10.34

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundes­kanzler! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich mit meiner eigentlichen Rede zum heutigen Tag beginne, ist es notwendig – ja, dringend notwendig –, ad hoc auf Ihre Rede einzugehen, Herr Bundeskanzler: Sie wurden gestern als Bundeskanzler der Republik Österreich angelobt, und nicht als Obmann der ÖVP! (Beifall bei SPÖ und NEOS sowie bei Abgeordneten der FPÖ.)

Als Bundeskanzler ist es Ihre klare Verantwortung und Aufgabe, für alle Parteien dieses Parlaments da zu sein und für alle Menschen dieses Landes da zu sein – und nicht nur für die ÖVP! (Beifall bei SPÖ und NEOS sowie bei Abgeordneten der FPÖ.)

Es steht Ihnen in dieser Rolle schon gar nicht zu, parlamentarische Instrumente wie einen Misstrauensantrag infrage zu stellen. (Ruf bei der FPÖ: Showpolitik hat er ...!)

Es steht Ihnen nicht zu, das Parlament zu belehren, sondern Sie haben es mit Respekt zu behandeln, Herr Bundeskanzler! (Beifall bei SPÖ, FPÖ und NEOS sowie des Abg. Stögmüller.)

Wir sind heute hier im Parlament zusammengetreten – und das ist entscheidend –, weil Sebastian Kurz die Regierung in eine schwere Krise geführt hat. Das ist nicht die erste, das ist nicht die zweite, das ist die vierte Regierungserklärung in diesem Haus seit Sebastian Kurz, seit 2017 – die vierte Regierungserklärung!

In diesen vier Jahren hat Kurz zwei Koalitionen gesprengt: 2017 Rot-Schwarz, weil sie für seinen Aufstieg zur Macht hinderlich war (Ruf bei der FPÖ: Weil ihr so schwach wart!); 2019 Türkis-Blau, weil sie ihm nicht mehr nützlich war (Zwischenruf bei der ÖVP) – und eine dritte, Türkis-Grün, die aktuelle Koalition, wurde beinahe von ihm gesprengt. Seit er an der Macht ist, kommt das Land nicht mehr zur Ruhe. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Worum geht es aktuell? – Es geht um strafrechtliche Ermittlungen, es geht um schwerste – schwerste! – Vorwürfe gegen den ÖVP-Obmann und sein engstes Team von Vertrauten. Ihm und seinem innersten Machtzirkel wird vorgeworfen, im Zentrum eines korrupten Systems zu stehen und den Machtkampf seiner Partei mit illegalen Mitteln geführt sowie rechtswidrig Steuergelder missbraucht zu haben, um die eigene, die persönliche politische Karriere zu befördern. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Diese Vorwürfe stehen im Raum und sie wiegen schwer.

Weil nun die Staatsanwälte in den letzten Monaten dem System Kurz auf den Fersen sind, ist die Justiz zum Feindbild geworden. Die türkise ÖVP schreckt nicht davor zurück, die Justiz frontal anzugreifen, zu attackieren und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte unseres Landes zu diffamieren.

Die aktuellen Enthüllungen zeigen auch, wie Kurz 2016 und 2017 vorgegangen ist, um an die Macht zu kommen: Der damalige Kanzler Kern und der ÖVP-Vizekanzler Mitterlehner sollten keine Erfolge haben. Mitterlehner musste weg, koste es, was es wolle – dafür war Kurz damals bereit, seiner eigenen Partei zu schaden, aber auch für Österreich wichtige Projekte zu sabotieren. Es war damals nämlich das klare politische Ziel von Kern und Mitterlehner, mehr als 1 Milliarde Euro in den Ausbau der Kinderbetreuung zu inves­tieren – das ist dringend notwendig, bis heute.

Der damalige Außenminister – Außenminister, nicht Kanzler! – Kurz schrieb damals seinem Handlanger im Finanzministerium in einem Chat: Geht gar nicht! Kannst du das auf­halten? Er kündigt weiters an, die Bundesländer gegen dieses Vorhaben, gegen dieses für Österreich wichtige Vorhaben aufzuhetzen. Wofür? – Für den eigenen Vorteil verhin­dert er eine Verbesserung für Hunderttausende Familien, für Kinder und Frauen in Öster­reich. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

