12.14

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freun­de vom BRG Kapfenberg, die heute auf Besuch sind – die sitzen da oben –, auch herz­lich willkommen! (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und NEOS.) Wenn man über die Europäische Union diskutieren möchte und diskutiert, ist ein Befund natürlich wesentlich: Die Zeiten, in denen wir jetzt Politik betreiben und dis­kutieren, sind unsicher, herausfordernd und äußerst turbulent. Wir befinden uns – nicht nur in Österreich, sondern in der gesamten Europäischen Union – in der größten Teue­rungswelle seit über 40 Jahren. Wir befinden uns mittlerweile im dritten Jahr einer Pan­demie. Die Klimakrise spitzt sich zu. Und es findet ein verheerender Angriffskrieg, der langsam in einen Stellungskrieg überzugehen scheint, in unserer unmittelbaren Nach­barschaft statt.

Bei all diesen dramatischen Entwicklungen gibt es schon auch positive Aspekte zu er­wähnen, nämlich: Diese behäbige, manchmal schwer zu verstehende und kompliziert funktionierende Europäische Union scheint in der Krise zu funktionieren. Das ist nicht das erste Mal, dass wir das sehen, das haben wir schon öfters gesehen, und es zeigt schon, dass diese Europäische Union auch für uns einen massiven Mehrwert hat.

Dieses Funktionieren in der Krise ist auch etwas, das meines Erachtens diese Europäi­sche Union näher zu den Bürgerinnen und Bürgern bringt, aber man muss natürlich auch umgekehrt dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger immer mehr in dieser Euro­päischen Union mitmachen können, mitbestimmen, mitentscheiden, Vorschläge liefern. Meines Erachtens war diese Zukunftskonferenz schon ein gutes Instrument. Man kann abwertend sagen, es waren nur 700 000 Menschen, die sich online betätigt haben. Es waren nur 53 000 Menschen, die aktiv teilgenommen haben. Ich sage es umgekehrt: Ich bin froh, dass sich Menschen für Europa engagieren, dass Menschen Ideen liefern, dass sich Menschen einsetzen und dafür sorgen, dass diese Union eine bessere Union wird. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Jeitler-Cincelli und Gabriela Schwarz.)

Es ist aber natürlich auch wichtig, dass sich für diese Menschen, die teilnehmen, der Traum erfüllt – ich sage bewusst: Traum; für mich ist diese Union kein Projekt, es ist ein Traum, den wir uns erfüllen –, dass aus den Ideen, die sie eingebracht haben, natürlich auch etwas wird.

Dieser wichtige nächste Schritt, dafür zu sorgen – Kollege Reimon hat einige Dinge an­gesprochen, die unglaublich positiv eingebracht wurden –, dass diese Dinge dann auch umgesetzt werden, liegt an zwei Gestaltern im europäischen Prozess: Das liegt an der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament auf der einen Seite und es liegt auf der anderen Seite auch an den Mitgliedstaaten. Österreich ist einer jener Mitgliedstaaten, die in den letzten Jahren – das muss ich jetzt bewusst kritisch sagen – mehr die Rolle des europäischen Querulanten als die eines konstruktiven Mitspielers eingenommen haben.

Ich hoffe wirklich, dass mit dem Ausklingen der kurzen türkisen Ära in der österreichi­schen Bundespolitik diese Querulantenrolle auf europäischer Ebene vorbei ist, ge­schätzte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Brandstätter.)

Selbstverständlich kann man über Inhalte trefflich streiten. Ich habe sehr interessiert Kollegen Lopatka zugehört, wie er versucht hat, zu erklären, dass nur das Große erledigt werden soll und das Kleine nicht, und zum Kleinen gehört anscheinend Sozialpolitik – das passt zur ÖVP, ja, aber für uns ist Sozialpolitik eines der wichtigsten Themen, die auch auf europäischer Ebene zu regeln sind. Es braucht ein soziales Europa, es braucht ein Europa der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, nicht nur der Konzerne. Diesen Ausgleich kann man nur auf europäischer Ebene schaffen. Dafür sind die Mitgliedstaaten inzwischen zu klein, Kollege Lopatka, und das ist auch eine große Angelegenheit, die erledigt werden muss. (Beifall bei der SPÖ.)

Mindestrechte, Mindeststandards auf europäischer Ebene sind das, was anzustreben und anzugehen ist. Dasselbe gilt für die Steuerpolitik. Die Riesengewinne der großen Konzerne, die Umgehungsmöglichkeiten, die Fakten, dass Riesenkonzerne eigentlich keine Steuern mehr zahlen – all das ist nur europäisch zu lösen und europäisch zu be­steuern, und das muss der nächste Schritt sein, um ein faireres Europa zu bekommen, ein Europa, das von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert wird, geschätzte Damen und Herren. Das muss das Nächste sein. (Beifall bei der SPÖ.)

Es liegt in unserer Verantwortung, was mit diesem Europa, mit dieser Europäischen Uni­on in Zukunft geschehen wird.

Ich habe, um zum Schluss zu kommen, einmal – das ist schon lange her – eine Diskus­sion zwischen dem damaligen sowjetischen Botschafter und dem damaligen amerikani­schen Botschafter in Österreich moderiert.

Die Frage war: Wie entwickelt sich die Europäische Union weiter? Wird es ein Staaten­bund bleiben oder wird es ein Bundesstaat? – Einer von den beiden hat etwas sehr Ge­scheites gesagt, und zwar hat er gesagt: Die Frage stellt sich nicht. So etwas wie diese Europäische Union hat es in der gesamten Menschheitsgeschichte noch nie gegeben, das ist etwas ganz Besonderes und wird etwas ganz Besonderes werden. Es liegt in unserer Verantwortung, dass das etwas Vernünftiges und Gutes wird. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Jeitler-Cincelli und Brandstätter.)

12.20

Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Axel Kassegger. – Bitte.