11.44

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren Abgeordnete! Hohes Haus! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Wir haben es heute Früh in der Rede des Prä­sidenten der ukrainischen Werchowna Rada, Ruslan Stefantschuk, sehr deutlich gehört: Europa ist seit dem 24.2.2022 ein anderes Europa. Wir sind in einem anderen Europa wieder aufgewacht: in einem Europa, in dem Krieg herrscht.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat nicht nur große Erschütterungen mit sich ge­bracht, sondern auch eine große Veränderung in so vielen Punkten: Mittlerweile sind in der Europäischen Union sechs Sanktionspakete beschlossen worden, Finnland und Schweden haben einen Antrag auf Nato-Mitgliedschaft gestellt, und die Heeresbudgets sind in so vielen Ländern Europas enorm angestiegen.

Wir erleben ein Europa, in dem wir zusammenstehen und weiterhin zusammenstehen müssen, um unsere gemeinsamen Werte, unsere Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte zu verteidigen und vor allem den Frieden raschestmöglich wie­derherzustellen.

Vor diesem Hintergrund, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind die Jubiläen im Zusammenhang mit der Geschichte zwischen Österreich und Südtirol (Abg. Belako­witsch: Österreich und Südtirol?! – Heiterkeit der Abgeordneten Belakowitsch und Wurm) umso bedeutender und auch Vorbild für eine friedliche Konfliktlösung. (Abg. Be­lakowitsch: Setzen, Nicht genügend! – Abg. Wurm: Eine historische Panne! – Präsi­dent Sobotka gibt das Glockenzeichen.)

Basis unserer Zusammenarbeit ist neben dem Gruber-De-Gaspari-Abkommen aus dem Jahr 1946 auch – es ist schon von Abgeordnetem Gahr angesprochen worden – das Zweite Autonomiestatut aus dem Jahre 1972, und dessen 50-jähriges Jubiläum begehen wir heuer. Wir sollten uns aber auch vor Augen führen, dass der Weg dorthin ein steiniger war, dass die Umsetzung Verhandlungen, Überzeugungsarbeit und letztlich auch Kom­promisse erfordert hat.

Die Streitbeilegungserklärung Österreichs vor der UNO ist nun 30 Jahre her, im Jahr 1992 ist damit der Weg für die Autonomie Südtirols geebnet worden. Es ist ein Paradebeispiel für die Umsetzung von Minderheitenrechten, ein internationales Vorzeigemodell, möchte ich sagen. (Beifall bei der ÖVP, bei Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Brandstätter.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das gibt auch Anlass zu feiern: in Österreich, in Südtirol und auch in Italien. Bundesminister Alexander Schallenberg war am Wochen­ende bei diesbezüglichen Feierlichkeiten zu Gast in Südtirol, und weitere Feierlichkeiten werden aus gutem Grunde noch folgen.

Im österreichischen Regierungsprogramm 2020 bis 2024 steht folgender Satz – ich zi­tiere –: „Österreich wird auch in Zukunft an der Seite Südtirols stehen und weiterhin seine Schutzfunktion wahrnehmen.“ – Diese Autonomie, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss auch zukünftig stetig weiterentwickelt werden. Wir müssen wachsam blei­ben, um auch Zentralisierungstendenzen entgegenzutreten. Wir agieren dabei aber nicht im Alleingang, sondern Südtirol ist da Herr des Verfahrens. Südtirol wird auch weiterhin unsere Unterstützung bekommen, wann immer diese notwendig ist.

So haben wir zum Beispiel im Jahr 2021 bei der Neuformulierung des Finanzabkom­mens Unterstützung geleistet, ein weiterer wichtiger Erfolg für die Autonomie. Darüber hinaus – das mag nach einer Kleinigkeit klingen, ist aber wichtig – werden ab 2021 rund 25 österreichische Studientitel in Italien anerkannt, davon zehn Lehramtsstudien.

Die Frage lautet nun: Wie kann denn die zukünftige Entwicklung der Autonomie praktisch aussehen? – Der Südtiroler Landeshauptmann Kompatscher, er ist heute auch schon von Abgeordnetem Gahr erwähnt worden, hat auf Basis einer Studie von Obwexer und Happacher eine Kommission damit beauftragt, die politischen Prioritäten der Südtiro­lerinnen und Südtiroler für die Fortentwicklung der Autonomie herauszuarbeiten. Öster­reich ist da auch weiterhin bereit, bei der Kommunikation und bei der Umsetzung, auch gegenüber Rom, helfend zur Seite zu stehen.

