11.31

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Mitglieder der Bundesregierung! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, das ist echt ein tolles Bild: Ich sehe erst jetzt, wie viele Leute da oben auf der Galerie sind. Herzlich willkommen im österreichischen Parlament! Ich finde, das schaut sehr toll aus. Herzlich willkommen hier, und natürlich auch die Zuschauer zu Hause! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

Liebe Frau Klubobfrau Maurer! Also der Appell, lieber inhaltlich zu arbeiten und keine Personaldiskussionen zu führen – mmh (Kopf und Hände von links nach rechts wie­gend), ich weiß nicht, ob das hier an das Parlament richtig adressiert ist oder ob das nicht besser ein Appell an die eigenen Reihen und vor allem an den Koalitionspartner wäre.

Ich hoffe, wir haben richtig gezählt, es ist die 20. Regierungserklärung, die wir in dieser Legislaturperiode hier im Parlament haben  es gab viel zu erklären, wir sind auch in Krisen, es gibt viel Erklärungsbedarf –, und es ist jetzt, glaube ich, die siebente, wenn wir uns nicht verzählt haben, anlässlich einer Regierungsumbildung. Also die Intensität der Personaldiskussion geht jedenfalls nicht vom Parlament aus, das möchte ich auch einmal ganz stark betonen.

Regierungserklärungen sind immer besondere Momente. Ich muss aber ganz ehrlich sagen, die Erhabenheit des Moments nützt sich mit der Anzahl ein wenig ab (Beifall bei den NEOS), auch die Feierlichkeit dieses durchaus demokratisch wichtigen Moments weicht dann doch ein wenig der Ernüchterung der politischen Niederungen. Jetzt gibt es schon viele Menschen, die sagen: Soll ich mir die neuen Namen überhaupt merken oder kommen in ein paar Wochen wieder neue Namen dazu? Das ist wohl auch eine Frage, die sich die Regierung selber stellen muss, ob die Wechsel von Regierungsmitgliedern nicht ein wenig inflationär sind.

Ich möchte aber sagen, und daran möchte ich einfach keine Zweifel lassen, dass wir  im Namen meiner Fraktion und auch als Bürgerinnen und Bürger  allen neuen Regie­rungsmitgliedern und StaatssekretärInnen tatsächlich alles Gute wünschen. Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung und daher ist es  jetzt einmal jede Parteitaktik und Opposition außer Acht gelassen  einfach nur wichtig, dass für das Land gut gearbeitet wird, und dafür kann man nur alles Gute wünschen.

Ich möchte auch, weil ich der Meinung bin, dass man das so macht, den bisherigen Ministerinnen Köstinger und Schramböck im Namen meiner Fraktion danken immerhin stellt man sich in den Dienst einer Gesellschaft, einer Gemeinschaft, eines Landes, und das ist nicht selbstverständlich , obwohl es unbestritten ist, dass wir nicht nur das eine oder andere Schwert inhaltlicher Natur gekreuzt haben und den Wechsel vor allem einer Ministerin durchaus begrüßen, weil wir nicht ganz davon überzeugt waren, dass sie der Dimension der Aufgabe gewachsen war. Ich finde, so geht man miteinander um.

Vielleicht sage ich das jetzt auch einmal an dieser Stelle: Herr Kickl, ja, wir können hier schon wie im Wirtshaus reden, das geht schon, ich finde aber, es tut dem Haus nichts Gutes, es tut der Demokratie nichts Gutes. (Abg. Kickl: Sie reden, wie Sie wollen, ich rede, wie ich will!) Auch im Wirtshaus gibt es halt Leute, die sagen: Heast, Herbert, sei bitte einfach einmal still! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen. Abg. Kickl ... liberalen Partei!)

Ich bin halt der Meinung, dass ein gewisser Anstand, eine gewisse Art und Weise, wie man miteinander umgeht, gerade auch in solchen Situationen, in solchen Krisenzeiten etwas ist, was der Politik eher etwas Gutes tut, Sie tun halt der Politik mit Ihrem Stil, glaube ich, vielleicht nicht so etwas Gutes. (Abg. Kickl: Wir wissen eh alle, dass Sie unbedingt dabei sein wollen!)

