18.34

Abgeordnete Mag. Selma Yildirim (SPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Minis­terin! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Bildschirmen! Mit Stand 31. Dezember 2021 waren oder sind nach wie vor 8 369 Rechtsanwältinnen und Rechts­anwälte in Österreich eingetragen, und von diesen 8 369 sind gerade einmal 1 622 Rechts­anwältinnen, also knapp 24 Prozent – nicht einmal ein Viertel an weiblichen Vertretern in dieser Berufsgruppe. Auf die Reise in diese Berufssparte begeben sich aber viel, viel mehr Frauen: Rund 50 Prozent der Rechtsanwaltsanwärterinnen und Rechtsanwaltsan­wärter sind Frauen.

Woher kommt diese Diskrepanz? Warum gibt es so wenige Anwältinnen? – Schaut man sich die Materie an, sieht man, es hakt genau an dem Problem, dass nämlich Beruf, Karriere und Familie nicht vereinbar sind, und das hat strukturelle Gründe.

Meine Vorrednerin hat von ersten wichtigen Verbesserungen gesprochen. Ich sage: Ja, das sind erste Schritte, aber wir dürfen hier nicht haltmachen, weil es da eigentlich nur darum geht, dass man sich nicht von der Liste herunternehmen lassen muss, wenn ein Kind auf die Welt kommt oder wenn man ein Kind adoptiert oder ein minderjähriges Kind in Pflege hat, sondern – bleiben wir bei den Rechtsanwaltsanwärterinnen – mit Zustim­mung des Anwalts, des Ausbildners – mit Zustimmung! – eine Ruhendstellung beantra­gen kann; diese muss dann erst in einem Ausschuss genehmigt werden.

Also ich finde das eigentlich höchst erstaunlich und komme aus dem Staunen nicht he­raus: das im 21. Jahrhundert bei einer Berufsgruppe, deren Vertreterinnen und Vertreter hoch angesehen sind, die sehr, sehr viel leisten, bis sie dann Ende 20, Anfang 30 über­haupt den Beruf ausüben können. In der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst sehen wir es beinahe als Selbstverständlichkeit – nach hartem Erkämpfen natürlich –, dass man – in der Regel sind es Frauen – in Karenz gehen kann. Jetzt wird es zwar mit dem heutigen Beschluss möglich sein, dass man die Berufsberechtigung zumindest ru­hend stellt und sich nicht von der Liste streichen lassen muss, aber es heißt noch immer nicht, dass man abgesichert ist.

Wir haben geglaubt, dass diese bis zu 24 Monate an Karenzzeit, diese Pensionsansprü­che oder Ersatzzeiten, die wir aus unserer breiten Arbeitswelt kennen, auch für Rechts­anwältinnen oder Rechtsanwaltsanwärterinnen ermöglicht werden – dem ist aber nicht so. Es ist unglaublich, wie weit diese Berufsgruppe, die in der Rechtspflege insgesamt wichtig ist, hinterherhinkt. Diese strukturellen Benachteiligungen sollten wir, sehr geehrte Damen und Herren, gemeinsam möglichst bald abschaffen.

Ich möchte daher zunächst einmal folgenden Antrag einbringen, der beinhaltet, dass die eingangs bezeichnete Regierungsvorlage in der Fassung des Ausschussberichtes 1465 der Beilagen wie folgt geändert wird:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Mag. Selma Yildirim, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bun­desgesetz, mit dem die Notariatsordnung, die Rechtsanwaltsordnung und das Diszipli­narstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter geändert werden (Berufsrechts-Änderungsgesetz 2022 – BRÄG 2022).

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Der eingangs bezeichnete Gesetzesantrag wird wie folgt geändert:

„In Art. 2 § 32 Abs. 1 wird der Satz ,Bei der Antragstellung ist die Zustimmung zu diesem Vorgehen durch den Rechtsanwalt, bei dem die antragstellende Person in praktischer Verwendung steht, nachzuweisen.‘ gestrichen.“

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Es kann nicht sein, dass es von einzelnen Rechtsanwaltskammern in den jeweiligen Ländern und der Ausschussbesetzung abhängig ist, ob jemand sich diese Babypause nehmen kann, zumal man dann auch noch, selbst wenn das quasi ein Mehrheitsbe­schluss geworden ist, keine Pensionsansprüche erwirbt. Ich glaube, wir haben hier einen Auftrag und werden einen entsprechenden weiteren Antrag bringen und dies in der par­lamentarischen Debatte gemeinsam mit den verantwortlichen Kammern auch zu einem positiven Ergebnis bringen, denn Vereinbarkeit von Beruf und Familie darf kein Luxus sein, sondern muss im 21. Jahrhundert mittlerweile eine Selbstverständlichkeit sein. (Beifall bei der SPÖ.)

18.39

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

§ 53 Abs. 3 GOG-NR

der Abgeordneten Mag.a Selma Yildirim, Nurten Yilmaz,

Genossinnen und Genossen

zum Bericht des Justizausschusses über die Regierungsvorlage (1440 d.B.) betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Notariatsordnung, die Rechtsanwaltsordnung und das Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter geändert werden (Be­rufsrechts-Änderungsgesetz 2022 – BRÄG 2022) (1465 d.B.)

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Der eingangs bezeichnete Gesetzesantrag wird wie folgt geändert:

„In Art. 2 § 32 Abs. 1 wird der Satz „Bei der Antragstellung ist die Zustimmung zu diesem Vorgehen durch den Rechtsanwalt, bei dem die antragstellende Person in praktischer Verwendung steht, nachzuweisen.“ gestrichen.

Begründung

Mit dem Berufsrechts-Änderungsgesetz 2022 – BRÄG 2022 soll die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch für Rechtsanwaltsanwärter*innen verbessert werden. Eine Zu­stimmungspflicht zum Antrag auf Ruhendstellung der Berechtigung zur Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärter*in durch den Rechtsanwalt bzw. die Rechtsanwältin bei dem die antragstellende Person in Verwendung ist, steht dazu im Widerspruch. Rechtsanwalts­anwärter*innen, die sich für bis zu zwei Jahre dafür entscheiden, sich der Erziehung ihres Kindes zu widmen, sollten diese Entscheidung unabhängig von der Zustimmung ihres ausbildenden Rechtsanwalts bzw. der ausbildenden Rechtsanwältin treffen kön­nen. Dem steht auch kein anderes schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin entgegen, da diese nicht daran gehindert sind, für den Zeitraum des Ru­hens ein weiteres Ausbildungsverhältnis einzugehen.

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Präsidentin Doris Bures: Der Abänderungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht daher auch mit in Verhandlung.

Nächster Redner: Herr Abgeordneter Harald Stefan. – Bitte.