11.24

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der heutige Tag ist ein trauriger, ein schrecklicher Tag, vor allem für die Ukraine, aber nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Europa, für die gesamte Staatengemeinschaft. Da ist es gut, dass in solchen ernsten und herausfor­dernden Zeiten unsere Bundesregierung eine klare Position einnimmt und damit auch die Europäische Union stärkt. In Tagen wie diesen brauchen wir eine starke Europäische Union.

Meine Damen und Herren! Ja, militärisch sind wir neutral, das kann aber kein neutrales Wegsehen bedeuten, wenn völkerrechtswidrig die Souveränität der Ukraine von Russ­land derartig brutal verletzt wird. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Abgeordneten der NEOS.) Österreich hat zehn Jahre lang um seine Souveränität ringen müssen, wir haben sie 1955 erreicht. Die Ukraine hat die Souveränität selbst bestimmen können. Am 1. Dezember 1991 ist in der Ukraine abgestimmt worden. 92,3 Prozent haben für die Souveränität gestimmt. In den besetzten Gebieten in Luhansk und in Donezk waren es mehr als 80 Prozent. Auch auf der Krim hat es eine absolute Mehrheit für die Souve­ränität gegeben.

Letztes Wochenende hat die Sicherheitskonferenz in München stattgefunden. Dort hat Putin übrigens schon 2007 angekündigt, was er jetzt gemacht hat. Für mich war aber an diesem Wochenende bemerkenswert, dass auch der chinesische Außenminister Wang Yi die Souveränität der Ukraine ausdrücklich anerkannt hat. Russland ist da wirklich iso­liert. Nur Staaten wie Venezuela und Kuba vertreten dieselbe Sicht der Dinge, mehr als 190 Staaten der Welt sehen es anders.

Russland handelt eindeutig gegen alle völkerrechtlichen Prinzipien. Was heißt das für uns als neutraler Staat? – Ja, wir haben politisch für die Achtung der Souveränität der Ukraine, für die Menschen in der Ukraine und gegen den Aggressor Putin Partei zu er­greifen. (Beifall bei ÖVP und NEOS sowie bei Abgeordneten der Grünen.) Das muss man deutlich sagen: gegen den Aggressor Putin. Es ist nicht das russische Volk – das wird ja nicht gefragt –, sondern es ist vor allem eine Person, die das zu verantworten hat.

Russland hat die Schlussakte von Helsinki mitverhandelt, und in dieser Schlussakte ist eindeutig die Unverletzlichkeit der Grenzen festgesetzt.

Was wir tun müssen, ist – und da kann ich mich der Klubobfrau der Sozialdemokrati­schen Partei vollkommen anschließen –, alles zu tun, damit man wieder an den Ver­handlungstisch zurückkommt, damit es zu einer Waffenruhe kommt. Das ist der ent­scheidende Punkt. Wir haben Partei zu ergreifen, dafür, dass die OSZE ihre wichtige Arbeit fortsetzen kann, um auch so das Blutvergießen von Zehntausenden Menschen – das dürfen wir ja nie vergessen – zu verhindern. Ja, wir haben auch für das Sanktionen­system der Europäischen Union Partei zu ergreifen. Ja, das wird auch uns weh tun, aber es ist notwendig, klar so vorzugehen, wie es die Europäische Union vorhat, in einem Stufenplan, und zu sehr drastischen Maßnahmen zu greifen.

Die Zeiten sind zweifelsohne herausfordernd. Wir als neutraler Staat haben da einen Kompass, der uns die Richtung weist. Diese Richtung kann nur Sicherheit und Zusam­menarbeit heißen – und wir haben eine Organisation für Sicherheit und Zusammenar­beit. Das müssen wir als neutraler Staat ganz massiv unterstützen. Russland und die Ukraine sind in der OSZE, in dieser Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit, vertreten. Während wir hier sitzen, tagt in der Hofburg die Parlamentarische Versamm­lung der OSZE. Das heißt, Österreich kommt da eine ganz wesentliche Aufgabe zu.

Wenn der Westen nach 1989 einen Fehler gemacht hat, dann den, dass wir geglaubt haben, dass die Ost-West-Konfrontation vorbei ist, dass das imperiale Denken von Putin vorbei ist. Das waren vielleicht große Irrtümer. Putin hat das nie aufgegeben! Ich nenne nur Transnistrien, Georgien, Belarus oder zuletzt Kasachstan. Ob gerufen oder nicht, Putin ist in diese Länder gegangen, hat sich massiv eingemengt.

