11.43

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren von der Bundesregierung! Sehr geehrte Damen und Herren! Welch beeindrucken­des Schauspiel wir gerade erlebt haben: Die, die einen Strache zum Vizekanzler und einen Kickl zum Innenminister gemacht haben, machen sich jetzt wichtig. Das ist Fort­setzung der Showpolitik à la ÖVP. – Danke, Kollege Lopatka! (Beifall bei der SPÖ.)

Auch der Herr Bundeskanzler hat es jetzt vorgezogen, diese Nationalratssitzung zu ver­las­sen. Ich möchte ihm trotzdem eines mitgeben, nämlich § 18 Abs. 1 unserer Geschäfts­ordnung, wenn wir von Rechtsstaat und Respekt vor dem Gesetz reden, Herr Bun­deskanzler. Darin ist geregelt, dass die Mitglieder der Bundesregierung hier in diesem Haus als Gäste auftreten können, und das heißt: Es ist nicht Ihre Aufgabe und Ihre Angelegenheit, dem Parlament auszurichten, welche Anträge es stellt, wann es sie stellt und wie es sie stellt. Das geht nur das Parlament etwas an, Herr Schallenberg, merken Sie sich das! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich hätte aber eine Frage – ich mache es einmal anders – an die hier verbliebenen rest­lichen türkisen Ministerinnen und Minister: Was tun Sie eigentlich hier? Was tun Sie hier? (Zwischenruf des Abg. Hörl. – Ruf bei der SPÖ: ... unterschrieben!) Darf ich Ihnen etwas zeigen? (Der Redner hält eine Tafel in die Höhe, auf der unter einem Text mit den Überschriften „Die neue Volkspartei“ und „Gemeinsame Erklärung der ÖVP-Regierungs­mitglieder“ die Namen der Regierungsmitglieder und des Staatssekretärs der ÖVP mit deren Unterschriften zu sehen sind.) Sie haben unterschrieben – ich lese Ihnen das vor –: „Eine ÖVP-Beteiligung in dieser Bundesregierung wird es ausschließlich mit Sebastian Kurz [...] geben“, unterschrieben von Gernot Blümel, Heinz Faßmann, Martin Kocher, Elisabeth Köstinger und noch einigen anderen. Was tun Sie hier? Sagen Sie mir das bitte! Was machen Sie hier? (Beifall bei SPÖ und FPÖ sowie der Abgeordneten Brandstötter und Loacker.)

Es gibt drei Möglichkeiten, die mir jetzt auf die Schnelle einfallen. (Abg. Lopatka: Es gibt mehr!) – Nehmen wir einmal drei: Entweder Sie brechen bewusst Ihr Wort, das Sie den Österreicherinnen und Österreichern gegeben haben – das ist die erste Variante. Die zweite ist: Sie haben ein Gedächtnis wie Herr Blümel (Heiterkeit bei SPÖ und FPÖ) – das ist natürlich auch möglich. Die dritte Variante – die könnte die wahrscheinlichere sein –: Sie glauben auch nicht, dass Herr Schallenberg Bundeskanzler ist, sondern Sie glauben immer noch, dass Herr Kurz das Sagen hat. Und das ist wahrscheinlich die Wahrheit, geschätzte Damen und Herren, und deshalb sitzen Sie hier! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der FPÖ. – Zwischenruf des Abg. Hörl.) Es ist also eine merkwürdige Situation. Wenn Sie wenigstens jetzt aufgestanden wären, als ich Sie darauf aufmerksam gemacht habe – aber gut, das nehmen wir zur Kenntnis.

Wir können einmal resümieren, warum wir heute eigentlich hier sind – jetzt wird es schon ernster als diese Gaukeleien mit Unterschriften (neuerlich die Tafel in die Höhe hal­tend) –: weil gegen Herrn Kurz und sein engstes Umfeld strafrechtlich ermittelt wird, weil Hausdurchsuchungen stattgefunden haben, sogar eine Hausdurchsuchung im Bundes­kanzleramt – zum ersten Mal in dieser Zweiten Republik eine Hausdurchsuchung im Bundeskanzleramt! –, und weil es jetzt schon eine erste Verhaftung gegeben hat. Dieser Verhaftung – davon können Sie ausgehen – werden weitere Verhaftungen folgen. Ich sage Ihnen eines: Das ist zum Schämen! Das ist aber nicht für die Politik, wie das viel­leicht der Bundespräsident gesagt hat, zum Schämen, sondern das ist für die ÖVP und ausschließlich für die ÖVP zum Schämen. Das muss man auch einmal ganz klar sagen! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Schmiedlechner, Brandstötter und Loacker.)