Die Frage ist aber auch, ob die Regierung mit dieser heutigen Regierungsumbildung der Politik eigentlich etwas Gutes tut, denn ich frage mich angesichts dieser Regie­rungs­umbildung schon: Geht es eigentlich ums Land? (Ruf bei der ÖVP: Sicher!) Geht es eigentlich um die Menschen in unserem Land? Geht es eigentlich um die Heraus­forde­rungen, die wir zu stemmen haben, oder geht es nicht eher um innerparteiliche Logiken (Zwischenruf des Abg. Höfinger), um die Bündelogik der ÖVP und letztlich auch ein bisschen um die Verzweiflung der ÖVP, die da zum Ausdruck kommt?

Begreifen Sie eigentlich die Ernsthaftigkeit der Situation, in der wir sind? – Die Ernst­haftigkeit der Lage  in vielen, vielen Bereichen , in der wir uns befinden, ist durchaus von Vorrednerinnen und Vorrednern schon angesprochen worden. Putin hat die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen. Putin hat damit auch Europa angegriffen, das heißt, es gibt Krieg in Europa. Kein Land ist so wenig geschützt wie Österreich, das muss man an dieser Stelle sagen. Eine wirkliche sicherheitspolitische Diskussion wird nicht geführt, auch und gerade nicht von dieser Regierung. Ich halte das für eine Realitäts­verwei­gerung sondergleichen, wenn da der Kopf in den Sand gesteckt und gesagt wird, wir lehnen uns sozusagen auf den wohlig warmen Boden einer eigentlich längst der Vergan­genheit angehörenden Interpretation von Neutralität zurück, und das passt dann auch schon so!

Wir lehnen uns in eine geopolitische Lage zurück, in der wir von EU-Mitgliedstaaten und Nato-Staaten umgeben sind, die uns schützen, sind in dieser Situation aber nicht bereit, Neutralität neu zu interpretieren und zum Beispiel zu sagen, wir haben jetzt gelernt, wir haben auf europäischem Boden Krieg und es ist notwendig, das als Zeitenwende zu sehen und jetzt Neutralität auch in Bezug auf Europa als Solidarität zu interpretieren und beispielsweise eine klare Aussage hinsichtlich einer Beistandsklausel zu machen, anstatt uns darauf zu berufen, dass wir sagen, wir warten darauf, dass andere uns verteidigen, wir machen aber nichts. Es findet keine Debatte, kein Dialog statt, der wird abmoderiert.

Auch die Situation hinsichtlich Preissteigerungen ist ernst. Es ist auch Putin und Putins Krieg – Ihr Freund Putin, Herr Kickl! (Abg. Kickl: Da sind Sie eh ... mit dem Herrn Haselsteiner einer ...!) –, der die Energiepreise in die Höhe treibt. Ich möchte an dieser Stelle auch sagen: Es ist wichtig und richtig, dass wir immer über die Ärmsten in unserer Gesellschaft diskutieren, aber diese Preissteigerungen sind voll in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Da geht es nicht nur um die ärmsten Haushalte, da geht es um die Mitte der Gesellschaft, die nicht weiß, wie das jetzt weitergeht, wie sie  vor allem auch mittelständische Betriebe  das Geld für die Energiekosten aufbringen soll. Wir sind also in einer Teuerungswelle, die tatsächlich einem Tsunami gleich noch exorbitante Ausmaße erreichen wird.

Ja, Frau Maurer, Einzelmaßnahmen wurden schon aufgezählt, was aber ist der große gesamthafte Plan in dieser Frage? Wo ist der Ansatz abseits von Arbeitsgruppen, Schlagzeilen und medialen Interviews, zu sagen: So, jetzt schaffen wir die kalte Pro­gression wirklich ab!? – Wir dürfen sie nicht nur abgelten, Herr Finanzminister, wir müssen sie abschaffen, damit wir eine nachhaltige Entlastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und insbesondere der Mitte erreichen, damit nicht nur diese gestie­genen Preise gestemmt werden können, sondern man sich auch wieder etwas aufbauen kann.

