleibt. (Abg. Mag. Stadler: Mit diesem Rucksack gehen sie in die EU!) Und wir stehen auch dazu, daß dieses Unrecht durch den Zeitablauf keine Rechtfertigung erfährt. Und ich glaube, daß wir da einer Meinung sind.

Hinsichtlich der AVNOJ-Beschlüsse von 1943 beziehungsweise 1944 stellt sich bezüglich der Verfügung von Enteignungen dieselbe Frage. Auch das ist Unrecht, auch das widerspricht – auch nach dem damaligen Stand des internationalen Rechts! – den Grundsätzen von Humanität und Menschenrechten. (Präsident Dr. Fischer übernimmt den Vorsitz.)

Umso unverständlicher ist für uns – das ist meine zweite Bemerkung, und das möchte ich ausdrücklich namens der ÖVP festhalten –, daß der sozialdemokratische Ministerpräsident Zeman in Tschechien seinen Start als Regierungschef mit der Bemerkung eingeleitet hat, daß die Beneš-Dekrete als "kontinuierlicher Rechtsbestand" in Tschechien weiterhin Gültigkeit haben sollen. – Ich meine, es steht einem Regierungschef nicht zu, nach diesen Ereignissen, die wir alle, und zwar nach damaligem wie heutigem Recht, verurteilen müssen, mit einer solchen Erklärung seine Tätigkeit zu beginnen. Ich halte das im Sinne eines Starts einer neuen Regierung in Tschechien für nicht gut. (Beifall bei der ÖVP.)


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