16.13

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Herr Vizekanzler! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Ich habe zwei Mauerstücke mitgebracht (zwei Mauerstücke zeigend): zwei Mau­erstücke, die seit einiger Zeit bei mir im Büro nebeneinander liegen. Ein Stück (ein Mauerstück zeigend) ist ein Teil der Berliner Mauer – das habe ich heute mitgebracht, weil heute der Tag der Deutschen Einheit ist, den wir durch­aus auch als einen bedeutenden Moment in der europäischen Geschichte zu feiern haben. (Beifall bei NEOS, ÖVP und Grünen sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Das andere Stück Mauer (das zweite Mauerstück zeigend) ist aus einem zerbombten Wohnhaus im Kiewer Vorort Irpin, das habe ich dort aufgelesen und mitgenommen, damit ich mich tagtäglich daran erinnere, was Europa auch sein kann: nicht nur der Fall einer Mauer, sondern auch das Zerbomben von Mau­ern. Und das ist der Grund, warum wir heute hier sind: Genau das soll uns Mahnung sein, was Mauern in Europa bedeuten können und derzeit bedauerli­cherweise auch bedeuten. (Beifall bei NEOS, ÖVP und Grünen.)

Die Bundesregierung hat die Einberufung dieser Sondersitzung veranlasst und hat den Titel gewählt: Maßnahmen in der Sicherheits-, Energie- und Wirtschaftspolitik in Europa und insbesondere in Österreich nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. – Mit einiger Verwunderung nehme ich zur Kennt­nis, dass weder der Innenminister noch die Verteidigungsministerin heute hier ist und eigentlich überhaupt nichts zum Thema Sicherheitspolitik gesprochen wurde. (Abg. Leichtfried: Dafür ist der Bundeskanzler da!) Das verwundert mich doch schon sehr, weil vom Vorredner Lopatka auch angesprochen wurde, dass die EU aufgewacht ist und auch die Nato aufgewacht ist. Ich würde sagen, dass eigentlich so gut wie alle europäischen Länder aufgewacht sind, wenn es um die Sicherheitspolitik geht, nur nicht Österreich. Österreich befindet sich ganz offensichtlich im Dornröschenschlaf.

Der deutsche Bundeskanzler Scholz hat das, was am 24. Februar passiert ist, als „Zeitenwende“ bezeichnet, und in jedem anderen europäischen Land ist zu Recht eine Debatte gestartet worden, welche Auswirkungen diese Zeitenwende, die eine geopolitische Verschiebung sondergleichen bedeutet, auf die nationalen Si­cherheitspolitiken hat. In Österreich wurde die Debatte ex cathedra vom Bundeskanzler abgewürgt. Dabei ist völlig klar: Der Beitritt Schwedens und Finn­lands, die wirklich jahrzehntelang für das Modell von Paktfreiheit und, wenn Sie so wollen, dann auch Neutralität gestanden sind, zur Nato bedeutet natürlich eine massive Verschiebung auch der Sicherheitsarchitektur und der Vertei­digungsarchitektur Europas – nicht zugunsten der Europäischen Union, wie wir uns das gewünscht hätten, sondern zugunsten der Nato.

Und eine unbequeme Wahrheit, die wir sehen, jedenfalls nach 2014 und je­denfalls nach dem 24. Februar, ist doch, dass man klar sagen muss: In dieser Zeit, in der Putin einen Krieg gegen den gesamten Westen führt, schützt uns Neu­tralität nicht!

Ich bin doch einigermaßen verwundert, dass an einem Tag, für den die Regie­rung ankündigt, dass über Sicherheitspolitik gesprochen wird, kein einziges Wort über die Frage, was uns Neutralität in der Zukunft zu bedeuten hat, verloren wird.

Schauen Sie bitte in die Schweiz! In der Schweiz wird diese Debatte geführt, und dort wird der Begriff der kooperativen Neutralität benutzt. (Abg. Sieber: Das ist im Ständerat gescheitert!) Das ist etwas sehr Wesentliches, weil er für mich eindeu­tig das beinhaltet, was Vizekanzler Kogler gesagt hat, nämlich: In Sachen massiven Völkerrechtsbruchs – mit diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins wurde jede Vereinbarung, jeder Vertrag gebrochen – kann es keine Neutralität geben! Wir müssen wissen, wo wir zu stehen haben! (Beifall bei den NEOS.)

Wir müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass Europa auch handlungsfähig und verteidigungsfähig wird. Das hieße zum Beispiel, eine Debatte darüber zu starten, dass wir in Österreich nicht länger Trittbrettfahrer sein können und sollen, zum Beispiel die irische Klausel ein für alle Mal in die Geschichtsbü­cher zu schreiben und sich in Zukunft voll und umfänglich der Beistandspflicht zu verpflichten. Ich halte das für wesentlich.

Ich war gerade im Deutschen Bundestag und habe die Vorsitzende des deut­schen Verteidigungsausschusses getroffen, habe mich mit ihr auch über die Veränderungen in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik unterhalten (Zwischenruf des Abg. Martin Graf), mit dem Ziel einer strategi­schen Autonomie, die uns nämlich sehr wichtig ist, und Handlungsfähigkeit, die sehr entscheidend ist.