Was sagen Sie denn den Menschen, die meinen: Es ist eigentlich egal, wie ich mich anstrenge, ich kann mir nichts mehr aufbauen, das geht sich nicht mehr aus!? Sagen Sie, wir machen (den Oberkörper von links nach rechts bewegend) einen Arbeitskreis? Das wird sich nicht ausgehen, davon bin ich überzeugt.

Oder die Situation von mittelständischen Betrieben: Sie bekommen ganz sicherlich auch Zuschriften von Betrieben, von Unternehmerinnen und Unternehmern, die völlig ver­zweifelt sind. Die sagen, jetzt haben wir zwei Jahre Pandemie gehabt, wir stellen uns übrigens immer noch bei der Cofag an und können streiten! (Zwischenruf des Abg. Haubner.) Nein, nicht nein! Also bitte, gerade vom Wirtschaftsbund könnte man sich wirklich erwarten, dass er in dieser Frage auf der Seite der Betriebe steht und nicht auf der Seite der Gegnerschaft. (Beifall bei den NEOS.)

Wissen Sie, wie viele Betriebe mithilfe von zig Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern bei der Cofag noch immer streiten und keinen Bescheid bekommen, daher auch nichts machen können und auf den Zivilrechtsweg angewiesen sind, weil Sie das so konstruiert haben, wie Sie es konstruiert haben – intransparent und möglichst bürgerfeindlich? – Diese Betriebe sind jetzt mit Energiekosten konfrontiert, die teilweise sogar wirklich existenzgefährdend sind. Ein mittelständischer Betrieb in Oberösterreich hatte 2019 noch eine Energiekostenrechnung von was war die Rechnung? 7 500 Euro pro Monat, glaube ich, dann sind es knapp 30 000 Euro geworden. Das sind also unfassbare Steigerungen bis an den Rand der Wirtschaftlichkeit.

Wo ist die große Lohnnebenkostensenkung? Herr Finanzminister  oder ich sage jetzt auch Herr Wirtschaftsminister, denn Ihre Vorgängerin hat ja erklärt, Lohnnebenkosten­senkungen gehen sie als Wirtschaftsministerin nichts an –, es geht nicht um vielleicht 0,1 Prozentpunkte, sondern es geht um wirklich substanzielle Lohnnebenkostensen­kun­gen, die dann vielleicht auch bedeuten, dass man budgetär etwas zuschießen muss was wir in der Pensionsversicherung, in der Gesundheitsversorgung ohnehin müssen , um vor allem zu ermöglichen, dass es jetzt wirklich Tarifverhandlungen gibt, in denen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern diese Teuerung und diese Inflation mit ent­sprechend höheren Löhnen und Gehältern abgegolten werden können.

Zum Thema Energie und Energieversorgungssicherheit: Ja, ich habe gelesen, was heute präsentiert wurde. Ich finde das nach vier Monaten erstaunlich wenig. Ich finde es auch erstaunlich wenig, weil das erst im Herbst wirken soll und wir dann mit einer fraglichen Gasspeicherversorgung in einen Winter gehen, in dem wir Putin weiterhin völlig ausgeliefert sind.

Die Suche nach Alternativen lagern Sie auch komplett aus, wie ich es verstanden habe – also da war Ihr Kollege Habeck in Deutschland wesentlich offensiver und hat es ge­schafft, die Abhängigkeit zu reduzieren. Ja, die Grünen sind nicht schuld an dieser Abhängigkeit von Putin – wir sind auch nicht schuld, da müssen Sie mit SPÖ, FPÖ und ÖVP sprechen! Jetzt ist es aber einfach hoch an der Zeit, einen echten Plan vorzulegen. Es braucht mehr als nur 1, 2 Prozentpunkte – oder auch 10 Prozentpunkte, die Sie ja auch nicht selber kümmern –, wir müssen Alternativen haben, damit wir gesichert in den Winter gehen können.

Was tun Sie selbst eigentlich, Frau Ministerin, um Alternativen zu schaffen? – Ich ver­stehe das überhaupt nicht: Wir sind einfach nicht vorbereitet! (Beifall bei den NEOS.)

