16.06

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Werte Mitglieder der Bun­desregie­rung! Sehr geehrter Herr neuer Gesundheits- und Sozialminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Es ist ein bisschen schwierig, heute zu sprechen, weil wir über sehr viel reden müssten, einerseits natürlich über die Regie­rungsumbildung, andererseits hätte ich ganz gerne dem Internationalen Frauentag noch mehr Aufmerksamkeit gewidmet, besonders steht aber natürlich auch für uns der Krieg in der Ukraine im Vordergrund, und diesem werde ich den Hauptteil meiner Rede wid­men.

Ich möchte aber trotzdem damit einleiten, dass ich Sie, Herr Minister, ganz herzlich hier im Hohen Haus begrüßen möchte. Ich wünsche auch Ihrem Vorgänger Wolfgang Mückstein tatsächlich persönlich von Herzen alles Gute. Es hat mich sehr bewegt, was er über die Anfeindungen in der Politik gesagt hat. Es ist ja nicht so, als ob wir das nicht mitbekämen, wie die Stimmung und der Ton immer rauer werden. Gerade am Interna­tionalen Frauentag, an dem wir auch über Gewalt an Frauen sprechen, müssen wir darüber reden, dass Gewalt immer zuerst mit verbaler Gewalt beginnt und dass diesbe­züglich schon längst Grenzüberschreitungen in unserem Land stattgefunden haben. Etwas, das wir nicht wollen, ist, dass verbale Gewalt gegen die Politik oder gegen Politikerinnen und Politiker an sich stattfindet – das ist unerträglich. Ich finde, wir sollten alle gemeinsam daran arbeiten, zu deeskalieren.

Ich möchte ihm wirklich alles, alles Gute wünschen und auch danken. Wir waren nicht immer einer Meinung, wir haben es nicht immer für glücklich befunden, wie er agiert hat. Ich denke aber trotzdem, dass jedem, und das habe ich schon oft gesagt, Dank gebührt, der sich in den Dienst unseres Landes und unserer Gemeinschaft und der Menschen in unserem Land stellt. (Beifall bei NEOS, ÖVP und Grünen.)

Erlauben Sie mir aber bitte dennoch, zu sagen – das habe ich auch klar gesagt –, dass ich es mehr als unglücklich finde, dass es jetzt, gerade in einer Pandemie, den dritten Gesundheitsminister gibt. Es ist mehr als unglücklich, welches Bild eines instabilen Zustands die österreichische Bundesregierung gerade jetzt nicht nur abgibt, sondern wie sie tatsächlich auch umherstolpert. Auch der Krieg in der Ukraine und die zum Teil durchaus klare und gute Rhetorik dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass an großen Aufgaben nichts effektiv bewältigt wurde.

Es ist also doch zu hoffen, dass in die großen Aufgaben, die vor uns liegen und die auch einen echten Neustart brauchen, jetzt ein anderer Schwung, eine andere Energie, eine andere Tatkraft und auch ein anderes Leadership Einzug hält.

Ich möchte zum Krieg in der Ukraine kommen und dazu auch etwas sagen. Ich war gestern in der Ukraine. Das hat sich so ergeben, das war gar nicht so geplant. Ich wollte an die slowakisch-ukrainische Grenze, um einen Hilfstransport zu begleiten, der von unseren MitarbeiterInnen in wirklich ganz toller Art und Weise binnen einer Woche auf die Beine gestellt wurde; es wurde ein Klein-Lkw samt einem großen Anhänger und es sind über 10 000 Euro an Spenden eingegangen, mit denen Medikamente und Lebens­mittel gekauft wurden.

Aufgrund von Verwirrungen, wo unser Lkw gelandet ist, begab es sich, dass wir – mit Unterstützung des österreichischen Außenministeriums – auch tatsächlich in der Ukraine waren, und zwar um die Gegend von Uschhorod. Wir sind von der Slowakei in die Ukraine nach Ushhorod und haben dann über Tschop  das ist an der ungarischen Grenze  die Ukraine wieder verlassen.

Wir hatten auch die Möglichkeit, zwei Abgeordnete des ukrainischen Parlaments zu treffen, und ich möchte Ihnen daher an dieser Stelle auch ihren Dank ausrichten. Diese beiden, die wir gemeinsam mit Verwaltungsbeamten und Militärs getroffen haben, aber vor allem auch die Freiwilligen, die wir in einem Logistikzentrum erlebt haben, die gerade dabei waren, nicht nur unseren Transport, sondern ganz viel von dem, was derzeit aus Österreich kommt, sozusagen weiterzuverarbeiten, auf Lkws zu verladen oder auch anderweitig in den Osten der Ukraine zu bringen, haben uns gebeten, auszurichten, dass sie sich von Herzen beim österreichischen Parlament und beim österreichischen Volk für die großartige Unterstützung, die in den vergangenen Tagen eingelangt ist, bedanken möchten. Ja, sie brauchen bestimmte Dinge, wie Helme, Schutzwesten, Knieschützer, Medikamente, ganz massiv, aber sie sagen auch ganz offen, dass sie alles nehmen und froh über alles sind, das ankommt.

