13.13

Abgeordneter Dr. Johannes Margreiter (NEOS): Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Liebe Zuseherinnen und Zuseher zu Hause vor den Bildschirmen! Wir novellieren die Zivilprozessordnung. Alles, was dazu von meinen Vor­rednerInnen gesagt worden ist, kann eigentlich bestätigt werden. Kollegin Prammer, es wird eine breite Mehrheit für diese Novelle geben! Auch die NEOS werden zustimmen.

Es ist durchaus erfreulich, dass wir in Österreich, was die Digitalisierung und den Auto­matisierungsgrad der Justiz betrifft, wirklich vorbildlich in Europa unterwegs sind. Den­noch kann diese Novelle, die wir heute beschließen, nur ein Zwischenschritt sein.

Die Zivilprozessordnung ist eine Rechtsmaterie, die nicht nur ungefähr 2 000 Richter in Österreich und fast schon 7 000 RechtsanwältInnen betrifft, sondern sie betrifft natürlich auch die Prozessparteien. Wenn man sich vor Augen führt, dass es jährlich in Österreich circa 400 000 Zivilprozesse gibt, die von den Gerichten abgewickelt werden, an denen mindestens zwei Prozessparteien – Kläger und Beklagter – beteiligt sind, sieht man, dass das schon 800 000 Betroffene sind, die mit dieser Zivilprozessordnung irgendwie zu tun haben.

Da gibt es natürlich unterschiedliche Erfahrungen, die man macht, je nachdem, ob man den Zivilprozess zum Schluss als Sieger verlässt und beendet oder ob das Gericht ein Klagebegehren abweist und man davon als Beklagter betroffen ist, und da scheint mir die derzeitige Regelung doch da und dort in die Jahre gekommen zu sein. Ich erinnere daran, dass unsere Zivilprozessordnung im Kern aus dem Ende des 19. Jahrhunderts stammt.

Das war damals ein äußerst fortschrittliches Gesetz. Es ist damals die freie Beweis­würdigung der Richter eingeführt worden. Vorher hat es fixe Beweisregeln gegeben, an die man sich zu halten hatte. Dann hat man es den Richtern überantwortet, aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse festzustellen: Was war? Was ist der entscheidungs­wesentliche Sachverhalt?

Jetzt sind wir wieder viele Jahrzehnte weiter, haben viele wissenschaftliche Erkennt­nisse, insbesondere im Bereich der Psychologie, gewonnen und wissen, dass das mit der Wahrheitsfindung mitunter eine sehr schwierige, ja ich möchte sagen, aussichtslose Unternehmung ist, weil die Wahrheit doch etwas ist – und das kann jeder, der in der Praxis tätig ist, wahrscheinlich bestätigen –, das nicht immer auch objektiv die Wahrheit ist. Ich weiß von Parteien, die subjektiv für sich die Wahrheit sagen, trotzdem ergibt sich durch Sachverständigengutachten oder andere Sachbeweise, dass es eben nicht die objektive Wahrheit war. In diesem Spannungsfeld Konflikte zu lösen führt nicht immer zu gewünschten Ergebnissen. Daher wäre es eben sehr wünschenswert, dass wir die Zivilprozessordnung weiterentwickeln.

Daher stelle ich den folgenden Entschließungsantrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Johannes Margreiter, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Neu­kodi­fikation der Zivilprozessordnung“

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Justiz, wird aufgefordert eine Arbeitsgruppe einzurichten, die eine umfassende Neukodifikation der Zivilprozess­ordnung mit dem Ziel in die Wege leitet, diese zu einem Instrument moderner Konflikt­regelung weiter zu entwickeln.

*****

Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

13.17

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Johannes Margreiter,  Kolleginnen und Kollegen

betreffend Neukodifikation der Zivilprozessordnung

eingebracht im Zuge der Debatte in der 147. Sitzung des Nationalrats über den Bericht des Justizausschusses über die Regierungsvorlage (1291 d.B.): Bundesgesetz, mit dem die Jurisdiktionsnorm, die Zivilprozessordnung, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Gerichtsorganisationsgesetz, das Sachverständigen- und Dolmetschergesetz, das Gerichtsgebührengesetz, das Gerichtliche Einbringungsgesetz, das E-Commerce-Gesetz, das Rechtspflegergesetz, das Strafvollzugsgesetz, das Kinderbetreuungs­geld­gesetz und das Familienzeitbonusgesetz geändert werden (Zivilverfahrens-Novelle 2021 – ZVN 2021) (1400 d.B.) – TOP 9

Die geltende Zivilprozessordnung (ZPO), die auf der wegweisenden Arbeit des öster­reichischen Juristen Franz Klein am Ende des 19. Jahrhunderts basiert, geht von einem konfrontativen Konfliktlösungsmodell aus:

Parteien erstatten ein Vorbringen und erbringen Beweisanbote für die Richtigkeit ihrer tatsächlichen Behauptungen. Die zuständigen Richter:innen nehmen die relevanten Be­weise auf und legen sie ihrer Beweiswürdigung zugrunde. Das Ergebnis dieses Pro-zesses bestimmt, welche Tatsachen von den Gerichten als erwiesen angenommen werden und welche nicht. Die so getroffenen Feststellungen werden der rechtlichen Subsumtion unterzogen und führen zur Entscheidung des Gerichts, das dann Ansprüche gewährt oder abweist.

