15.22

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundes­kanzler! Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Bundesregierung! Sehr geehrter Gesundheits- und Sozialminister! Sehr geehrte Damen und Herren! – Herr Bundeskanzler! Es hat leider ein wenig gedauert, bis Sie sich zu klaren Worten bezüglich Neutralität gestern durchringen konnten (Zwischenrufe bei der ÖVP), aber es war richtig und wichtig, dass Sie das gemacht haben (Abg. Meinl-Reisinger: Das ist jetzt das Allerwichtigste! In der Ukraine sterben die Leute, das ist eine humanitäre Katastrophe, aber das ist das Aller­wichtigste, dass die Sozialdemokratie ...!), aber dass Ihr Wehrsprecher vorgestern noch ganz anders darüber gesprochen hat, das ist mehr als bemerkenswert. (Beifall bei der SPÖ.)

Eines muss an dieser Stelle schon festgehalten werden, nämlich dass Sie, Herr Bun­deskanzler, am Wochenende davon gesprochen haben, dass uns die Neutralität 1955 aufgezwungen wurde. (Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.) Allein das ist ein Grund, ein paar Dinge zurechtzurücken, und dazu lese ich Ihnen gern ein Zitat vor (Bundes­kanzler Nehammer: Hugo Portisch!):

„Der vorliegende Gesetzentwurf gelangt erst heute zur Abstimmung, da der letzte fremde Soldat österreichischen Boden verlassen hat, um eindeutig darzutun, daß die Beschluß­fassung der legitimen, frei gewählten österreichischen Volksvertretung in voller Unab­hängigkeit und in voller Freiheit erfolgt.“ (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Meinl-Reisinger: Und die Sozialdemokratie macht das, das ist nicht zum Aushalten! – Abg. Scherak: Die Russen wollten das gar nicht! ...!)

Wissen Sie, Herr Bundeskanzler, von wem dieses Zitat stammt? – Das ist von einem Ihrer Vorgänger, ÖVP-Bundeskanzler Julius Raab (Bundeskanzler Nehammer: Ja, weil er sonst nicht ...!), aus dem Jahr 1955, aus einer Parlamentsrede damals zur Beschluss­fassung des Bundesverfassungsgesetzes über die Neutralität Österreichs. (Abg. Meinl-Reisinger: Frau Kollegin, jetzt sterben Leute! Können wir über das Heute reden?)

Ich lese Ihnen gern noch einen Satz vor, der besagt: „[...] das österreichische Volk wird die künftige Neutralität weder als aufgezwungene Verpflichtung noch als geistige Steri­lisierung auffassen [...].“ (Bundeskanzler Nehammer: Komisch, dass man das musste ...!) – Diese Worte stammen von Bruno Pittermann, dem damaligen SPÖ-Klubobmann, späteren SPÖ-Vorsitzenden, aus seiner Rede auch zur Neutralität 1955.

In voller Unabhängigkeit und in voller Freiheit, nicht aufgezwungen! – Herr Bundes­kanz­ler, Österreich entschied sich 1955 ganz bewusst, keinem Militärbündnis beizutre­ten. Wir wollten neutral sein, wir wollten unsere Neutralität – und wir wollen es heute noch, Herr Bundeskanzler! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Ihre Aussage von der aufgezwungenen Neutralität verdreht irgendwie die Tatsachen unserer österreichischen Geschichte, und wissen Sie, was es noch ist: Es ist ein Schlag ins Gesicht der Gründerväter unserer Zweiten Republik. (Beifall bei der SPÖ. – Bundes­kanzler Nehammer: Das, was Sie jetzt reden, ist ein Schlag ins Gesicht! – Abg. Wöginger: Ah, jetzt ist es ganz ...! So ein Theater! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Sie haben heute auch die Möglichkeit dazu, das wieder richtigzustellen. Sie wären nicht der Erste in den letzten Wochen aus Ihrer Partei, der seine Aussage zur österreichischen Geschichte richtigstellen muss. (Abg. Ottenschläger: Das ist unglaublich, diese Rede! – Bundeskanzler Nehammer: Ist das eine Kommunistenrede? Ich verstehe es nicht!)

Gleichzeitig, sage ich Ihnen auch, Herr Bundeskanzler und sehr geehrte Damen und Herren, ist die Verteidigung unserer Neutralität notwendig. (Abg. Wöginger: Na, ärger geht’s nicht mehr!) Deswegen ist es unbestritten, dass die Ausstattung unseres Bundes­heeres ausgebaut und erneuert werden muss. Sie muss auch den modernen Risken der Zeit angepasst werden, und daher braucht es auch Mittel, um das sicherzustellen.

Ja, sehr geehrte Damen und Herren, wir sind heute hier aufgrund der sechsten – der sechsten! – Regierungserklärung zur Regierungsumbildung, der sechsten innerhalb von zwei Jahren. Es ist die sechste Regierungserklärung, wir haben den dritten Kanzler in diesen zwei Jahren, den dritten Gesundheits- und Sozialminister, wir hatten zwölf Minister- und Ministerinnenwechsel. Das sind fast monatliche Wechsel von Regierungs­mitgliedern (Zwischenruf bei der ÖVP), und das nicht irgendwann, sondern in einer Zeit, in der die größte Gesundheitskrise seit 100 Jahren stattfindet, ein Krieg seit Jahrzehnten wieder in Europa mit all den schrecklichen sozialen und wirtschaftlichen Folgen.