Ein weiteres emotionales Thema ist ebenfalls schon angesprochen worden: die im Jahr 2021 endlich erfolgte Begnadigung des Südtiroler Aktivisten Heinrich Oberleitner, bei der Österreich auf allen Ebenen bis hin zum Bundespräsidenten unterstützt hat. (Zwi­schenruf des Abg. Wurm.) Es war vor allem eine Frage von Humanität, und auch das fortgeschrittene Alter des Betroffenen hat da eine Rolle gespielt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sage auch ganz deutlich: Es braucht wei­tere Bemühungen für weitere Begnadigungen, um diesen – selbstverständlich auf Basis eines Gesuchs und nach Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen – im Gnadenver­fahren zum Erfolg zu verhelfen.

Nicht minder emotional ist ein anderes Thema, das vor allem die Bevölkerung in Tirol und in Südtirol beschäftigt, und das ist der Transit (Abg. Belakowitsch: Das ist Ihnen das größte Problem, ja?!), der Verkehr am Brenner. (Abg. Wurm: Die Luegbrücke!) Da gibt es Bewegung auf europäischer Ebene. Auch in meinen Gesprächen ist das immer Bestandteil, zuletzt am 16. Mai, als Europastaatssekretär Vincenzo Amendola in Wien zu Gast war.

Tirol und Südtirol tragen die Hauptlast am Transitverkehr über die Alpen. 2021 waren das 2,5 Millionen Lkws, die den Brenner überquert haben, mehr Güterverkehr als auf den anderen fünf Alpenübergängen zusammen – das muss man sich schon einmal auf der Zunge zergehen lassen. (Zwischenrufe der Abgeordneten Belakowitsch und Wurm.)

Und so, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann es nicht weitergehen. Ich sage hier und heute: Ich habe vollstes Verständnis, dass die Geduld der Tirolerinnen und Tiro­ler am Ende ist. Wir müssen auch die Bemühungen bei der Verlegung des Transitver­kehrs von der Straße auf die Schiene verstärken, natürlich zusammen mit Südtirol unse­re Kräfte einfach auch bündeln, denn es ist inakzeptabel, dass die Tiroler Bevölkerung – in Südtirol wie in Tirol – die negativen Folgen des europäischen Wirtschaftswachstums und der Mobilität im wahrsten Sinne des Wortes einatmet.

Der Lkw-Verkehr hat die Belastungsgrenze der Bevölkerung seit Langem bei Weitem überschritten, und der Fortschritt beim Brennerbasistunnel ist in allen Bereichen zu si­chern, auch was die Zulaufstrecken betrifft. Das betrifft auch unseren Nachbarstaat Deutschland und ist auch immer wieder Teil meiner Gespräche.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Jahr 2022 stellt uns vor noch nie dagewe­sene Herausforderungen. Wir sollten die Feierlichkeiten anlässlich des 50-jährigen Jubi­läums des Zweiten Autonomiestatuts und des 30-jährigen Jubiläums der Streitbeilegung vor der UNO (Abg. Belakowitsch: Hauptsache, es gibt einen Grund zu feiern!) als An­lass, aber auch als Aufforderung sehen und nehmen, Frieden in Europa wieder herzu­stellen, Frieden in Europa wieder zu fördern. (Abg. Belakowitsch: Die Doppelstaatsbür­gerschaft haben Sie noch gar nicht erwähnt! Das ist keine Herzensangelegenheit der ÖVP! – Abg. Wurm: Sehr emotionslos, die Rede!) Es ist ein klares Bekenntnis für die Zusammenarbeit mit Südtirol, auch die folgende Diskussion hier im Parlament, bei der ja auch alle zu Wort kommen werden.

Geschätzte Abgeordnete, Damen und Herren auch von der FPÖ, im Sinne eines geein­ten Europas sage ich Ihnen (Abg. Wurm: Wir wollen ein geeintes Tirol!), dass es unsere Aufgabe ist, diese gemeinsamen Werte weiterzutragen und im Sinne von Freiheit, Wohl­stand und Frieden konstruktiv zusammenzuarbeiten. (Abg. Belakowitsch: Ihnen ist ja Brüssel wichtiger als Südtirol! – Abg. Wurm: Freiheit!) Wir sollen niemals aufhören, aus der Geschichte zu lernen. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

11.52

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Pfurt­scheller. – Bitte sehr. Die Redezeit beträgt ab jetzt 5 Minuten.