10.06

Bundeskanzler Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Schwierige Zeiten erfordern manchmal außergewöhnliche Schritte, und ich hätte mir nie gedacht, dass ich eines Tages hier im Hohen Haus als Bundeskanzler zu Ihnen sprechen werde. So überraschend diese neue Rolle ist, so entschlossen bin ich, sie mit aller Kraft, aber auch mit allem notwendigen Respekt für die Größe des Amtes wahrzunehmen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Als mich Sebastian Kurz vor wenigen Tagen gefragt hat, ob ich für seine Nachfolge zur Verfügung stünde, war mir klar, dass Zögern in dieser schwierigen Stunde einfach keine Option ist. Zu viel gibt es in unserem Land zu tun, und wir alle haben die Verantwortung, unseren Beitrag dazu zu leisten – im Parlament, in den Ministerien und in der Koalition.

Wenn ich heute eine Botschaft an Sie alle habe, sehr geehrte Damen und Herren, dann ist es jene, dass unsere Hand ausgestreckt ist. Als neue Volkspartei ist unsere Hand in Richtung unseres Koalitionspartners ausgestreckt, um die in den vergangenen Tagen entstandenen Gräben zu überwinden und die inhaltliche, erfolgreiche Arbeit der letzten eineinhalb Jahre fortzusetzen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Als Bundesregierung ist unsere Hand aber auch in Richtung der Oppositionsparteien ausgestreckt. Unser Land befindet sich noch in einer sehr volatilen Phase, noch sehen wir die Pandemie nicht im Rückspiegel, und wir müssen den beginnenden Wirtschafts­aufschwung bestmöglich begleiten. Ich hoffe daher sehr, dass gerade in dieser schwie­rigen Phase das politische Taktieren, das Um-sich-Schlagen ein Ende finden kann. Wenn man in der Sache unterschiedlicher Meinung ist und die Argumente durchaus zu­gespitzt formuliert, so ist das demokratiepolitisch völlig normal und legitim, aber mut­willige Aktionen wie heute, indem man zum wiederholten Male einen Misstrauensantrag gegen Finanzminister Gernot Blümel einbringt (Abg. Kickl – demonstrativ Beifall spen­dend –: Jetzt belehrt er das Parlament!), noch dazu jenen Minister, der gerade eine der größten Steuerreformen verhandelt hat (Heiterkeit bei der FPÖ), sind beim besten Willen nicht zu verstehen. (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Sehr geehrte Damen und Herren, wir sollten nicht vergessen: Wir alle stehen den Bür­gerinnen und Bürgern gegenüber in der Verantwortung. (Abg. Leichtfried: Da klatscht die ÖVP ziemlich alleine! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ. – Abg. Hafenecker: Das ist Ihre ausgestreckte Hand? – Weitere Rufe bei der FPÖ: Unfassbar! So eine Mario­nette! – Anhaltende Zwischenrufe bei der FPÖ. – Präsident Sobotka gibt das Glocken­zeichen.)

Das ist genau das, was ich meine. Wir alle stehen den Bürgerinnen und Bürgern gegen­über in der Verantwortung – in der Verantwortung, die inhaltliche Arbeit so rasch wie möglich wieder aufzunehmen, ohne dabei den konstruktiven demokratischen Diskurs zu verlassen, denn das erwarten sich die Menschen in unserem Land, und das haben sie auch verdient. (Beifall bei der ÖVP.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Um ein offensichtliches Thema der heutigen Debatte hier im Nationalrat gleich vorwegzunehmen und klar zu beantworten: Selbstverständlich werde ich als Bundeskanzler, der von der neuen Volkspartei gestellt wird, in enger Ab­stimmung mit unserem Bundesparteiobmann Sebastian Kurz vorgehen (Abg. Hafenecker: Was ist da jetzt neu?), genau so wie ich mich selbstverständlich auch mit dem Koalitions­partner eng abstimmen werde (Abg. Deimek: Schämen Sie sich nicht?), denn auch wenn die vergangenen Tage innenpolitisch durchaus turbulent waren (Abg. Herr: Ganz was Neues! Super!), so haben sie doch nicht unsere demokratiepolitischen Grundsätze ausgehebelt. (Abg. Hafenecker: Genießen Sie Ihre paar Wochen im Amt!) In allen Regierungsparteien waren und sind Partei, Klub und Regierung in enger Abstimmung. Das ist einfach eine Gesetzmäßigkeit, ein Grundsatz in unserer repräsentativen Demo­kratie, damit die Regierung funktionsfähig ist. Alles andere wäre demokratiepolitisch absurd (Beifall bei der ÖVP) – und dies, das sage ich jetzt ganz bewusst dazu, auch umso mehr, als es sich um einen Bundesparteiobmann handelt, der mit seinem politi­schen Kurs die letzten beiden Wahlen ganz klar gewonnen hat. (Abg. Steger: Ja, mit was für Mittel?)

