9.20

Bundesminister für Inneres Karl Nehammer, MSc: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde hatte laut Überschrift ja ursprünglich ein anderes Thema, aber ich repliziere sehr gerne auf die Ausführungen des ehemaligen Innenministers und jetzigen Klubobmanns. Ich sage hier auch klar – und ich sage es jetzt hier bewusst so, wie ich es sage –: Herr Klubobmann, ich entziehe Ihnen somit unser Duwort, das wir gegenseitig gerne gepflogen haben. (Abg. Kickl: Willkommen im Klub!) Ihre Ausführungen zum Thema Corona sind letzt­klassig. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Ruf bei der FPÖ: Aha!)

Ich habe aber auch gelernt, es gibt eine Kicklʼsche Welt, die er sich baut. (Abg. Hauser: Du musst dich einmal mit der Wissenschaft beschäftigen! Ihr müsst euch einmal mit der Wissenschaft beschäftigen, mit der wirklichen!) In der Kicklʼschen Welt, da ist die Doppelmoral offensichtlich sehr gut zu Hause, denn wie ich Medienberichten entnehmen durfte, hussen Sie zwar öffentlich gegen Impfen, Abstandhalten, Handhygiene, Auf­einan­deraufpassen (Widerspruch bei der FPÖ), aber hinter den Kulissen hat sich die Spitze der FPÖ fest geimpft. Diese Doppelmoral kann nicht Maßstab einer verantwor­tungs­vollen Politik sein. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Bleiben wir in der Herbert Kickl’schen Welt, die er gerade gezeichnet hat: Corona ist also nicht gefährlich, man soll sich nicht impfen lassen. Ich habe gehört, der Generalsekretär hat sich auch angeschlossen: besser frische Luft als impfen. (Abg. Schnedlitz: Das würde dir auch nicht schaden!) Wissen Sie, was erbärmlich ist, Herr Klubobmann und ehemaliger Innenminister? (Ruf bei der FPÖ: Sie!) – Das gilt auch für jene, die gerade herausgerufen haben. Ich glaube, es war Kollege Lausch, der schreit immer so gerne, oder vielleicht auch nicht. (Abg. Lausch: Ja, aber richtig! Parteitag sage ich nur! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Schau! Das wirklich Erbärmliche ist – führen Sie die Gespräche mit den Patienten auf den Intensivstationen, hören Sie denen zu (anhal­tende Zwischenrufe bei der FPÖ), hören Sie Ihrem eigenen Landesobmann in Ober­österreich zu, der gesagt hat, dass die Krankheit eine seiner schlimmsten Erfahrungen war! –, sich hierherzustellen, zu sagen, dass das alles Lug und Trug sei, denn das wird weder den Opfern dieses schrecklichen Viruses (Abg. Bösch: Virus!) gerecht, die daran gestorben sind, noch ihren Angehörigen noch den Menschen, die an den Langzeitfolgen von Covid leiden. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Das ist dieses Hauses unwürdig – und das sage ich als Minister. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.)

In der gleichen Tonalität geht es auch noch um eine andere wichtige Frage, nämlich um die Frage der Asyl- und Migrationspolitik. Da haben Sie als ehemaliger Innenminister der Republik auch das getan, was Sie jetzt wieder tun: Sie haben politisch, strategisch erkannt, dass es für Sie als FPÖ interessant ist, sich sozusagen auf die Impfgegner zu konzentrieren und daher – das glaube ich persönlich – wider besseren Wissens (Abg. Bösch: Wider besseres Wissen!) die Menschen falsch zu informieren. (Zwischenrufe der Abgeordneten Kassegger und Kickl.) Sie surfen somit auf einer Welle des Protests, damit die Freiheitliche Partei sich offensichtlich wieder erholt. Das Gleiche haben Sie auch als Innenminister getan, denn Sie haben recht: Die Zahl der Grenzübertritte in die Europäischen Union sind damals insgesamt zurückgegangen. Auf dieser Welle sind Sie mitgesurft. (Heiterkeit bei der FPÖ. – Abg. Kickl: Aber Sie surfen jetzt nicht auf der Welle!) Als Surfer dieser Welle gab es dann eine wirklich sinnvolle Maßnahme in der Zeit Herbert Kickls, in seiner Welt: Er fuhr zum Aufnahmelager Traiskirchen und hat das Schild dort ummontiert. (Ruf bei der FPÖ: Ist der Kollege Hanger ...! – Weitere Zwi­schenrufe bei der FPÖ.) Das war die einzige effiziente Maßnahme Herbert Kickls zum Thema Kampf gegen irreguläre Migration. (Ruf bei der FPÖ: Was ist Ihre? – Zwischen­rufe der Abgeordneten Kickl und Steger.)