Zur Erinnerung: Es wird wegen Bestechlichkeit, Bestechung und Untreue ermittelt. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat ja aufgedeckt, dass es ein System von Korruption, Machtmissbrauch, Drohungen gegen Kritikerinnen und Kritiker, Angriffen auf die Justiz und Missbrauch von Steuergeldern gegeben hat. Dem neuen Klubobmann der ÖVP, der jetzt zwar Klubobmann, aber kein Abgeordneter ist – was ein interessanter Moment ist, aber das müsst ihr wissen –, drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Der Ruf Österreichs ist Ihnen egal, der ist Ihnen vollkommen egal, den haben Sie massiv geschädigt. In ganz Europa kommen diese Chatverläufe vor und werden gelesen. Das zeigt, welche Charaktereigenschaften man als Klubobmann in der ÖVP anscheinend noch haben kann. Wissen Sie aber, was das Ärgste ist? – Außer dem Bundes­prä­sidenten, der wahrscheinlich wahrlich nichts dafürkann, hat sich überhaupt niemand von Ihnen und schon gar nicht Herr Kurz für all das entschuldigt, und das ist wirklich zum Schämen, geschätzte Damen und Herren. Das ist charakterlos! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Amesbauer und Hauser.)

Ich hätte mir vom neuen Bundeskanzler auch gewünscht und erwartet, dass er sich vom System Kurz klar distanziert. (Bundeskanzler Schallenberg betritt den Saal.) – Herr Bundeskanzler, jetzt sind Sie wieder da, das ist gut so. Ich hätte mir erwartet, dass Sie sich klar vom System Kurz distanzieren. Das hätte ich mir erwartet und das wäre ange­bracht gewesen. Ich hätte mir erwartet, dass Sie in Ihrer Rede nicht einen Schutzschirm um Herrn Kurz und seine Getreuen spannen, sondern sich für Aufklärung einsetzen – das hätte ich mir gewünscht. Ich hätte mir gewünscht, dass in Österreich in Zukunft wieder anständige und moralisch einwandfreie Politik gemacht wird – das hätte ich mir auch gewünscht.

Wissen Sie, was Sie im Gegensatz zu meinen Wünschen getan haben? – Sie haben sich zum Ersatzstrafverteidiger von Herrn Kurz hochstilisiert, und das ist nicht Ihre Auf­gabe als Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Schallenberg. Das ist inakzeptabel! (Beifall bei der SPÖ.)

Mit diesem System muss Schluss sein. Daher werden wir auch einen Antrag einbringen, Herr Präsident, den ich wie folgt darlegen darf:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Korrup­tion im Zentrum der Bundesregierung – dringende Maßnahmen, um weiteren Schaden von der Republik Österreich abzuhalten“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert,

dem Nationalrat innerhalb eines Monats einen Gesetzesentwurf für ein Antikorruptions­paket zuzuleiten, welcher sich an den Forderungen des Rechtsstaats & Anti-Korrup­tionsvolksbegehrens orientiert,

die dem System ‚Kurz‘ zugehörigen – strafrechtlich beschuldigten – Mitarbeiter, bis zum Abschluss der jeweiligen Strafverfahren vorläufig vom Dienst zu suspendieren bzw. ihr Dienstverhältnis sonst ruhend zu stellen, um weiteren Schaden von der Republik Öster­reich abzuhalten,

den ebenfalls als Beschuldigten geführten Strategieberater des Bundeskanzlers, Dr. Stefan Steiner, der nach Medienberichten lediglich in einem Auftragsverhältnis zur Österreichi­schen Volkspartei steht [...]“ – aber im Bundeskanzleramt aus und ein geht –, „ab sofort von allen Regierungsangelegenheiten auszuschließen,

die Finanzprokuratur zu beauftragen, die Republik im Zusammenhang mit Schein­rech­nungen für vorgetäuschte Leistungen schadlos zu halten, sowie

die Justiz in ihrer Arbeit nicht zu behindern“ und die Angriffe der Regierungsver­tre­terInnen auf die Justiz einzustellen.

