12.15

Mitglied des Europäischen Parlaments Claudia Gamon, MSc (WU) (NEOS): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Hohes Haus! Ich glaube, ich muss ansprechen, dass die Themenwahl der ÖVP vielleicht ein paar, die bei der heu­tigen Europastunde zuschauen, ins Grübeln bringt. Es gibt im Moment natürlich viele Vorgänge in der ÖVP, die einen stutzig machen. Weil das eine Europastunde ist, möchte ich aber kurz darlegen, was diese Woche, letzte Woche und nächste Woche in Europa passiert ist beziehungsweise passiert. Es wird über eine weitreichende, für Generationen relevante Klimagesetzgebung diskutiert und auch gestritten. Das sind vermutlich die wichtigsten EU-Gesetze in dieser Legislaturperiode, wenn nicht auch in der nächsten. Beim nächsten Rat nächste Woche wird wahrscheinlich darüber entschieden, ob wir die EU-Verträge reformieren können, ob es ein Ende der Blockadepolitik Viktor Orbáns ge­ben wird. Nächste Woche!

Wir sind mitten in der größten Energie- und Teuerungskrise seit Jahrzehnten. (Abg. Hau­ser: Erfolgreich selber gemacht! – Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) An der EU-Außengrenze führt Russland einen brutalen Angriffskrieg. Das ist im Übrigen auch ein Thema, das für Südtirol relevant ist. Das alles sind Themen, die für Südtirol relevant sind, weil Südtirol ein Teil der Europäischen Union ist. Das ist aber auch für mich ein Grund, der uns dazu bringen sollte, in der Europastunde darüber zu reden. Das alles sind The­men, die die BürgerInnen der Union bewegen, das sind Herausforderungen, die die gan­ze Welt bewegen. (Abg. Wurm – erheitert –: Die ganze Welt ...! – Neuerlicher Zwischen­ruf der Abg. Belakowitsch.)

Verstehen Sie mich überhaupt nicht falsch! Ich bin außerordentlich froh darüber, dass wir auch über dieses Jubiläum sprechen können, dass man über die Vergangenheit re­flektiert. Die Streitbeilegung ist ein Meilenstein in der Befriedung eines Konflikts, der Ge­nerationen überdauert hat, ein Erfolg des Multilateralismus, der Diplomatie. Die heutige Realität spricht für sich: Dass die Geschichte der Autonomie Südtirols eine Erfolgsge­schichte ist, darüber müssen wir gar nicht diskutieren. Wir sind uns hier ja offensichtlich zumindest in diesem Punkt einig.

Reflektion ist wichtig: Wer die Vergangenheit nicht versteht, kann keine Zukunft gestal­ten. Und gerade da sind wir uns, glaube ich, uneinig – darüber, ob die Vergangenheit wirklich verstanden wird, um über Zukunft in der Europäischen Union überhaupt spre­chen zu können, darüber, wie wir Grenzen wirklich überwinden können, und was es heu­te bedeutet, Europäerin und Europäer zu sein. (Beifall bei den NEOS.)

Von dem, was ich gehört habe, glaube ich, dass es die ÖVP nicht – und die FPÖ sowieso nicht – versteht. Wir sind uns nämlich beim Überthema Frieden in Europa, das für die heutige Europastunde gewählt wurde, nicht einig. Wir NEOS sind nämlich absolut der Überzeugung, dass der Frieden in Europa nur dann gesichert ist, wenn es eine gestärkte Europäische Union gibt, wenn es ein geeinteres Europa gibt.

Die Verhandlungen rund um das letzte Sanktionspaket waren ein absolutes Desaster. Ungarns Regierung torpediert als Handlager Putins das europäische Krisenmanage­ment, und Bundeskanzler Nehammer bekräftigt sein Verständnis für diese Haltung, weil es ja auch schwierige Fragen gibt. – Das kann es doch wirklich nicht sein! Das kann es nicht sein, dass es kein geeintes Europa und vor allem kein Europa, das Frieden garan­tieren kann, gibt. Es werden Gassanktionen blockiert, Verteidigungsdebatten gecancelt, bevor sie überhaupt angefangen haben, und Putin-Unterstützer verteidigt.

Der Krieg in der Ukraine zeigt doch, dass das Friedensprojekt der Europäischen Union schon lange nicht mehr so wichtig war wie jetzt; und ja, dafür ist es auch wichtig, über die Vergangenheit zu reflektieren – auch für eine Generation junger Menschen, die in den Jahren vor dem Beginn dieses Krieges diese Erzählung ja eigentlich nicht mehr kannte, die die Europäische Union als Friedensprojekt auch nicht gekannt hat. Das wird jetzt vielen wieder bewusst. Daher ist es wichtig, über die Vergangenheit zu reden, aber auch wichtig, dann daraus die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Und das wird hier wie so oft nicht gemacht.

Die Bürgerinnen und Bürger Österreichs haben sich eine Regierung verdient, die sich dieser Mammutaufgabe der Weiterentwicklung der Europäischen Union wirklich bewusst ist und sich proaktiv dafür einsetzt. Österreich hat wirklich nur in einem geeinten Europa eine erfolgreiche Zukunft. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) In einem geeinten, in einem stärker vereinten Europa wachsen auch Nord-, Ost- und Südtirol wieder näher zusammen. Das ist ein Europa, so wie wir es uns vorstellen. – Danke schön. (Beifall bei den NEOS.)

12.20

Präsidentin Doris Bures: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Reinhold Lopatka. – Bitte.