Wir sind jetzt tatsächlich damit konfrontiert, dass wir allesamt in Europa mit einer völlig neuen Form, einer Welle der illegalen, irregulären Migration konfrontiert sind. (Abg. Hafenecker: Sind Sie jetzt auch schon Kabarettist?) Das beginnt im Norden Europas. Weißrussland macht gerade Druck auf Litauen und Polen (Abg. Kickl: Komisch, dass die Zahlen woanders nicht so steigen!), und bei uns ist es so, dass wir über die Bal­kanroute auch wieder durch irreguläre Migration massiv Druck spüren. (Abg. Kickl: War die nicht geschlossen?) Jetzt kommt ein wichtiger Punkt: Wenn wir tatsächlich gegen irreguläre Migration erfolgreich sein wollen, dann hilft es nicht, mit Drohgebärden durch die Gegend zu laufen, wissend, dass man die Drohungen nicht umsetzen kann, aber damit schnell die Emotionen der Menschen trifft. (Zwischenrufe der Abgeordneten Kickl und Schnedlitz.) Die Emotionen der Menschen verstehe ich. (Abg. Meinl-Reisinger: Das ist genau eure Politik!) Das, was wir aber tun, ist: Wir suchen Verbündete in Europa (Ruf bei der FPÖ: Ja, genau! – weitere Zwischenrufe bei der FPÖ), denn Sie haben recht: Aus meiner Sicht ist das Asylprojekt, die Asylpolitik der Europäischen Union genauso gescheitert. (Abg. Kassegger: ... Verteilungsmanagement! – Weitere Zwi­schenrufe bei der FPÖ.) Es braucht jetzt neue Allianzen in Europa – das stimmt! –, um tatsächlich dagegen vorgehen zu können. (Abg. Kickl: Der Orbán ...!) – Weil Klubob­mann Kickl herausgeschrien hat, wir sind da sozusagen allein auf weiter Flur: Nein, das stimmt nicht. Verbündete Österreichs sind Deutschland, Dänemark, Belgien, die Nieder­lande, Ungarn, Slowenien, Kroatien, Polen, Litauen, Estland, die baltischen Staaten insgesamt, um genau diese Politik zu ändern. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenrufe der Abgeordneten Belakowitsch und Schnedlitz.)

Das bedeutet das Bohren harter Bretter und nicht nur das Ummontieren von Taferln – und sich dabei wohlfühlen. Das heißt eben, dass man in dieser Allianz zweierlei versucht (Abg. Kickl: ... Taferln ummontieren würden!): Das eine ist die Außengrenze, der Schutz der Außengrenze funktioniert nicht (Abg. Kickl: Ja, der österreichischen, das stimmt!), sonst hätten wir nicht so viele irreguläre Migranten in Österreich. Das ist der Grund, warum Österreich in seiner Dreisicherheitsnetzstrategie die eigene Grenze mit mittler­weile mehr als 1 800 Polizistinnen und Polizisten, Soldatinnen und Soldaten schützt. (Abg. Belakowitsch: Wo genau ...?! – Zwischenrufe der Abgeordneten Kickl und Kassegger.) Das ist auf der anderen Seite der Grund, warum wir die Plattform gegen illegale Migration gegründet haben, um am Balkan eine Stabilität zu erzeugen und bereits vor der EU-Außengrenze zu beginnen, irreguläre Migranten zurückzuführen. Das ist aktive Politik und das Gegenteil von dem, was Sie behaupten. Zuschauen und Taferln abmontieren – das nutzt nämlich nichts. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Kickl.)

Es braucht eine Kursänderung in der Europäischen Union, und es braucht eine Kom­mission, die begreift, dass diese Politik, so wie sie bisher war, falsch ist, die falschen Signale aussendet. (Zwischenruf des Abg. Hafenecker.) Wenn die litauische Innen­ministerin mich um Hilfe ersucht, weshalb wir die Cobra an die Grenze schicken, um Litauen zu unterstützen, und gleichzeitig berichtet, dass die Innenkommissarin Johansson zwar bereit ist, Geld zu geben, aber nicht für den Grenzzaun, den Litauen aufbauen will und muss, sondern für Aufnahmezentren, dann kommen wir schon langsam zum Kern des Problems der falschen Politik. (Abg. Kickl: Ja, weiß das der Herr Karas auch ...? – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Genau dafür sucht Österreich Verbündete: um diese Politik zu ändern, um Einfluss auf die Kommission zu nehmen und den Weg Österreichs fortzusetzen. Was bedeutet der Weg Österreichs? (Zwischenrufe der Abgeordneten Belakowitsch und Kassegger.) – Der Weg Österreichs bedeutet auf der einen Seite einen starken, effizienten Grenz­schutz und gleichzeitig, die Zahl der Rückführungen deutlich zu erhöhen und diese zu beschleunigen (Abg. Kickl: Schön für die Menschen am Semmering! – weitere Zwischenrufe bei der FPÖ) – und sich da auch nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Es gilt, auch da Verbündete zu finden und Abschiebungen und Rückführungen notfalls alleine vorzunehmen – entsprechend den Rechtsgrundlagen des europäischen Rechts. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenrufe der Abgeordneten Kassegger und Kickl.)

