9.22

Bundesminister für Finanzen Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Ja, es gibt große Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, und diese Heraus­forderungen verlangen von der Bundesregierung, dass sie an den großen Schrauben dreht, an den sehr großen Schrauben dreht, und das tun wir in Form von drei Antiteue­rungspaketen, die wir mittlerweile bereits hier in diesem Haus beschlossen haben.

Die hohe Inflation sorgt natürlich weiter für große Herausforderungen. Das ist, glaube ich, jedem in diesem Raum und auch zu Hause klar. Die steigenden Kosten im Alltag bereiten den meisten Menschen große Sorgen, das ist überhaupt keine Frage, Sorgen, die wir als Politiker auch sehr, sehr ernst nehmen müssen.

Den Wortspenden in den vergangenen Tagen und Wochen entnehme ich auch, dass Sie alle, wie wir hier sitzen, diese Sorgen ernst nehmen, nur die Zugänge zu diesen Themen sind vielleicht etwas unterschiedlich. Das ist ja prinzipiell auch durchaus in Ord­nung.

Bevor man über mögliche Maßnahmen diskutiert, sollte man sich vielleicht auch die Ur­sachen für die Höhe der Inflation anschauen, wenn man seriös ist. Im Wesentlichen gibt es drei Gründe dafür. (Abg. Wurm: EZB!) – Ich weiß, es kommt dann immer noch ein vierter Grund vonseiten der Freiheitlichen dazu, aber im Wesentlichen sind es drei Gründe.

Erstens: die Überhitzung der Wirtschaft nach der Coronapandemie, als wir extrem starke Wachstumsphasen gehabt haben, 5,3 Prozent wurden prognostiziert. Das hat zu einer Überhitzung der Wirtschaft geführt. Die Wirtschaft ist stark gewachsen, hat sich sehr stark, natürlich auch wegen der umfassenden Covid-Hilfen, erholt.

Zweitens, das ist ein ganz aktueller Grund: die weltweiten Engpässe, die wir aufgrund der unterbrochenen Lieferketten auch spüren. (Abg. Hauser: Aufgrund der Coronapoli­tik! Alles selbst verursacht durch die schlechte Politik!) Wer hätte gedacht, dass ein quer stehendes Schiff im Sueskanal oder ein geschlossener Hafen in Shanghai solche Aus­wirkungen auf die Lieferketten und auf die Wirtschaft insgesamt hat?

Und drittens: Der aktuellste Grund ist natürlich der Krieg in der Ukraine, und da insbe­sondere die gestiegenen Energiekosten. Wir haben ja, was die Inflation betrifft, eine an­dere Situation als die USA. Die USA haben eine viel breiter aufgestellte Inflation. Unsere Inflation in Europa ist ganz stark energiepreisgetrieben, zu über 50 Prozent, und da hat der Krieg in der Ukraine natürlich ganz massive Folgen.

Was kann jetzt der Staat gegen die Inflation tun? Natürlich hat da die EZB, ja, da haben Sie recht, gewisse Möglichkeiten, die Zentralbanken insgesamt. Was kann ein Staat tun? – Ein Staat kann nicht 100 Prozent aller Krisen auf dieser Welt abfedern. Das kann er nicht, das ist auch nicht Aufgabe des Staates; aber unsere Aufgabe ist es schon, die Menschen zu unterstützen, ihnen in dieser schwierigen Phase mit den hohen Preisen zu helfen und diese Auswirkungen auf die Preise vor allem bestmöglich abzufedern. Das ist Aufgabe der Politik, und wir tun das in einer Größenordnung – der Herr Klubobmann hat es angesprochen – und auch in einer Geschwindigkeit, mit denen wir europaweit, ich würde fast sagen, nicht einzigartig, aber ganz, ganz vorne dabei sind, was das Volumen betrifft, aber vor allem auch – und das ist eigentlich entscheidend –, was die Geschwin­digkeit betrifft.

In anderen Staaten diskutiert man derzeit, ob man im Herbst gewisse Maßnahmen in den Parlamenten debattiert. Bei uns sind die meisten dieser Maßnahmen bereits be­schlossen worden. Gestern gab es die Ankündigung in Deutschland, dass das Öko­strompauschale, also die EEG-Umlage, bei uns Ökostrompauschale und Ökostromför­derbeitrag, jetzt abgeschafft wird. Bei uns ist das im Hohen Haus bereits im Frühjahr beschlossen worden. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Das sind Unterschiede, die man einfach zur Kenntnis nehmen muss. Was die Geschwin­digkeit betrifft, sind wir ganz vorne mit dabei, und ich glaube, das ist auch gut und wichtig so, dass das Parlament so schnell und so intensiv reagiert hat. (Abg. Angerer: Und welchen Einfluss haben die Maßnahmen auf die Preise und die Inflation?)

