Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 84. Sitzung / Seite 44

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Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Peter.

9.38

Abgeordneter Mag. Helmut Peter (Liberales Forum): Herr Präsident! Meine Damen Bundesminister! Mein Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Es ist positiv, daß alle Kräfte dieses Hohen Hauses die Arbeitslosigkeit als das erste Problem erkannt haben. Es ist weiters positiv, daß sie die Jugendarbeitslosigkeit als das drückendste, gefährlichste Problem erkannt haben, das den meisten sozialen Sprengstoff enthält. Und es ist typisch österreichisch, daß wir wieder einmal auf der Ebene der Improvisation Weltmeister sind.

Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien! Manchmal habe ich den Eindruck, daß Ihnen das Lehrlingsproblem vorgestern eingefallen ist. Kennen Sie die Demographie nicht? Kennen Sie die Veränderungen der Technologien, die seit Jahren stattfinden, nicht? Kennen Sie die Veränderungen der betrieblichen Organisationen nicht? – Seit 1992 hat die Anzahl der Lehrstellen, die angeboten werden, zu sinken begonnen. Seit 1992 sind Sie an der Regierung. Warum fangen Sie jetzt an, hektisch zu agieren? Warum haben Sie nicht schon vor fünf Jahren begonnen, über dieses wirklich dramatische Problem, den Verlust der Attraktivität der dualen Ausbildung, nachzudenken, Reformvorschläge hier im Hohen Haus einzubringen und darüber zu diskutieren?

Ich begrüße ausdrücklich, daß Sie zumindest jetzt etwas tun. Ich danke Ihnen sogar dafür. Sie geben jetzt viele, viele Millionen beziehungsweise Milliarden Schilling aus, um Ihre Reformunfähigkeit vor fünf Jahren auszugleichen. Das hilft punktuell den jungen Menschen, die hier und heute eine Lehrstelle bekommen, die hier und heute einen Ausbildungsplatz bekommen, die Sie hier und heute in einer Schule behalten, denn das ist allemal noch besser, als wenn der oder die 16jährige arbeitslos auf der Straße steht. Aber bekennen Sie sich doch zu Ihrer Verantwortung dafür, daß Sie fünf Jahre lang geschlafen haben. Sie haben die Entwicklung auf dem Lehrstellenmarkt nicht antizipiert. Sie haben nichts unternommen. Sie haben die duale Ausbildung weiter schwieriger gemacht, Sie haben diese duale Ausbildung, von der ich heute immer noch überzeugt bin, daß sie in Wirklichkeit eines der ganz großen Erfolgsgeheimnisse dieses Landes ist, sehenden Auges schrittweise ihrer Attraktivität entkleidet. Die Entwicklungen hinsichtlich Demographie, Technologie, betrieblicher Organisation hätten Ihnen das zeigen müssen.

Jetzt reden und fördern Sie Lehrstellen herbei. Das ist sehr, sehr teuer. Es hilft kurzfristig, löst aber mittelfristig kein Problem. Daher meine ich: Bekennen Sie sich doch zu einem wirklichen Gespräch hier im Hohen Haus! Ich bitte Sie schon das zweite oder dritte Mal von diesem Pult aus darum, daß wir die Lehre als einen wirklichen Teil der sekundären Bildungsstufe begreifen, daß wir einsehen, daß neben der allgemeinbildenden höheren Schule und der berufsbildenden höheren Schule die Lehre als eine dritte, voll integrierte Säule stehen muß (Beifall des Abg. Koppler ), daß wir die Lehrzeit und die Berufsschulzeit entkoppeln müssen, daß wir aus der Berufsschule ein Berufsausbildungszentrum machen müssen. Die Ausbildung junger Menschen, gleichgültig, in welchem Teil der sekundären Bildungsstufe sie sind, ist immer eine Ausbildung für das Leben und für den Beruf. Daher ist die Lehre da voll zu integrieren.

Meine Damen und Herren! Ich bitte die Bildungspolitiker, das einmal zur Kenntnis zu nehmen und zu diskutieren. Ich sage das als Wirtschafter. Wir werden in Zukunft eine verpflichtende Ausbildung bis zum 18. Lebensjahr haben müssen. Wir leben in einer Informationsgesellschaft, in der Gesellschaft der Europäischen Union. Die Erweiterung der Europäischen Union wird unsere Gesellschaft immer komplexer machen. Die Lehrlingsausbildung, die Berufsschule ist nicht nur eine Ausbildung für den beruflichen Teil, sie ist auch eine Ausbildung für den jungen Menschen, der in dieser immer komplexer, in dieser immer schwieriger werdenden Gesellschaft seinen Platz als Bürger dieses Landes finden muß.

Wir haben heute in den BHS, in den berufsbildenden höheren Schulen, eine Drop-out-Quote von 50 Prozent. Kiermaier hat dankenswerterweise einen schönen Satz geprägt, indem er gesagt hat: Warum junge Menschen ins Gymnasium pressen, statt sie eine Lehre machen zu lassen? –


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