11.50

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Herr Präsident! Herr Kanzler! Herr Vize­kanzler! Werte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Geschätzte Kollegen und Kolleginnen! In einem Moment, in dem ein Blutbad begonnen wird, von beiden Seiten zu sprechen, die eine Verantwortung haben, ist zynisch, ist unverantwortlich, ja, es ist eine Schande für das österreichische Parlament, Kollege Kickl! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Ich war ein Jahr alt, als in Polen das Kriegsrecht ausgerufen worden ist. Ich war drei, als dieses beendet wurde, weitgehend ohne Blutvergießen. Als Kind habe ich den Geschich­ten meiner Oma gelauscht, wie sie sich unter einem toten Pferd versteckt hat, weil nicht nur am 1. September die Nazis in Polen einmarschiert sind, sondern es 16 Tage später auch eine russische Invasion gab. 1988, als mein Vater verhaftet worden ist, sagte meine Mutter: Es ist für die Freiheit! 1989, als wir nach Wien kamen, war mir klar: Meine politi­sche Laufbahn wird immer darauf basieren, für Demokratie, Freiheit und Frieden zu kämpfen. (Beifall bei Grünen, ÖVP und NEOS sowie des Abg. Rainer Wimmer.)

Ich dachte immer, diese Einigkeit gibt es hier in Österreich. Ich war dankbar, dass diese nicht infrage gestellt wird. Diese Sicherheitsinfrastruktur, die wir uns in Europa seit 1989 erkämpft haben, ist im Moment nicht nur gravierend infrage gestellt, sie wird mutwillig zerstört. Ja, es stimmt schon, es hat sich abgezeichnet: Die Eskalation war vorherseh­bar, aber viele von uns haben das nicht ernst genommen. Viele von uns haben zuge­schaut, viele von uns haben relativiert, nicht nur bei der FPÖ, auch bei der SPÖ (Zwi­schenruf des Abg. Martin Graf), auch bei den anderen Parteien habe ich immer wieder vernommen, dass es da keine Klarheit gibt, keine Klarheit, wenn es darum geht, Russ­land gegenüber Position zu beziehen. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Martin Graf.)

Jetzt stehen wir da mit einer Katastrophe im Angesicht, konfrontiert mit einem Angriff, der sicherlich nicht morgen wieder aufhört, und mit der Situation, dass Millionen Men­schenleben akut bedroht sind. Wenn Sie sich Bilder von den Verkehrsstaus jetzt gerade rund um Kiew anschauen, kriegen Sie womöglich genauso wie ich Gänsehaut. Stellen Sie sich vor, Sie stehen dort in diesem Stau und jemand hier im österreichischen Parla­ment sagt: Na ja, vielleicht ist auch ein bisschen die andere Seite schuld! – Unglaublich eigentlich! (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Abgeordneten der NEOS.)

Ja, nur stabile Demokratien können Despoten und Autokraten wie Putin begegnen. Nur dann können wir ihm die Stirn bieten: wenn wir als westliche Demokratien nicht nur klar sind, sondern wenn wir die Demokratie, den Rechtsstaat, den Frieden, die Freiheit, die Selbstbestimmung, das Völkerrecht hochhalten. Das ist jetzt im Moment wichtiger denn je. Noch eine Sache ist wichtig: die Zivilgesellschaft nicht zu vergessen, all die Men­schen, die sich jetzt in ihrer Verzweiflung von uns allen alleingelassen fühlen, allen voran die Kinder, die Frauen.

Unser Appell darf hier heute nicht verhallen, sondern muss in die internationalen Gre­mien weitergetragen werden und muss lauter werden – so laut, wie es schon 1889 die österreichische Autorin und Friedensaktivistin Bertha von Suttner gesagt hat: „Die Waf­fen nieder!“ – Ihr seid nicht allein. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Abge­ordneten der NEOS.)

11.54

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Klubobfrau Beate Meinl-Rei­singer. – Bitte.