Es reicht auch nicht aus, einfach den Geldhahn aufzudrehen. Man muss sich das schon ein bisschen seriöser anschauen. Viele Ideen, die im Raum stehen und diskutiert worden sind, haben auch weitreichende volkswirtschaftliche Konsequenzen, und diese Konse­quenzen müssen wir als verantwortungsvolle Politiker bei all diesen Entscheidungen, die jetzt notwendig sind, schon auch immer mitberücksichtigen, weil falsch gesetzte Maß­nahmen auch dazu führen können, dass Entlastungsschritte entweder gar nicht bei den Menschen ankommen oder sogar inflationstreibend wirken, und das wäre der falsche Weg. Wir müssen ganz genau schauen, welche Auswirkungen die Maßnahmen auf wel­che Bevölkerungsgruppen, auf welche Einkommensgruppen, aber eben auch auf die Wirtschaft insgesamt, auf die Arbeitsplatzsituation haben. Das ist Aufgabe einer verant­wortungsvollen Politik. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Wir als Entscheidungsträger tun, glaube ich, auf allen Ebenen auch gut daran, wenn wir uns an die Expertinnen und Experten halten, und wir tun das ganz intensiv. Wir sind in unglaublich engem Austausch mit den Wirtschaftsforschern sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Es ist unsere Pflicht, auf die Expertinnen und Experten auch zu hören, damit die richtigen Maßnahmen auf den Weg gebracht werden.

Man muss sich bei allen Maßnahmen immer fragen: Was bringen sie den Menschen unmittelbar, wird die Entlastung auch ankommen? Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Bei manchen Vorschlägen, die kommen, ist das eben nicht der Fall. Was kommt wirklich oder vielleicht nur zum Teil an? Welche Maßnahmen kommen vor allem schnell an? Die Geschwindigkeit ist in diesen herausfordernden Zeiten ganz wichtig. Und auch: Welche Maßnahmen braucht es strukturell? Das eine sind die kurzfristigen Maßnahmen, die kurzfristigen Unterstützungen, und das andere sind die strukturellen Reformen. Wenn es um diese Fragen geht, dann hören wir ganz intensiv auf die Wirtschaftsforscherinnen und Wirtschaftsforscher, auf die Experten, weil es wichtig ist, faktenbasierte Politik zu machen und sich nicht vielleicht für das zu entscheiden, was gerade populär oder sogar populistisch klingt. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Im Kampf gegen die Teuerung braucht es aus unserer Sicht einen ausgewogenen Mix aus kurzfristigen Maßnahmen, schnell wirksamen, schnell ankommenden Maßnah­men – das sind vor allem diese Einmalzahlungen, selbstverständlich, die müssen schnell zu den Menschen kommen –, und auf der anderen Seite auch strukturellen Maßnahmen, die mittel- und langfristig wirken. Der Vergleich mit anderen europäischen Staaten, ich habe das vorhin angesprochen, macht uns da wirklich sicher.

Die ersten beiden Antiteuerungspakete mit 4 Milliarden Euro wurden sehr, sehr schnell auf den Boden gebracht, aber weil die Situation jetzt noch eine andere ist, ist es wichtig, diesen nächsten Schritt zu gehen, nämlich mit den 28 Milliarden Euro, die jetzt auf den Weg gebracht werden. Dieses dritte Paket ist eben eine Mischung aus Soforthilfen, Sofortmaßnahmen, aus schnellen Einmalzahlungen, aber auch aus strukturellen Maß­nahmen, die in dieser Zeit, glaube ich, auch ganz, ganz wichtig sind.

