11.36

Mitglied des Europäischen Parlaments Mag. Dr. Günther Sidl (SPÖ): Sehr verehrter Herr Präsident! Werte Frau Ministerin! Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Hohes Haus! Herzlichen Dank für die Einladung zu dieser Debatte. Gerade bei einem Thema, das über Österreichs Grenzen hinausstrahlt, sind der Austausch, der Dialog und die Zusammenarbeit wichtig, um notwendige Verbesserungen zu erreichen. Das Lieferket­tengesetz ist genau so ein Thema, bei dem man viel zu lange zugeschaut hat und bei dem viel zu lange viel zu wenig passiert ist. Dabei ist die Notwendigkeit für so ein Gesetz mehr als offensichtlich, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Die Internationale Arbeitsorganisation, ILO, gibt an, dass weltweit etwa 40 Millionen Menschen Zwangsarbeit leisten müssen und rund 150 Millionen Kinder im Alter ab fünf Jahren Kinderarbeit leisten. Für die billige Produktion in allen Teilen dieser Welt werden aber nicht nur Menschen ausgebeutet, sondern es wird auch unsere Umwelt gerne geopfert, wenn es um genug Profit geht. Durch die internationalen Handelsbeziehungen beispielsweise ist auch die Europäische Union für 16 Prozent der Regenwaldabholzung verantwortlich. Es ist unglaublich, dass es diese Zahlen im Jahr 2022 noch immer gibt, meine sehr verehrten Damen und Herren, und dass diese Zustände toleriert werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Diese Zustände gibt es immer noch, weil wir wegschauen, anstatt unsere gemeinsame Verantwortung wahrzunehmen; denn alle Studien, ob es um die Ausbeutung von Men­schen oder jene der Umwelt geht, zeigen eines klar: Dort, wo man wegschaut, wird gnadenlos ausgebeutet. Damit muss endlich Schluss sein, werte Kolleginnen und Kollegen (Beifall bei der SPÖ) – denn weder in Österreich noch sonst wo in Europa würden wir die Arbeits- und Lohnbedingungen tolerieren, unter denen Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter etwa in Bangladesch arbeiten müssen. Wir würden es auch nicht tolerieren, dass große Gebiete abgeholzt werden, um Monokulturen wie Soja und Palmöl anzulegen. Es hat gute Gründe, warum wir das nicht tolerieren, Kolleginnen und Kolle­gen: weil es falsch ist, weil es nicht mit unserem Verständnis von Menschenrechten und auch nicht mit unserem Verständnis von einem nachhaltigen Umgang mit unserer Um­welt zu tun hat. (Beifall bei der SPÖ.)

Das, was wir für uns selbst in Anspruch nehmen, muss doch auch außerhalb der Grenzen der Europäischen Union gelten. Die jahrelangen Diskussionen über diese Missstände und die ausbleibenden Verbesserungen zeigen aber auch, dass sich ohne Gesetze nichts ändert. Zahlreiche Selbstverpflichtungserklärungen waren am Ende nichts wert. Nach Katastrophen, die es auch in unsere Medien schaffen, wie beispiels­weise der Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch vor einigen Jahren, gibt es besten­falls punktuelle Verbesserungen – aber an der Marktlogik ändert sich nichts. Deshalb brauchen wir ein Lieferkettengesetz, mit dem wir auch global agierenden Konzernen einen verbindlichen Rahmen dafür vorgeben, unter welchen Bedingungen produziert werden kann – und das ist kein Unternehmerbashing, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir brauchen eine Sorgfaltspflicht für diese Unternehmen, damit ein für alle Mal klar­gestellt ist, dass weder Kinder- noch Zwangsarbeit im Produktionsprozess und innerhalb der Lieferketten toleriert werden; und wir brauchen eine Sorgfaltspflicht, die diesen Unternehmen klar vorgibt, dass in allen Etappen der Lieferketten auch die Umwelt- und Klimastandards eingehalten werden müssen.

Nur mit durchsetzungsfähigen Gesetzen können wir die Lage der Menschen und der be­drohten Umwelt auf der gesamten Welt verbessern, davon bin ich wirklich überzeugt, und nur damit können wir auch unserem eigenen Anspruch, den wir in Österreich, den wir in Europa haben, gerecht werden, Kolleginnen und Kollegen.

Ich habe eingangs schon gesagt, dass es da um ein Thema geht, dessen Bedeutung weit über die Landesgrenzen Österreichs hinausgeht. Die Präsentation des Vorschlags der EU-Kommission für ein europäisches Lieferkettengesetz wurde bereits dreimal ver­schoben, und das zeigt auch, dass es endlich Zeit für ein Initiativrecht im Europäischen Parlament ist, damit wir solche Initiativen selbst anstoßen können.

Ich hoffe aber auch, dass Sie im Nationalrat die Möglichkeit für ein österreichisches Lieferkettengesetz nutzen. Wir alle haben gesehen, dass durch Warten nichts besser wird. Warten wir nicht darauf, dass das jeweilige andere Parlament etwas macht; zeigen wir uns lieber gegenseitig, was alles möglich ist! In diesem Sinne: Gehen wir es gemeinsam an! – Danke sehr. (Beifall bei der SPÖ.)

11.41

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Abgeordnete Ernst-Dziedzic ist zu Wort gemel­det. – Bitte sehr, Frau Abgeordnete.