12.41
Abgeordnete Mag. Carmen Jeitler-Cincelli, BA (ÖVP): „Nie habe ich unsere [...] Erde mehr geliebt als in diesen letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, nie mehr auf Europas Einigung gehofft, nie mehr an seine Zukunft geglaubt als in dieser Zeit, da wir meinten eine neue Morgenröte zu erblicken. Aber es war in Wahrheit schon der Feuerschein des nahenden Weltbrands.“ – Diese Zeilen stammen von Stefan Zweig, „Erinnerungen eines Europäers“ im Kapitel „Glanz und Schatten über Europa“ aus seinem großen Werk „Die Welt von gestern“.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frauen Ministerinnen! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Österreicherinnen und Österreicher! Stefan Zweig war ein glühender Verfechter eines geeinten, vereinten Europas, in einer Zeit, als jeder das noch als Illusion, als bloße Utopie empfand. (Zwischenruf des Abg. Wurm.) Heute, in einem geeinten – und im Moment wieder weniger geeinten – Europa sehen wir unsere Union in ihren Grundfesten erschüttert. Die Polarisierung zwischen Verfechtern des Unionsgedankens und den Kritikern, die leider immer lauter werden, wie man das vorhin bei Kollegin Steger gehört hat, und populistischer denn je, findet immer weiter statt.
Wir sind in einer totalen Drucksituation zwischen Ost und West, zwischen Weltmächten gefangen, erleben gerade einen Krieg, eine Seuche, und unser Wirtschaftsstandort ist bedroht. – Herr Kollege Kassegger, ich kann das verstehen, viele Dinge sehe ich genauso, wenn wir eine Zahl hernehmen: weltweit angemeldete Patente. Was glauben Sie, wie viel Prozent letztes Jahr von China angemeldet wurden? – Das sind 46 Prozent. Und von der EU? – 6 Prozent. Mit allen Maßnahmen, die wir da setzen, auch im umweltpolitischen Bereich, müssen wir wahnsinnig sorgsam umgehen, denn es geht um einen Standort, der wirklich in Gefahr ist, und auch um das Lebensmodell Europa, das gefährdet scheint.
Doch in Schönheit oder in Selbstgerechtigkeit zu sterben war noch nie unser Ansatz, und deswegen, denke ich mir, müssen wir gerade jetzt ein europäisches Bewusstsein fördern. Meine Hoffnung letztens: Macron, Frankreich, die ja immer schon als Gestalter Europas gegolten haben, die jetzt sagen, es seien für sie völlig neue Wege vorstellbar. Das gibt, glaube ich, dem Ganzen schon einen Auftrieb – diese Zukunftskonferenz; man kann sagen, wie viele teilgenommen haben, wie viele nicht. Ich danke allen, die teilgenommen haben! – Es wäre schön gewesen, hätten auch Sie (in Richtung FPÖ) Leute mobilisiert, die daran teilnehmen (Zwischenruf der Abg. Steger), und es nicht nur schlechtgeredet, Frau Steger!
Diese Zukunftskonferenz hat Vorschläge erarbeitet, und ein ganz wesentlicher Vorschlag, zu dem Sie (in Richtung FPÖ) heute einen Antrag einbringen, ist, das Einstimmigkeitsprinzip zu hinterfragen. Es geht einmal nur darum, in einem Konvent zu diskutieren, wie wir zukünftig damit umgehen, wie wir zu unserer Meinungsfindung kommen und wie wir Entscheidungen treffen. Ich glaube, es ist ganz wichtig, darüber zu reden, denn überall, in jeder kleinen Region, finden irgendwann Wahlen statt, und wenn wir alles so populistisch machen würden wie hier, und jeder das so macht, dann werden wir nie zu Entscheidungen kommen, die über eine Generation hinausgehen, die wirklich zukunftsweisend sind.
Die nächste Frage: Wie gehen wir mit der Erweiterung der EU um? – Da geht es um das Thema Westbalkan, und meine Meinung dazu kennt man in diesem Saal sehr gut. Es waren damals auch viele Menschen nicht überzeugt. Ich habe neulich mit jemandem gesprochen, der damals dabei war und gesagt hat, dass es sehr viele Gegner gab, die sagten: Österreich ist nicht so weit, Österreich kann noch nicht teilnehmen, es spricht viel mehr dagegen als dafür! – Ich glaube also, gerade jetzt haben wir auch da die Verantwortung, ernsthaft nächste Schritte zu setzen.
Ein Europa ist nie statisch. Ein Europa ist Transformation, hat eine transformative Kraft. Wir sind Kooperation, wir sind als Europa Transformation, es ist kein gottgegebenes Faktum, dass es uns als diese Form gibt, sondern das ist harte Arbeit, und da geht mein Appell wirklich an Sie: Europa ist durch viele Krisen gegangen, ist immer wieder aufgestanden, hat immer wieder gelernt, sich weiterzuentwickeln. Lassen wir auch jetzt diese Chance zu, denn Europa kann das! Das ist in unserer DNA, das ist unser Erbgut, dass wir als Europa es schaffen, uns zu entwickeln, die Zukunft anzunehmen.
Stefan Zweig hat das wunderschön benannt. Es gibt ein Wort in diesem Buch: das „Weltvertrauen“. Ich glaube, das ist ein Urvertrauen, das wir als Europa wieder haben dürfen. Haben wir Weltvertrauen! – Er beschrieb es so: „Nie war Europa stärker, reicher, schöner, nie glaubte es inniger an eine noch bessere Zukunft.“
Ich möchte gemeinsam an diese Zukunft glauben, und da geht jetzt ganz konkret etwas an Sie (in Richtung FPÖ) als Fraktion – und Herr Amesbauer, Sie sind ja dann an der Reihe –: Ich bin jetzt während dieses ganzen Redeblocks hier gesessen, und es ist wahnsinnig unangenehm, wie zynisch, wie untergriffig, wie herabwürdigend hier von jedem Einzelnen, egal von welcher Fraktion – ob es Jörg Leichtfried ist, ob Niki Scherak herauskommt –, kommentiert wird. Das ist ein unangenehmes Gefühl, und ich glaube, genau da fängt es an: Würden wir beginnen, uns zuzuhören, wirklich ernsthaft zu diskutieren, auf den anderen einzugehen und nicht nur uns in dieser massiven Emotionalität gegenseitig herabzuwürdigen, dann wäre das ein guter, guter Anfang für ein neues Europa! (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Zwischenruf der Abg. Greiner.)
Ich darf mit einem Stilmittel, das ich mir von Kollegin Blimlinger klaue, enden (neuerlicher Zwischenruf der Abg. Greiner), denn ich finde es ganz toll, was sie mit ihrer Kaserne macht. Die kenne ich gar nicht, ich kenne die Geschichte dahinter wenig, aber ich glaube, man muss, um Menschen von den Dingen, die einem selber wichtig sind, zu überzeugen, Dinge immer, immer und immer wieder wiederholen und sie darauf aufmerksam machen. Das mache ich jetzt auch, und deswegen endet meine Rede heute so: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir die Westbalkanländer möglichst rasch in die europäische Integration führen müssen. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)
12.46
Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Hannes Amesbauer. – Bitte.