Diese schnellen Wechsel von Kanzlern und Ministern in Österreich in den letzten zwei Jahren, quasi am laufenden Band, werden zu einer gefährlichen, würde ich fast sagen, Normalität. Diese Normalität ist gefährlich, weil man sich daran gewöhnen kann, aber dieser häufige Wechsel ist nicht normal, und es stellt sich die Frage, ob es nicht ehrlicher wäre, sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung, sich einzugestehen, dass Ihre Koalition nichts mehr zustande bringt (Beifall bei der SPÖ – Oh-Rufe bei der ÖVP – Abg. Wöginger: So ein Blödsinn!) und dass Sie folglich auch nicht in der Lage sind, diese großen, diese dringenden Aufgaben, die auf Österreich zukommen, die bereits da sind – viele wurden heute ja in Ihren Reden bereits erwähnt –, auch zu bewältigen.

Heute ist Internationaler Frauentag. Im Bereich der Frauenpolitik ist seit zwei Jahren nichts passiert und alles brachgelegen. (Ruf: Das stimmt doch nicht! – Weitere Zwi­schenrufe bei ÖVP und Grünen.) Ich weiß, sehr geehrte Damen und Herren der ÖVP, dass Sie das nicht gerne hören, das ist verständlich, und ich weiß auch, dass Sie das nicht tun werden: Sie werden nicht ehrlich mit dieser Bilanz umgehen. Sie werden weitermachen wie bisher. Sie werden weiterwurschteln, Sie werden weiter streiten, ob jetzt gerade bei der CO2-Bepreisung, aktuell heute zu lesen, ob bei der Frage der Flüchtlinge aus der Ukraine: Wer darf aufgenommen werden, wer ist Flüchtling, wer ist kein Flüchtling in Österreich?, ob bei den notwendigen Maßnahmen gegen die Teue­rung, ob bei den Coronamaßnahmen in den letzten Monaten, auch da wurde ja ge­stritten. Das Schlimmste dabei: Das alles machen Sie auf dem Rücken der Menschen in Österreich, nur weil Sie sich nicht eingestehen können, dass Ihre Regierung am Ende ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Sehr geehrter Herr Gesundheits- und Sozialminister, lieber Johannes Rauch! Sie über­nehmen eine schwere, aber eine sehr wichtige Aufgabe in Österreich, und ich wünsche Ihnen, wie schon Ihren beiden Vorgängern, alles Gute. Ich wünsche Ihnen viel Kraft und vor allem Durchhaltevermögen in dieser wichtigen Rolle. Ich wünsche Ihnen aber auch eines, und auch das habe ich Ihren Vorgängern bereits gewünscht, nämlich Durchset­zungsvermögen; Durchsetzungsvermögen innerhalb dieser Bundesregierung, wenn es darum geht, die Gesundheit der Menschen zu schützen und dabei das Richtige zu tun – und Sie können heute damit beginnen.

Sie haben in Ihrer gestrigen Antritts-PK hinsichtlich der Pandemie nämlich schon etwas sehr Richtiges gesagt: Die wichtigste Aufgabe im neuen Amt ist eine seriöse Vorbe­reitung auf den Herbst.

Jetzt stellt sich für mich und für viele nur die Frage: Wie wollen Sie das schaffen? Wie wollen Sie sich seriös auf den Herbst vorbereiten? Wenn wir uns die aktuelle Corona­situation in Österreich nämlich anschauen, dann sehen wir Folgendes: Wir sehen, dass es seit letztem Wochenende so gut wie keine Regeln mehr gibt, an vielen Orten keine Masken mehr, die getragen werden müssen, kaum Anstrengungen fürs Impfen. Die Zahl der Impfwilligen ist in Österreich auf eine Minimalzahl geschrumpft, bald werden auch keine kostenlosen Tests, PCR-Tests, zur Verfügung stehen, und somit sind auch kein Überblick und nicht mehr die Kontrolle über die Infektionsentwicklung in Österreich gegeben.

Ich weiß es und Sie wissen es, dass Sie die Möglichkeit haben, da noch gegenzusteuern, und ich hoffe, dass Sie das tun werden. Wien zeigt vor, wie es geht (Abg. Belakowitsch: Ja!), und Sie können es für ganz Österreich in die Hand nehmen, Herr Gesundheits­minister!

Ein Punkt ist mir aber zum Schluss auch noch wichtig, nämlich einer, der bei Ihren Vor­gängern immer zu kurz gekommen ist: die Sozialpolitik. Sie sind seit heute Vormittag ja auch Sozialminister. (Beifall bei der SPÖ.)

Nehmen Sie die Dinge in die Hand, Herr Minister, es gibt genug zu tun! Die Teuerung ist so hoch wie noch nie, die Menschen leiden darunter, es muss jetzt geholfen werden, und zwar wirklich, um Armut in Österreich zu verhindern. Nehmen Sie die Dinge in die Hand, bei der Pflege und bei den Pensionen! Sie wissen: Wir haben aufgrund der starken Teuerung vorgeschlagen, dass es eine vorgezogene Pensionsanpassung gibt, weil gerade die Pensionistinnen und Pensionisten unter dieser Teuerung noch mehr leiden und das Leben auch im Alter leistbar bleiben und sein muss.

Ja, all das wäre möglich, all das wäre notwendig, all das würden die Menschen so dringend jetzt in Österreich brauchen und all das würde helfen. Für all das aber braucht es eine Bundesregierung, die will. Nur: An das Wollen dieser Regierung, das Leben der Menschen in Österreich tatsächlich zu verbessern, daran glaube ich nach diesen zwei Jahren nicht mehr. Ihnen persönlich, Herr Minister, wünsche ich alles, alles Gute und viel Kraft! – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

15.32

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Abgeordnete Schwarz ist zu Wort gemel­det. – Bitte sehr.