Andererseits ist er im eigenen Land immer mehr unter Druck gekommen, gerade in der letzten Zeit. Die Reallöhne sind gesunken, die Coronamaßnahmen werden von der Be­völkerung in Russland nicht mitgetragen, Kritiker sind immer mehr drangsaliert worden, die Beliebtheitswerte sind gesunken, und was wir wenig bemerkt haben: Im letzten Jahr haben in Russland trotz dieser Repression in 120 Stadtgemeinden Demonstrationen stattgefunden. Zehntausende Jugendliche sind gegen Putin auf die Straße gegangen.

Ja, da hilft es dann immer, den Feind im Ausland zu suchen. Es war für mich nach der Annexion der Krim, nach dem Krieg seit 2014, nicht überraschend, dass Putin diesen Schritt gesetzt hat. Krieg und Gewalt können aber nie Mittel der Politik sein. Mit diesem einseitigen, völkerrechtswidrigen Vorgehen, meine Damen und Herren, mit der Anerken­nung der selbsternannten Volksrepubliken und mit seinem Einmarsch hat Putin einen Weg beschritten, der bei uns massivst auf Widerstand stoßen muss. Es sind rote Linien überschritten worden, da können wir nicht zusehen. Da kann es bei uns keine politische Neutralität geben.

Klubobmann Kickl, weil Sie zwischengerufen haben und nach mir reden werden: Sie sollten sich schämen, als Obmann einer freiheitlichen Partei die Freiheit der UkrainerIn­nen, ihren Freiheitswillen so zu missachten – das sage ich Ihnen schon. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Zwischenruf des Abg. Kickl.) Ihr Verhalten, das Sie bisher in dieser Krise durch Ihre Wortmeldungen an den Tag gelegt haben – und das wird sicher heute auch kommen –, nenne ich nur feig. (Abg. Kickl: Ich weiß nicht, was Sie meinen! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Wir brauchen hier den Mut, die Dinge klar beim Namen zu nennen – den Mut brauchen wir, der fehlt Ihnen. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Neuerli­che Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Daher bin ich sehr froh, dass heute der Bundeskanzler und der Vizekanzler ganz klar gesagt haben, dass wir eine Herrschaft des Rechts wollen und nie das Recht des Stärkeren akzeptieren können. (Zwischenrufe der Abgeordneten Belakowitsch, Rauch und Stefan.)

Daher bringe ich auch folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Unterstützung der Ukraine in der aktuellen Krise“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und internatio­nale Angelegenheiten, werden ersucht, sich gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten für eine Waffenruhe und weiterhin strikt für die Einhaltung des Völkerrechts, der VN-Satzung und der Prinzipien der Schlussakte von Helsinki sowie der Charta von Paris einzusetzen sowie in der gegenwärtigen Situation laufende Bemühungen für eine Rückkehr zu einer Verhandlungslösung weiterhin zu unterstützen.

Zudem wird die Bundesregierung ersucht, die Verhängung zusätzlicher Sanktionen auf EU-Ebene mitzutragen und sich weiterhin für eine geeinte entschlossene EU-Positionie­rung in dieser Frage einzusetzen.

Die österreichische Bundesregierung möge ihre Solidarität mit der Ukraine deutlich be­kunden und wird ersucht, der Ukraine weiterhin humanitäre Hilfe bereitzustellen sowie bei Bedarf die OSZE Sonderbeobachtungsmission zu stärken.“

*****

Meine Damen und Herren, ja, es geht hier um die Ukraine, aber in Wirklichkeit geht es heute um mehr: Es geht um die Zukunft und Sicherheit unseres Kontinents. Es geht wie schon gesagt um unser europäisches Lebensmodell, um ein Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand, das von den Menschen selbstbestimmt ist. Das dürfen wir nicht nur in­nerhalb der Europäischen Union so sehen, sondern wir sind verpflichtet, uns dafür ein­zusetzen, dass auf unserem Kontinent – und es ist unser Kontinent Europa – Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in allen Staaten für alle Bürgerinnen und Bürger ohne Abstriche möglich werden. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie der Abgeordneten Künsberg Sarre und Scherak.)

