22.18

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich darf auch gleich zu Beginn sagen, dass ich mich sehr freue, dass gestern – endlich, muss man sagen – die Stimme der Ukraine auch in diesen Hallen gehört werden konnte. Ich bin dem Präsidenten des Nationalrates und allen, die daran mitgewirkt haben, sehr dankbar. (Beifall bei Abgeordneten von ÖVP, Grünen und NEOS.)

Das war ehrlich gesagt überfällig – wenn ich mir das zu sagen erlauben darf – und es war so wichtig. Warum war es so wichtig, die Stimme der Ukraine hier zu hören? – Weil sie Opfer eines maßlosen Bruches der Zivilisation ist. Es ist wirklich ein Zivilisations­bruch, den wir in diesem Ausmaß hier in Europa gar nicht für möglich gehalten hätten. Ich rede von den Bildern, die uns aus Butscha, aber auch aus anderen Städten erreichen. Ich rede von den Berichten über sexuelle Gewalt, geschlechtsorientierte Gewalt, insbe­sondere an Frauen, als Teil der russischen Kriegstaktik. Das sind alles Bilder und Berichte, die mich tagtäglich erreichen, die ich, ganz offen gesagt, im Europa des 21. Jahrhunderts schlicht nicht mehr für möglich gehalten hätte und die immer noch, auch nach 100 Tagen, schockieren und unter die Haut gehen.

Wir müssen immer mehr zur Kenntnis nehmen – das sage ich als Außenminister ganz bewusst –: Das ist zwar ein Krieg auf europäischem Boden, aber es ist mitnichten ein europäischer Krieg. Erstens geht es um Werte, Grundideen und Prinzipien, bei denen wir zu Recht davon ausgehen, dass sie universell sind. Zweitens haben wir zum aller­ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg einen Krieg mit derart globalen Auswirkungen. Wir stehen in einem Land wie dem Libanon knapp vor einer Hungersnot; die Brotpreise in Ägypten sind in astronomische Höhen gestiegen, es gibt sogar wirklich ein Problem mit der Grundversorgung; Sonnenblumenöl wird in Indien knapp – ich erwähne jetzt nicht einmal Burkina Faso, Lesotho und andere Orte –: Was da gerade an tektonischen Bewegungen, an Hangrutschungen erfolgt, ist erschreckend.

Die Sicherung der Grundversorgung von Menschen in vielen Regionen der Erde ist in Wirklichkeit auch Teil der Menschenrechtspolitik. Das ist etwas, das uns ganz massiv beschäftigt, wobei wir natürlich mit diesen Solidaritätskorridoren, mit Green Lanes, versuchen, das Maximum herauszuholen. Ich war letzte Woche in Polen und habe mich sehr intensiv darüber unterhalten, was es für Möglichkeiten gibt – sei es über Constanța oder Warna, die Häfen in Rumänien und Bulgarien. Wir helfen natürlich auch über die Donau, aber logistisch reicht das nicht aus. Wir müssen 5 Millionen Tonnen Weizen pro Monat aus der Ukraine herausbringen, und das ist eine enorme logistische Heraus­forderung.

Um wieder zum Thema des Tagesordnungspunktes zurückzukommen: Ein ganz we­sentlicher Punkt unseres Menschenrechtseinsatzes ist natürlich – das ist nicht nur in der Ukraine so, das zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Politik, aber jetzt sind wir ganz besonders gefordert –, bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen zu helfen. Eines muss ganz sicher sein: Es darf keine Straflosigkeit geben! (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Abgeordneten der NEOS.)

Ich glaube, gerade ein Land unserer Größe ist von der Einhaltung von Recht abhängig. Wir brauchen internationale Verträge. Wir sind darauf angewiesen, dass sich andere an die Regeln halten. Es geht nicht an, dass für jemanden andere Regeln gelten, nur weil er einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat hat oder über ein nennenswertes Atomwaffen­arsenal verfügt. Wir müssen sehr aufpassen, dass wir nicht die Universalität unserer Rechte unterminieren, indem wir eine Zweiklassengesellschaft einführen.

Es wurde erwähnt, es gibt sozusagen drei wesentliche Achsen. Das eine ist natürlich die Unterstützung – das ist für mich das Zentrum – des Internationalen Strafgerichtshofes. Ich hatte ja auch schon Gespräche mit Chefankläger Khan. Österreich gehört zu jener Gruppe von 40 Staaten, die dem ICC die Situation in der Ukraine vorgelegt habt. Schon am selben Tag hat Chefankläger Khan ein Untersuchungsteam zusammengestellt und in die Ukraine entsandt. Wir unterstützen personell und finanziell, und – da bin ich ganz bei Ihnen, Herr Abgeordneter – das kann nur der Anfang sein.

In Wirklichkeit – das hat mir der Chefankläger auch gesagt – stehen sie vor einer Mammutaufgabe. Sie müssen Millionen Gigabyte an Audionachrichten, an Filmnach­rich­ten, an Fotos und an allem Möglichen aufarbeiten. Ohne die entsprechende personelle Unterstützung auch der Behörden in Nationalstaaten würde das Monate, wenn nicht Jahre brauchen. Wir brauchen aber, glaube ich, schnell Ergebnisse, vor allem wenn wir sehen, dass auf der anderen Seite sozusagen stalinistische Schauprozesse stattfinden und Personen zu Tode verurteilt werden.

Dann gibt es natürlich die Untersuchungskommission des Menschenrechtsrates. Da muss ich sagen, ich bin stolz, dass Michelle Bachelet zuallererst sehr schnell an uns herangetreten ist. Sie hat gesagt: Ich hätte am liebsten, dass die Untersuchungskom­mission von Wien aus operieren kann! – Natürlich, es wurde auch erwähnt: Wir sind Amtssitz, sie hat hier einen möglichen Anschluss. Es hat aber schon auch mit unserer Politik, mit unserer klaren Wertehaltung in diesem Zusammenhang zu tun. Ich bin auch sehr froh, dass wir nicht nur unterstützt haben, sondern auch ermöglicht haben, dass das 18-Personen-Team nun von Wien aus operiert.

Auch bei der allerersten Maßnahme, die diesbezüglich gesetzt wurde, gibt es eine ganz klare rot-weiß-rote Teilnahme, nämlich beim sogenannten Moskauer Mechanismus im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Es wurden drei Professoren ausgewählt, um den ersten Menschenrechtsbericht zum Krieg in der Ukraine zu verfassen, und der Leiter dieser Kommission war Professor Wolfgang Benedek aus Graz. Auch da gibt es also eine rot-weiß-rote Teilnahme.

Es ist für mich ganz klar – das will ich hier betonen –, es ist für uns völlig logisch, es ist im Eigeninteresse Österreichs – noch einmal –, dass wir sicherstellen: Es kann keine Straflosigkeit geben! Massivste Verletzungen gegen das humanitäre Völkerrecht, gegen Grundlagen des Menschenrechts, Kriegsverbrechen müssen geahndet werden. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden, und dafür wird sich Österreich auch weiterhin einsetzen.

Das wird auch Thema bei meinem nächsten Besuch in Kiew Mitte Juli sein. Wir werden wieder gemeinsam mit meinen Kollegen aus der Tschechischen Republik und der Slowakei, im Slavkov-3-Format, hinfahren, und dann ist das natürlich ein ganz wesentliches Thema. – Ich danke Ihnen sehr. (Beifall bei ÖVP, Grünen und NEOS.)

22.25

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Weber. – Bitte.