Was ich Ihnen auch sagen möchte, ist, dass in der Gegend von Transkarpatien derzeit ungefähr 100 000Vertriebene, wie sie es nennen, aufhältig sind, in Polen mehr, aber auch dort Zehntausende über die Grenze strömen, sozusagen ein bisschen geleitet, an der einen Grenze mit dem Auto, an der anderen Grenze zu Fuß. Das sind Ströme von Menschen: so viele Frauen mit kleinen Kindern – so viele kleine Kinder! –, so viele ältere Frauen, so viele Frauen und so viele kleine Kinder, die mit einem Rucksack und mit einem kleinen Kinderrucksack über die Grenze gehen, junge Frauen, die ausschauen, als wären sie gerade aus einem Hörsaal in Wien rausgekommen, und die sich jetzt aus dem Osten der Ukraine einfach zu Fuß auf den Weg zur Grenze machen – hoffentlich, denn es ist nicht sicher, dass humanitäre Korridore, wie jetzt zum Beispiel in der großen Frage von Mariupol, auch tatsächlich funktionieren.

Es ist sehr wichtig, dass wir hier klar Stellung beziehen, dass wir auch als Österreich gemeinsam mit der Europäischen Union zusammenstehen und das tun, was notwendig ist, nämlich den Aggressor, der diesen Angriffskrieg angezettelt hat, klar zu benennen: Das ist Wladimir Putin und sein offizielles Russland! (Beifall bei NEOS, ÖVP und Grünen.)

Es ist auch ganz klar, dass sich die Menschen in der Ukraine und vor allem die Vertreter des dortigen Parlaments eines wünschen: eine Flugverbotszone. Wir wissen aber, was das bedeuten würde, nämlich tatsächlich den Eintritt westlicher Mächte, unter Um­ständen der Nato in diesen Krieg, und das wäre doch ein Schritt, der eine sehr weit­reichende Konsequenz hätte.

Daher halte ich es für notwendig, kompromisslos an allen anderen Schrauben zu drehen. Und ja, ich bleibe dabei: Sich nicht klar zu einer Seite zu bekennen, und zwar zur Seite der Freiheit, des Friedens, der Demokratie, der Menschenrechte, ist meines Erachtens auch Feigheit oder ein weiteres In-die-Knie-Gehen vor Putin. Das bedeutet selbstver­ständlich auch wirtschaftliche Sanktionen. Es ist angesprochen worden: Wirtschaftliche Sanktionen sind das, an dem sich Österreich auch beteiligt, und ich bin davon überzeugt, dass dabei ein Kalkül nicht aufgegangen ist. Ich habe hier vor ein paar Tagen gesagt, wenn Sie sich erinnern, dass Putin natürlich auch ein Kalkül hat, nämlich dass die Europäische Union vielleicht nicht geschlossen agiert. Das tut sie aber! Das tut sie seit langer Zeit wieder einmal. Es ist da eine Geschlossenheit, gerade auch in der Frage der wirtschaftlichen Sanktionen.

Die Frage, die ich mir allerdings stelle, auch in Bezug auf die Frage, welche weiteren Schritte gesetzt werden können, ist: Worauf warten wir? Ich bin der Meinung, dass Europa diese Sanktionen gemeinsam beschließen muss, und ich höre, dass es zu weiteren kommen wird – aber was sind die Momente, an denen man sagt, es ist der Moment für einen weiteren Sanktionsschritt erreicht? – Wenn Kiew genauso wie Charkiw in Schutt und Asche gelegt wurde? – Das halte ich für zu spät. Das ist eindeutig zu spät! Wenn man Karten in der Hand hat und bereit ist, Europa bereit ist, einen weiteren Schritt zu gehen, dann ist mir nicht ganz klar, worauf man wartet  so weh das natürlich auch tun mag , denn die Menschenrechtsverletzungen, die Kriegsverbrechen finden jetzt statt! Charkiw ist in Schutt und Asche gelegt worden. Mir wurde auch von Bombar­de­ments berichtet – Sie können das eh alles nachlesen – betreffend ein Spital in Kiew, nämlich jenes, in dem die größte Kinderonkologie der Ukraine untergebracht ist – das ist bombardiert worden! Also wenn es weitere Sanktionen gibt, dann ist, glaube ich, jetzt der richtige Zeitpunkt dafür (Beifall bei den NEOS), natürlich ganz klar auch in der Frage, was das hinsichtlich der Abhängigkeit von Gas und Öl und einen möglichen Importstopp bedeutet.