In all dem zeigen sich ein Sittenbild der Skrupellosigkeit und ein Bild des Machtmiss­brauchs, es zeigen sich schwerste Verstöße gegen unsere rechtsstaatlichen Regeln. Diese Fakten sind erschütternd und sie sprengen bisher gekannte Maßstäbe.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der amerikanische Präsident Abraham Lincoln hat einmal gesagt: Man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen oder das ganze Volk einen Teil der Zeit, aber man kann nicht das gesamte Volk die ganze Zeit täuschen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Die gute Nachricht ist: Diese Weisheit setzt sich in Österreich gerade durch. Immer deut­licher werden diese jahrelangen türkisen Verstöße gegen die politische Kultur unseres Landes, schwerste Verstöße gegen Recht und Rechtsstaat werden sichtbar. Seit dem Wochenende ist klar, dass der Druck auf Kurz zu groß geworden ist und er als Kanzler gehen musste. Aber Kurz bleibt; Kurz bleibt als ÖVP-Parteichef und wird Klubobmann beziehungsweise: Er ist bereits Klubobmann im Parlament, ohne Abgeordneter zu sein – auch ein Novum in der Geschichte der Zweiten Republik (Beifall bei der SPÖ) –, Klub­obmann in diesem Parlament, in diesem Hohen Haus, sehr geehrte Damen und Herren, dem Herzstück unserer Demokratie, dem Parlament, für das er noch nie einen Funken an Respekt gezeigt hat – ganz im Gegenteil!

Diese heutige Regierungsumbildung ist eine Farce, denn es gibt einen, der als Schatten­kanzler weiter die Fäden zieht, Herr Bundeskanzler, und das sind nicht Sie, sondern das ist Sebastian Kurz. Das Kurz-System regiert weiter und damit drohen weiter Chaos, Instabilität, Angriffe auf die Justiz und den Rechtsstaat – all das wird weiter auf der Tagesordnung stehen.

Herr Bundeskanzler Schallenberg, was die Kanzler Österreichs in den 75 Jahren Zweiter Republik – mit Ausnahme Ihres Amtsvorgängers (Zwischenruf der Abg. Salzmann) – alle geeint hat, ist der Respekt vor den Säulen unserer Demokratie und damit auch vor dem Rechtsstaat. (Abg. Hörl: Silberstein! – Rufe bei der SPÖ: Hörl!) Jetzt muss ich sagen, Ihre gestrigen Aussagen, dass Sie die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft für falsch halten, lassen leider nicht darauf schließen, dass Sie sich Ihrer Verantwortung für Öster­reich, Ihrer Verantwortung für den Rechtsstaat bewusst sind. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Ich halte Ihre gestrigen Aussagen für Ihren ersten schweren Fehler. Damit haben Sie bereits an Ihrem ersten Tag sehr viel Vertrauen verspielt. Es steht Ihnen nicht zu, die Arbeit der Justiz auf diese Art und Weise einfach vom Tisch zu wischen (Abg. Hörl: Schneller arbeiten kann sie schon!), es steht Ihnen nicht zu, die Feststellungen der Staatsanwaltschaft einfach infrage zu stellen. Das lässt den notwendigen Respekt vor Rechtsstaat und Justiz vermissen, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, und das an Ihrem ersten Tag! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Dass Sie gestern betont haben – und es heute wieder tun –, dass Sie weiter sehr eng mit Kurz zusammenarbeiten werden, untermauert Ihren Status: Kanzler von Kurz’ Gnaden.

Herr Bundeskanzler, wollen Sie daran mitwirken, das verlorene Vertrauen in die Regie­rung wiederherzustellen, dann ziehen Sie eine entschiedene Trennlinie zum System Kurz, denn wer blind folgt, kann nicht führen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Wenn Sie Verantwortung ernst nehmen – und davon gehe ich aus –, dann trennen Sie sich von allen – von allen! – unter schwerem Korruptionsverdacht stehenden Mitarbeite­rinnen und Mitarbeitern von Sebastian Kurz! Setzen Sie glaubwürdige Taten, um diese beispiellosen türkisen Skandale aufzuklären! Warten wir ab, was in den nächsten Stunden – wir haben ja gerade wieder etwas Neues gelesen –, warten wir ab, was in den nächsten Tagen und Wochen so kommen wird! Ich verspreche Ihnen: Wir werden genau darauf achten, wie Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Regierungsmannschaft sich verhalten werden, welche Maßstäbe Sie anwenden werden und wie Sie die lückenlose, notwendige Aufklärung dieser zahllosen Korruptionsvorwürfe um Sebastian Kurz sicher­stellen werden. Wir werden genau darauf schauen und achten, wie Sie mit der Justiz unseres Landes und dem Rechtsstaat umgehen werden.

Ich sage Ihnen schon heute: Sollte es nur den kleinsten Anschein geben, dass Sie das System Kurz fortsetzen, dass Sie Aufklärung sabotieren und den Rechtsstaat wieder diffamieren, müssen Sie mit unserem schärfsten Widerstand rechnen. Österreich hat sich Besseres verdient! – Vielen Dank. (Lang anhaltender Beifall bei der SPÖ sowie Beifall bei Abgeordneten der NEOS.)

10.45

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Klubobmann Wöginger. – Bitte.