*****

Ich gebe Ihnen heute einen letzten Ratschlag: Lösen Sie sich vom System Kurz oder Sie werden zu Recht mit dem System Kurz untergehen! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Martin Graf: Der Kurz war schon beim Kaiser und hat sich gefragt ...!)

11.51

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried

Genossinnen und Genossen

betreffend Korruption im Zentrum der Bundesregierung - dringende Maßnahmen, um weiteren Schaden von der Republik Österreich abzuhalten

eingebracht im Zuge der Debatte: Erklärungen des Bundeskanzlers und des Vize­kanzlers gemäß § 19 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Nationalrates anlässlich des Amtsantrittes des Bundeskanzlers und der Ernennung des Bundesministers für euro­päische und internationale Angelegenheiten

Die Ereignisse und Enthüllungen der vergangenen Tage, die Ergebnisse des Ibiza-Untersuchungsausschusses und die öffentlich bekannten Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft lassen nur einen Schluss zu: Unter Sebastian Kurz hielt ein System Einzug in die Institutionen unserer Republik, das parteipolitische Interessen über jene unserer Republik und ihrer EinwohnerInnen stellt und das den moralischen Anforde­run­gen an hohe Regierungsämter nicht einmal annähernd entspricht.

Mittlerweile werden mit Sebastian Kurz und Gernot Blümel zwei Mitglieder der Bundes­regierung von der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Begehung (mehrerer) strafbarer Handlungen als Beschuldigte geführt. Ebenfalls als Beschuldigte werden meh­rere der engsten Vertrauten von Sebastian Kurz, wie dessen Kabinettschef, Mag. Bern­hard Bonelli,  sowie der Medienbeauftragte des Bundeskanzleramts, Mag. Gerald Fleischmann, sowie sein Pressesprecher, Johannes Frischmann, geführt. Mag. Fleischmann und Johannes Frischmann genießen laut Medienberichten Urlaub, über disziplinäre oder arbeitsrechtliche Schritte ist nichts bekannt. Die drohenden Strafen reichen im Falle einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft.

Es zeigt sich, dass trotz der Zurücklegung seines Amtes jenes System, das Sebastian Kurz geschaffen hat, weiter existiert und auch in Zukunft durch dieses System ein Schaden für unsere Republik droht. Die bisherigen Enthüllungen dürften nur die Spitze eines noch viel größeren Eisbergs sein.

In der Unterstützungsphase befindet sich gegenwärtig das „Rechtsstaat & Anti-Korrup­tions­volksbegehren“, welches wertvolle und dringend umzusetzende Forderungen beinhaltet, um korrupte Handlungen insbesondere im Bereich der Politik bereits im Vorfeld zu ver­hindern und in diesem Sinne ebenfalls Schaden von der Republik Österreich abzuhalten.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Entschließung:

„Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert,

dem Nationalrat innerhalb eines Monats einen Gesetzesentwurf für ein Antikorruptions­paket zuzuleiten, welcher sich an den Forderungen des Rechtsstaats & Anti-Korruptions­volksbegehrens orientiert,

die dem System „Kurz“ zugehörigen - strafrechtlich beschuldigten - Mitarbeiter, bis zum Abschluss der jeweiligen Strafverfahren vorläufig vom Dienst zu suspendieren bzw. ihr Dienstverhältnis sonst ruhend zu stellen, um weiteren Schaden von der Republik Österreich abzuhalten,

den ebenfalls als Beschuldigten geführten Strategieberater des Bundeskanzlers, Dr. Stefan Steiner, der nach Medienberichten lediglich in einem Auftragsverhältnis zur Ös­terreichischen Volkspartei steht, aber permanent zugezogen wird, ab sofort von allen Regierungsangelegenheiten auszuschließen,

die Finanzprokuratur zu beauftragen, die Republik im Zusammenhang mit Schein­rech­nungen für vorgetäuschte Leistungen schadlos zu halten, sowie

die Justiz in ihrer Arbeit nicht zu behindern, insbesondere Pressekonferenzen seitens Regierungsvertreter mit Angriffen auf die Justiz zu unterlassen.“

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, aus­reichend unterstützt und steht somit mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Dziedzic. – Bitte.