Dieses Modell rechtsstaatlicher Konfliktlösung ist getragen von der Annahme, dass es – immer im engen Rahmen der Beweis- und Feststellbarkeit – eine objektive, prozedural gewonnene Wahrheit gibt, die von den subjektiven Positionen der Prozessparteien losgelöst als staatlich sanktioniertes Ergebnis eines kontradiktorischen Verfahrens Grundlage für vollstreckbare Urteile werden soll.

Der so abgeführte Prozess mag vielen ökonomisch und zweckmäßig erscheinen und prägt das Rechtsverständnis von Generationen von Jurist:innen. Er trifft sich aber nur selten mit den Erwartungen der rechtssuchenden Bevölkerung. Es ist hinlänglich be­kannt, dass nicht nur für die unterlegenne Parteien das Konstrukt der „prozeduralen Wahrheit“ - und dessen notwendig nur unvollständige Abbildung der real zum Konflikt beitragenden Ereignisse - eine unbefriedigende und sehr häufig zu weiteren Konflikten führende Situation schafft.

Dieser Befund, nämlich, dass gesprochenes Recht von einem Wahrheitskonstrukt aus­gehen muss, das sich mit der lebensweltlichen Erfahrung der Parteien – und zwar oft beider Parteien! – nicht oder nur partiell deckt, trifft sich auch mit modernen wissen­schaftlichen Erkenntnissen (Stichwort: Wahrheitspsychologie).

Die Erfahrung zeigt vielmehr, dass die in gerichtlichen Verfahren einander gegenüber­stehenden Tatsachenbehauptungen einander oft widersprechen und dennoch nicht un­wahr oder subjektiv unaufrichtig sind. Parteien, auch wenn sie im Konflikt stehen, sind oft ehrlich überzeugt, dass ihre Perspektive auf den Konflikt, ihre Sicht der Dinge, die richtige und wahre ist.

Die legitime Erwartungshaltung, dass ein Prozess die Wahrheit ans Licht bringt, den Verlauf des Konfliktes korrekt und umfänglich abbildet und in allen Aspekten würdigt, wird von dem überkommenen Modell des Zivilverfahrens daher notwendig enttäuscht. Statt Aufklärung und Verständigung liefert der Prozess eine neue, notwendig konstru­ierte und von den Erfahrungen aller unmittelbar Beteiligten losgelöste, dritte Wahrheit, die den Erwartungen der Rechtsmittelinstanzen gerecht werden mag, aber nicht dem Verlangen nach einer gerechten und billigen Entscheidung.

Es ist an der Zeit, das Modell der Wahrheitsfindung zu hinterfragen und zu überlegen, ob nicht Konfliktlösungsmodelle leistungsfähiger sind, die eine wesentliche Funktion gerichtlicher Entscheidungen besser erfüllen: Die Schaffung von Rechtsfrieden.

Das Verhalten vieler Richter:innen, auf Vergleiche zu drängen, ist eine gängige Praxis der etablierten Zivilgerichtsbarkeit, Konflikte zu befrieden. Es hat aber auch in der jüngeren Vergangenheit viele erfolgversprechende Vorstöße gegeben:

Mediation, auch gerichtlich angeordnete, gibt einen Anstoß zu einer die Interessen und Perspektiven der Parteien achtenden Entscheidung. Die Parteien werden nicht nur gehört, sie erhalten auch eine Chance, der letztlich gefundenen Konfliktlösung subjektiv zuzustimmen und sie ein Stück weit nicht nur als obrigkeitliche Entscheidung hinzu­nehmen, sondern als eigenen Entschluss zu bejahen. Die Möglichkeit, das Gericht in geeigneten Bereichen nicht darauf zu beschränken, nur zwischen "Alles oder Nichts" entscheiden zu können, sondern tragfähige Lösungen zwingend anordnen zu können, könnte ebenfalls geeignet sein, Konflikte nachhaltig zu entschärfen.

Es ist an der Zeit, das Modell der Zivilprozessordnung grundsätzlich zu hinterfragen. Mediation, die Suche nach einer gemeinsam erreichten und die Parteien versöhnenden Lösung von Konflikten sollte nicht ein Schattendasein als optionales Modell führen, sondern zur Kernaufgabe der Gerichte werden und zum Kernanspruch des staatlichen Beitrages zur Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden werden, um eine nicht an der Vergangenheit orientierte, sondern in die Zukunft gerichtete Konfliktlösung zu ermöglichen.

Es ist daher Zeit für eine Neukodifikation der Zivilprozessordnung und eine Revision von Modell und Anspruch gerichtlicher Entscheidungsfindung.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Justiz, aufgefordert eine Arbeitsgruppe einzurichten, die eine umfassende Neukodifikation der Zivilprozess­ord­nung mit dem Ziel in die Wege leitet, diese zu einem Instrument moderner Konflikt­regelung weiter zu entwickeln."

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht daher auch mit in Verhandlung.

Nun hat sich Frau Bundesministerin Zadić zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Ministerin.