11.33

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Helmut Brandstätter

Kolleginnen und Kollegen

betreffend Unterstützung der Ukraine in der aktuellen Krise

eingebracht im Zuge der Debatte zu Tagesordnungspunkt 1 Erklärung des Bundeskanz­lers und des Vizekanzlers gemäß § 19 Abs. 2 GOG-NR anlässlich der aktuellen Krise zwischen Russland und der Ukraine

Am 21. Februar 2022 hat der Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin die Unabhängigkeit der völkerrechtlich zum ukrainischen Staatsgebiet gehörenden selbster­nannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk mittels Dekret anerkannt und die Entsen­dung von russischen Truppen in die Gebiete im Osten der Ukraine angekündigt. Nach Unterzeichnung der zwei Dekrete durch den Präsidenten am 21. Februar ratifizierten die russische Staatsduma und der Föderationsrat am 22. Februar die Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten und die Verträge über „Freundschaft und Beistand“ mit den Separatistengebieten.

Die am 24. Februar 2022 vom Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin angeordnete Militäroperation in der Ukraine ist aufs Äußerte zu verurteilen, eine gravie­rende Verletzung des Völkerrechts und ein komplett ungerechtfertigter Angriff auf die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine. Diese aktuelle Krise macht zudem eine langfristige und strategische Reduktion der Abhängigkeit Europas von fossilen Energieträgern deutlich.

In seiner Rede am 20. Jänner 2022 im österreichischen Nationalrat stellte Außenminister Alexander Schallenberg bereits fest, dass Russland Verhandlungen über seine Forde­rung nach rechtlich verbindlichen Sicherheitsgarantien der USA und der NATO nicht mit Panzern und Raketen, sondern ausschließlich mittels Dialog führen könne. Gleichzeitig erinnerte der Außenminister an die klare EU-Linie, dass Verhandlungen niemals auf Kos­ten der europäischen Sicherheit oder der Souveränität und Unabhängigkeit seiner Partner gehen könnten und dass jede weitere Aggression gegen die Ukraine massive wirtschaft­liche und politische Konsequenzen für Russland haben werde. Der Außenminister erin­nerte zudem an die Grundpfeiler der Schlussakte von Helsinki. Russland hat die Grund­pfeiler der europäischen Sicherheitsordnung in der Helsinki Schlussakte mitverhandelt und müsse sich daher auch zu den Prinzipien der Nichtandrohung von Gewalt und der Unverletzbarkeit von Grenzen bekennen.

Die Linie der österreichischen Bundesregierung spiegelt sich auch in der Unterstützung für die am 23. Februar 2022 verhängten EU-Sanktionen wieder. Die Sanktionen wurden im Rat einstimmig und in einer beachtenswerten Schnelligkeit beschlossen. Für den 24. Februar wurde ein EU-Sondergipfel anberaumt.

Da diese militärische Eskalation beträchtliche Auswirkungen auf die österreichische Ge­sellschaft und Wirtschaft hätte, ist es notwendig, dass das Parlament der Bundesregie­rung die Unterstützung für eine entschlossene Politik im Einklang mit den EU-Partnern zur Einforderung der Einhaltung des Völkerrechts ausspricht.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und interna­tionale Angelegenheiten, werden ersucht, sich gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten für eine Waffenruhe und weiterhin strikt für die Einhaltung des Völkerrechts, der VN-Satzung und der Prinzipien der Schlussakte von Helsinki sowie der Charta von Paris einzusetzen sowie in der gegenwärtigen Situation laufende Bemühungen für eine Rück­kehr zu einer Verhandlungslösung weiterhin zu unterstützen.

Zudem wird die Bundesregierung ersucht, die Verhängung zusätzlicher Sanktionen auf EU-Ebene mitzutragen und sich weiterhin für eine geeinte entschlossene EU-Positio­nierung in dieser Frage einzusetzen.

Die österreichische Bundesregierung möge ihre Solidarität mit der Ukraine deutlich be­kunden und wird ersucht, der Ukraine weiterhin humanitäre Hilfe bereitzustellen sowie bei Bedarf die OSZE Sonderbeobachtungsmission zu stärken“.

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unter­stützt, ordnungsgemäß eingebracht und steht somit mit in Verhandlung.

Zu Wort gelangt Klubobmann Kickl. – Bitte, Herr Klubobmann.