Der Bildungsminister ist heute nicht da. Für eine Partei, die Bildung als den Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben sieht, in dem jeder und jede sich etwas aufbauen kann, ist es angesichts dieser Zeitenwende schon erstaunlich, dass nichts, aber auch gar nichts im bildungspolitischen Bereich kommt – ohne dass ich da jetzt Witzchen darüber mache, dass es seine Frisur ist, die in den Schlagzeilen ist, aber er ist ja nicht einmal hier! Es gibt absolut kein positives Zukunftsbild, wohin sich unser Land in Bildungsfragen eigentlich entwickeln soll. (Beifall bei den NEOS.)

Einen Punkt habe ich noch, da möchte ich der ÖVP schon etwas sagen. Ich habe mir diesen Parteitag ein bisschen angehört (Abg. Eßl: Wärst gern dabei gewesen?): Das kann man schon machen, die Justiz zu prügeln und zu sagen, es sind in der Justiz alle wild geworden, und ihr seid ja so wahnsinnig arm.

Man könnte sich aber auch irgendwann einmal hinstellen – der FPÖ würde das vielleicht auch ganz gut zu Gesicht stehen, zwei Jahre nach dem Ibizavideo (Ruf: Drei Jahre!) – und sagen: Okay, wir haben es verstanden! So, wie wir – in strukturellen Strukturen – dieses Land in den vergangenen Jahrzehnten regiert und uns überall hineingesetzt haben, können wir das nicht mehr machen. Wir missbrauchen eigentlich unser Amt, wir missbrauchen teilweise Steuergelder, wir missbrauchen Amtsgewalt zum Wohle unserer Partei, und das geht nicht mehr.

Freunderlwirtschaft muss ein Ende haben, das Bedienen am Steuertopf muss ein Ende haben, und es ist ja nur gut, dass die Justiz da jetzt nicht mehr wegschaut, sondern einmal hinschaut. Ihr könntet euch auch hinstellen – vielleicht auch Hand in Hand mit der FPÖ, teilweise durchaus auch mit der SPÖ – und sagen: Wir haben es verstanden, es braucht jetzt eine neue Politik, es braucht jetzt saubere Politik! (Abg. Kickl: Vielleicht bringen Sie die Wiener SPÖ dazu!)

Das macht ihr aber nicht – es sind immer alle anderen schuld. Da muss ich meinem Vorredner Kickl recht geben, das werden die Menschen euch am Wahltag heimzahlen und euch zeigen: So geht es nicht weiter! (Abg. Höfinger: Ihr seid in einer Blase zu Hause, wo es nur um die Wahl geht!)

Ihr habt euch das Land aufgeteilt, Rot und Schwarz, und ihr habt es übertrieben. Es muss Schluss sein mit dieser, wie ich sie nenne, strukturellen Korruption. Ihr müsst dazu auch wirklich ein Zeichen geben: Wir haben verstanden und räumen jetzt damit auf! (Beifall bei den NEOS.)

Wir als Parlament sind die ganze Pandemie hindurch unserer Verpflichtung als Legis­lative nachgekommen. Wir als Opposition kommen nicht nur unserer Verpflichtung zur Kontrolle nach, sondern insbesondere auch wir als NEOS kommen unserer Verpflich­tung, wie wir sie verstehen, nach, konstruktive Oppositionspolitik zu machen und stets Vorschläge zu bringen (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch): Vorschläge, was die Sicher­heitspolitik angeht, was die Energieversorgung angeht, was die Unterstützung des Mittelstands angeht, was die Entlastung der Menschen angeht, was vor allem auch die Abfederung der Teuerung angeht und was den Zukunftsbereich Bildung angeht.

Das werden wir weiter tun, aber diese Bundesregierung muss endlich liefern. – Danke. (Beifall bei den NEOS.)

11.44

Präsidentin Doris Bures: Nun hat sich Herr Bundesminister Martin Kocher zu Wort gemeldet. Herr Minister, Ihre Redezeit soll 5 Minuten nicht überschreiten (Ruf bei der ÖVP: Aber beim Kickl und bei der Meinl-Reisinger ...!), ich stelle Ihnen zur Orientierung auch die Zeit am Rednerpult ein. – Bitte.