Diese enge Abstimmung ist umso wichtiger, als inhaltlich viele Aufgaben vor uns liegen. Die innenpolitisch sicher wichtigste Priorität, die wir momentan haben, ist weiterhin die Bekämpfung der Coronapandemie. Auch wenn die Situation dank der guten Arbeit der letzten eineinhalb Jahre stabil ist, so gibt es doch noch viel zu tun, vor allem wenn es darum geht, auch weiterhin so viele Menschen wie möglich dazu zu bringen, dass sie sich impfen lassen.

Der Wirtschaftsaufschwung hat in Österreich erfreulicherweise stärker und rascher eingesetzt, als wir uns das erwartet hätten, nämlich mit fast 5 Prozent Wirtschafts­wachs­tum, einer Arbeitslosigkeit, die eigentlich schon auf Vorkrisenniveau liegt, aber wir müs­sen nun sicherstellen, dass dieser Aufschwung auch bei allen Menschen ankommt. Alle Menschen in Österreich, die arbeiten können, sollen auch arbeiten, und alle, die ar­beiten, müssen von ihrer Arbeit auch leben können. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Daher ist es uns als Bundesregierung ein besonderes Anliegen, die ausverhandelte öko­soziale Steuerreform so rasch wie möglich in die Tat umzusetzen. Diese Reform ver­einbart steuerliche Entlastung, ambitionierten Klimaschutz und soziale Verträglichkeit. Sie ist wahrlich eines der Herzstücke dieser Regierungsarbeit. Mit dieser weitreichenden Steuerreform und dem geplanten Beschluss zum neuen Budget beweist diese Koalition jetzt gleich wieder am Beginn, dass sie ihre politische Arbeit gemäß dem Regierungs­programm weiter fortsetzen will.

Wir werden auch unseren Weg der Modernisierung konsequent fortsetzen – durch die im Budget verankerten Investitionen in den Bereichen Bildung, Forschung und Digita­lisierung.

Ebenso werden wir die begonnenen Reformprozesse in den Bereichen Pflege und Arbeitsmarkt mit aller Kraft vorantreiben. Wir wollen in einem Land leben, in dem alle, die dies können, auch wirklich einen Beitrag am Arbeitsmarkt leisten und in dem jeder Mensch in Würde altern kann. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Im Bereich der Migration und Integration werden wir als Österreich unseren Weg ebenso konsequent fortsetzen. Wir werden einerseits in Krisensituationen großzügig vor Ort helfen, aber gleichzeitig illegale Migration nach Österreich entschieden unterbinden. Un­sere wichtigste Aufgabe in diesem Bereich ist es, dass jene Menschen, die seit 2015 zu uns nach Österreich gekommen sind, unsere Sprache lernen, sich integrieren, am Arbeits­markt Fuß fassen, denn nur so kann Integration gelingen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Auch außenpolitisch, und das wird Sie jetzt nicht verwundern, werden wir unseren Kurs unverändert fortsetzen. Meine erste Auslandsreise als Bundeskanzler wird mich noch diese Woche ganz bewusst nach Brüssel führen, wo ich Arbeitsgespräche mit dem Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel und der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen führen werde. Bei allen Themen, die uns momentan unter den Nägeln brennen, sei es die Coronapandemie, die Wettbewerbsfähigkeit, Migration, Außengrenzschutz oder auch Klimaschutz, ist Europa weiterhin unser zentraler Bezugs­rahmen und der entscheidende politische Hebel für uns. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Wir werden dabei selbstverständlich unsere besondere Verantwortung gegenüber unse­rer Nachbarschaft, aber auch gegenüber den Staaten am Westbalkan wahrnehmen und uns mit aller Kraft für die Realisierung ihrer EU-Perspektive einsetzen.

Ich bin in diesem Zusammenhang sehr glücklich und froh darüber und sehr dankbar dafür, dass wir mit Michael Linhart einen wirklich super erfahrenen außenpolitischen Profi für das Amt des Außenministers gewinnen konnten. Ich kenne und schätze ihn seit vielen Jahren und habe größtes Vertrauen in ihn. Lieber Michael, danke, dass du in die­ser sehr entscheidenden Phase der Republik zur Verfügung stehst. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind als Bundesregierung der Umsetzung des Regierungsprogramms verpflichtet. Ich werde mich gemeinsam mit dem Vizekanzler dafür einsetzen, dass diese Arbeit zügig und verlässlich weitergeht, und ich bitte Sie alle als Abgeordnete des Hohen Hauses, uns bei dieser Arbeit zu begleiten – durchaus kritisch, aber auch konstruktiv. Es wird viele Bereiche geben, in denen wir die Zusam­menarbeit auch über die Parteigrenzen hinweg werden suchen müssen.

Nur so, durch Taten statt Worte, können wir den Menschen in Österreich glaubhaft machen, dass wir als Politikerinnen und Politiker wirklich für sie da sind, dass wir die uns verliehene Verantwortung für die Stabilität unseres Landes, für die Prosperität unseres Landes auch wirklich ernst nehmen. – Ich danke Ihnen. (Anhaltender Beifall bei ÖVP und Grünen.)

10.16

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist der Herr Vizekanzler. Ich darf es ihm erteilen. – Herr Vizekanzler, bitte sehr.