Eines wissen Sie als ehemaliger Innenminister der Republik: Auch Sie können, dürfen und durften Recht nicht beugen oder verletzen. (Abg. Kickl: Das machen Sie doch jeden Tag, nur gegen die eigene Bevölkerung! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Wir müs­sen uns in der Europäischen Union darauf konzentrieren, dass wir vor allem den Kern der Genfer Flüchtlingskonvention wiederbeleben. Der Kern der Genfer Flüchtlings­kon­vention sieht vor (Zwischenruf des Abg. Kickl) – und da bin ich anderer Meinung, als Kollege Amesbauer gestern in der Pressekonferenz ausgeführt hat –, dass, wenn Schutz gebraucht wird, dieser auch im nächsten sicheren Land gefunden wird. An diesen Grundsatz hat sich Österreich immer gehalten: Ungarnkrise, Tschechenkrise, Zerfall Jugoslawiens – Österreich war immer da, um Menschen zu helfen. (Abg. Hafenecker: 2015 ist aber ...! – Abg. Kassegger:  ... warum sind dann überhaupt Afghanen bei uns?) Die Genfer Flüchtlingskonvention sieht nicht vor, so wie es heute gelebt wird, de facto mit einer globalisierten Asyl- und Migrationspolitik konfrontiert zu sein. Die Signale, die die Kommission derzeit aussendet, sind genau das Falsche, nämlich Asyl und Migration zu vermischen, indem nur das Wort Asyl schon dazu reicht, einen Aufenthaltstitel in der Europäischen Union zu bekommen. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Kickl: ... auch Herr Karas sendet diese Signale! – Zwischenruf des Abg. Kassegger.)

Daher ist es geboten, den konsequenten Weg dieser Bundesregierung fortzusetzen: Hilfe vor Ort, die Menschen in der Region belassen, vor Ort helfen (Abg. Kickl: Hilfe am Semmering!) – und das tun wir aktiv. Gleichzeitig ist dafür Sorge zu tragen, dass wir mit internationalen Organisationen Zukunftsprojekte fördern und (Abg. Kickl: Bla, bla, bla, bla!) damit erreichen, dass die Menschen in der Region bleiben. (Abg. Schnedlitz hebt die linke Hand und bewegt Daumen und die Finger mehrmals hintereinander schnell zusammen.)

Weil Herbert Kickl jetzt (Abg. Kickl: Bla, bla, bla, bla!) in seiner unglaublich verant­wortungsvollen Art von „Bla, bla, bla“ redet oder Herr Schnedlitz in der letzten Reihe gestikuliert (Abg. Schnedlitz hebt neuerlich die linke Hand und bewegt Daumen und die Finger mehrmals hintereinander schnell zusammen)  vielleicht kann die Kamera das einfangen –, das ist würdiges Verhalten von Abgeordneten, diese Gestikulation des Herrn Abgeordneten Schnedlitz, dadurch bekommt er jetzt kurz Bekanntheit.

Wissen Sie, was das wahre Problem ist? (Abg. Belakowitsch: Sie haben nichts zu sagen, das ist das Problem!) – Abgeordneter Kickl sagt jetzt: Wir sollen Asylwerber nicht aufnehmen. Denken wir zu Ende, was das heißt: Herbert Kickl, in seiner Welt lebend, ruft zum Rechtsbruch auf, führt Rechtsbruch durch (Abg. Kickl: Ach Gott!) und findet es auch noch gut. (Abg. Kassegger: Rechtsbruch?!) Herbert Kickl als Klubobmann dieses Hauses und Parteiobmann einer Partei ruft also zu Rechtsbruch und Staatsver­weige­rung auf – eigentlich das, was er früher den Linken vorgeworfen hat. (Abg. Steger: Das ist aber sehr absurd! – Heiterkeit des Abg. Kickl. – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Genau diese Form der Politik ist eine Luftblasen- und Seifenblasenpolitik, weil sie gar keine Substanz hat. (Abg. Kickl: Jessas na! Jessas na! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Das Entscheidende aber ist: Dieses hämische Gelächter der freiheitlichen Frak­tion (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch) wird der echten, ernsten Situation, dem Kampf gegen irreguläre Migration, dem Kampf gegen Schlepperei, dem Kampf gegen organisierte Kriminalität nicht gerecht. (Abg. Kickl: Kein einziges Instrument in der Hand ...!) Wir werden ihn konsequent weiterführen. (Anhaltender Beifall bei der ÖVP.)

9.31

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf darauf hinweisen, dass die nächsten Redner 5 Minuten Redezeit zur Verfügung haben. (Abg. Kickl: Könnte man dem Herrn Minister mehr Redezeit geben, dass er was zum Thema sagt? – Abg. Hafenecker: Der Ständestaat muss weg! – Der Präsident gibt das Glockenzeichen.) Es wäre vielleicht angebracht, den Fernsehzusehern ein besseres Bild zu bieten. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Auch in anderen Parlamenten ist es üblich, einander ausreden zu lassen und die Redner nicht ständig zu stören.

Abgeordneter Mahrer gelangt zu Wort. – Bitte. (Abg. Belakowitsch: Oje! – Abg. Kickl: Erzählen Sie uns einmal, welche Asylverschärfungen Sie vorgenommen haben! – Wei­tere Zwischenrufe bei der FPÖ.)