Ich möchte an dieser Stelle aber noch etwas sagen, weil diese Debatte jetzt sehr leidenschaftlich oder auch nicht leidenschaftlich geführt wurde: Wann, wenn nicht jetzt, zu einem Zeitpunkt, an dem in Europa, auf europäischem Boden, wieder Krieg herrscht, sehen wir ganz offensichtlich, welche Naivität der Westen und Europa an den Tag gelegt haben, gerade auch im Umgang mit Wladimir Putin? Ich möchte sogar einen Schritt weiter gehen und davon reden, dass es nicht nur Naivität, sondern auch eine schreck­liche Appeasementpolitik ist, und von dieser Appeasementpolitik ist Österreich nicht ausgenommen, davon sind namhafte und ranghohe Politiker und Politikerinnen in Öster­reich nicht ausgenommen – da muss ich gar nicht so weit gehen, dass ich daran erin­nere, wer vor Wladimir Putin tatsächlich auch in die Knie gegangen ist, einen Knicks gemacht hat. (Die Abgeordneten Hauser und Stefan: Haselsteiner!) Diese Naivität und diese Appeasementpolitik (Abg. Stefan: Haselsteiner! Der baut alles im Osten! Der muss beste Kontakte haben! – Zwischenruf des Abg. Kassegger) haben uns vielleicht blind für das gemacht, was 2014 schon offensichtlich war: nämlich dass es nicht darum geht, ein bisschen Gebietsansprüche in der Krim zu stellen, sondern dass weitere Schritte geplant sind.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch Folgendes sagen, an all diejenigen, die sagen: Ja, es ist die Nato, hätte die Nato nicht! – Es ist nicht die Nato, die einen Völkerrechts­bruch begangen hat, es ist ganz klar Putin, der das Budapester Memorandum mit einem Atemzug beiseitegewischt hat und damit den Völkerrechtsbruch begangen hat.

Ich denke, dass doch gerade heute der Zeitpunkt da ist, dass wir, ich hoffe, meine sehr geehrten Damen und Herren – auch von der FPÖ, durch die ich heute hier eine sehr eigenartige Geschichtsvorlesestunde erleben durfte; Sie sind offensichtlich nicht nur Russlandversteher, sondern Sie sind auch Sowjetunionversteher, und das ist doch eine bemerkenswerte Volte gewesen (Abg. Kassegger: Wo denn? Wo denn? Überheblich!), die ich heute mitbekommen habe (Beifall bei den NEOS) –, gefestigt in der westlichen Wertegemeinschaft von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten auch über ein hand­lungsfähiges Europa sprechen, ein durchaus handlungsfähiges Europa, auch unab­hängig von den USA.

Ich weiß schon, und ich lese alle Artikel, dass es wesentlich leichter wäre, da über die Nato zu gehen und so weiter, aber ich erinnere daran, dass uns gerade die Präsident­schaft von Donald Trump gezeigt hat, dass wir Europäer uns endlich auf die Hinterfüße stellen müssen und uns durchaus auch um unsere Angelegenheiten kümmern müssen. Sich um eigene Angelegenheiten kümmern zu müssen heißt, souverän zu sein, hand­lungsfähig zu sein und selbstverständlich auch wehrhaft zu sein, und zwar gegen all diejenigen, die genau diese Art, wie wir leben wollen, diese westliche Art zu leben, diese – ich sage das ganz bewusst – europäische Art zu leben, mit der ökosozialen Marktwirt­schaft, in Frage stellen, und zwar nicht nur in Frage stellen, sondern aktuell mit Raketen und Bomben beschießen.

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, viele angestaubte Dogmen tatsächlich auch über Bord zu werfen, in der Aussage, auf welche Seite man sich hier zu stellen hat, Klarheit zu haben – nicht irgendwie eine falsche Putintümelei, Russlandtümelei, vielleicht aus einer Amerikakritik heraus – mag sie auch berechtigt sein – zu machen, sondern klar Stellung zu beziehen und gemeinsam mit unseren europäischen Partnern daran zu arbeiten, dass wir ein handlungsfähiges, ein wehrhaftes Europa auch in der Zukunft sicherstellen. Das würde ich mir erwarten – auch an Redlichkeit und intellektuellem politischen Diskurs in Österreich. Es ist schade, dass es das bei uns offensichtlich nicht gibt. – Danke sehr. (Beifall bei den NEOS.)

16.18

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter Lopatka ist zu Wort gemel­det. – Bitte sehr.