Was noch dazukommt – der Herr Klubobmann hat es angesprochen – ist die ökosoziale Steuerreform, die wirksam ist. Sie ist 18 Milliarden Euro schwer und wirkt jetzt bei den Menschen unmittelbar, kommt unmittelbar bei den Menschen an. Das sind natürlich vor allem auch Steuererleichterungen für Familien, und das ist ganz entscheidend, weil die Familien intensiv unter diesen Teuerungen leiden. Österreich ist da auch eines der we­nigen Länder in Europa, das trotz dieser schwierigen Zeiten eine Steuerreform durchge­zogen hat. Viele andere europäische Staaten haben aufgrund der Situation Steuerrefor­men wieder abgesagt. Wir haben sie durchgezogen, weil die Menschen entlastet werden müssen, weil die Wirtschaft entlastet werden muss. Ich glaube, das war auch ein richtiger Schritt. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Zurück zu den Antiteuerungspaketen: Wie gehen wir vor? – In einem ersten Schritt, das wurde ja bereits beschlossen, kommen die unmittelbaren Hilfen: Das sind über 6 Milliar­den Euro, die für diejenigen zur Verfügung gestellt werden, die besonders betroffen sind, also für Mindestsicherungsbezieher, Mindestpensionistinnen und ‑pensionisten, für die Familien. Da muss schnell geholfen werden, jetzt noch im Sommer, und das tun wir in diesem ersten Schritt.

Im zweiten Schritt geht es in die Breite. Auch der Mittelstand ist von den Teuerungen natürlich betroffen. Wir haben da den Fokus insbesondere auf die Einkommensgruppen zwischen 1 100 und 2 000 Euro brutto gelegt. Die wurden von den ersten Paketen viel­leicht noch etwas zu wenig bedacht. Da ziehen wir jetzt auf jeden Fall nach.

Die dritte Stufe dieses Prozesses – aus meiner Sicht, wenn man mittel- und langfristig denkt, ist das fast der entscheidendste Punkt, auch für die Zukunft – umfasst diese struk­turellen Maßnahmen, die noch nicht zur Beschlussfassung vorliegen, die aber nächste Woche, insbesondere was die kalte Progression betrifft, in Begutachtung gehen. Ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt, dass wir das noch vor dem Sommer tun, über den Sommer seriös darüber diskutieren, wie die Ausgestaltung im Detail funktionieren kann.

Wir haben uns das mit der kalten Progression auch genau angeschaut, die unterschied­lichsten Modelle, die es in Europa gibt. Der Unterschied zur Schweiz, zum Schweizer Modell, ist, dass die Schweizer die kalte Progression ja nur auf die Bundesabgaben abgeschafft haben, aber ein Großteil der Steuern in den Kantonen anfällt; in den Kan­tonen wurde sie in manchen abgeschafft, in den meisten nicht. Der Unterschied zum deutschen Modell, bei dem die kalte Progression auch zu 100 Prozent abgeschafft worden ist, ist, dass bei den Deutschen zu 100 Prozent die Politik entscheidet, wie man es zurückgibt.

Ich denke, unser Weg ist ein Weg mit Hausverstand: dass wir zwei Drittel automatisiert machen und bei einem Drittel aber noch Spielraum haben, um sozial umzuverteilen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.) Das ist verpflichtend, das ist gesetzlich vorgeschrieben, das muss zurückgegeben werden. Deswegen: ja, 100-pro­zentige Abschaffung der kalten Progression, aber mit einem sozialen Ausgleich. Ich glau­be, das spricht für sich, das ist fair und das ist auch Politik mit Hausverstand.

Mit der Abschaffung der kalten Progression und auch mit der Valorisierung der Sozial­leistungen nehmen wir uns auch Spielraum. Ja, das stimmt, wir haben in Zukunft als Regierung auch weniger Spielraum, das ist klar, so fair muss man sein, aber es ist nicht unser Job, gerade in diesen Zeiten, uns zurückzulehnen und uns zu denken: Die zusätz­lichen Steuereinnahmen, die wir jedes Jahr über die kalte Progression bekommen, die verteilen wir dann. Es ist momentan keine Zeit für Bequemlichkeit. Es ist die Zeit für Fairness, ja, und darum müssen solche strukturellen Maßnahmen auch dringend auf den Weg gebracht werden, und ich bin froh, dass wir als Bundesregierung das nach 40 Jah­ren Diskussion jetzt endlich geschafft haben. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Insgesamt ist uns aus meiner Sicht mit diesem dritten Antiteuerungspaket ein sehr aus­gewogenes Paket, ein sehr faires Paket, vor allem auch ein treffsicheres Paket gelun­gen. Mit diesen Maßnahmen helfen wir in einem ersten Schritt jenen Menschen, die es besonders notwendig haben, und dann verändern wir eben auch die Strukturen in Rich­tung mehr Fairness. 28 Milliarden Euro – ja, das ist sehr, sehr viel Geld, aber wir möch­ten den Menschen das zurückgeben, was ihnen die Teuerung nimmt. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

9.35

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Kopf. – Bitte.