Ich habe sie gefragt, wie da eigentlich auf Österreich geschaut wird, und sie hat gesagt: Na ja, offen gesagt spielt Österreich keine Rolle! – Es gibt – und das habe ich, glaube ich, schon einmal gesagt – den Spruch: Either you sit on the table or you are on the menu. – Also Sie können es sich aussuchen: Entweder Sie haben einen Platz am Tisch, wenn es um die Zukunft der Verteidigungspolitik geht, oder Sie haben halt einen Platz auf der Menükarte.

Mit Beginn des russischen Angriffskriegs wurde uns allen vor allem auch die Ab­hängigkeit von russischem Gas sehr, sehr schmerzlich bewusst. Ich möchte hier noch einmal betonen, dass diese Abhängigkeit Österreichs, die in Europa wirklich sondergleichen ist, nicht hausgemacht ist, sondern sie wurde in der Ver­gangenheit bewusst von Politikern von ÖVP, SPÖ und FPÖ herbeigeführt. Die­se Politiker haben uns in die Arme Putins getrieben (Abg. Hafenecker: Und Hans Peter Haselsteiner! – Abg. Stefan – in Richtung des Abg. Hafenecker –: Nein, der war im Widerstand immer! – Abg. Hafenecker: Der war nicht im Wider­stand! – weitere Zwischenrufe bei der FPÖ), und ich hoffe zumindest – auch wenn uns und den Menschen das jetzt nichts nützt –, dass sie es bereuen. (Abg. Stefan: ... deswegen keine Aufträge bekommen ..., der Arme! Weil er sich immer so gegen das Regime gestellt hat!)

Eines ist auch ganz klar: dass Putin, und zwar schon seit 2021, einen Energie­krieg gegen ganz Europa führt. Er hat das 2021 durch eine Verknappung von Gas getan und damit die Preise schon in die Höhe getrieben, und er tut es weiter. Es sind ihm in diesem Krieg offensichtlich alle Mittel recht. Und ja, wir wissen es nicht, aber die jüngste Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines hat die Gaspreise noch einmal in die Höhe getrieben: Das Gas ist aktuell wahn­witzige 1 300 Prozent teurer als noch vor zwei Jahren.

Wissen Sie, das ist genau der Punkt: Werte Bundesregierung, Sie haben sich ja gerühmt für die Summen, die Sie mit Boni und Gutscheinen ausgeben, denen ja auch eine Mentalität innewohnt, die ich zutiefst ablehne – und der Steuerzah­ler ist ja nicht so dumm, er weiß ganz genau, dass er sich das selber zahlt –, aber damit werden Sie das Problem dieser Preissteigerungen nicht in den Griff bekommen. (Beifall bei den NEOS.)

Wir haben letzte Woche einen Sechspunkteplan präsentiert, und ich gebe zu, wir haben, auch für Liberale, einen weiten Weg genommen. Wir haben gesagt, das Problem muss selbstverständlich an der Wurzel gepackt werden. Die Preise müs­sen runter, und gleichzeitig müssen die Ärmel hochgekrempelt werden.

Was meine ich damit, wenn ich sage, die Ärmel müssen hochgekrempelt wer­den? – Es ist eigentlich ganz simpel. Sie müssen kein Wirtschaftsprofessor sein, um zu erkennen, dass bei zu wenig Angebot und gleichbleibender Nachfrage der Preis unermesslich hoch steigt. Das heißt, Österreich muss alles daransetzen, dass wir diversifizieren, mehr Gas aus eigenen Quellen und aus anderen Quel­len bekommen. Wo ist das Gas aus Norwegen? Und wo ist die Energieministerin, die ich das heute hätte fragen wollen? (Beifall bei den NEOS.)

Darüber hinaus – und das ist natürlich auch schon angesprochen worden, Sie können das gerne mit den Niederlanden vergleichen –: endlich in Freiheits­energien investieren, das heißt, den Ausbau von Erneuerbaren vorantreiben! Das geht aber nicht, indem man die Verfahren ein bisschen beschleunigt. Wer jetzt noch nicht verstanden hat, dass die Party, insbesondere die fossile Party, vorbei ist, dem weiß ich nicht zu helfen. Wir müssen doch jetzt wirklich Leadership zeigen und per Gesetz oder per Notverordnung Projekte durchpeitschen, damit wir diesen Ausbau in einem Tempo vorantreiben, das wir noch nie zuvor in Österreich gesehen haben. (Beifall bei den NEOS.)

Die Entscheidung der EU-Energieminister letzte Woche begrüßen wir. Die Ab­schöpfung der Gewinne von Stromerzeugern auch aus anderen Quellen als aus Gas, um Kunden, Haushalte, Betriebe zu stützen, begrüßen wir, aber machen wir uns keine Illusionen über die Summen. (Abg. Martin Graf: Warum sagen Sie das nicht den Menschen?!) Ich glaube auch, dass ich für viele Menschen spre­che, wenn ich sage, dass das, was die EU-Energieminister am Freitag erreicht haben, dann doch enttäuschend war, weil: Wir brauchen mehr Tempo!

Der nächste große Schritt muss die Entkopplung von Strom- und Gaspreisen sein. Und ja, da gibt es das Modell der Subventionierung der Gaspreise für Gas bei Verstromung, wie das das iberische Modell vorsieht, wie das Spanien gemacht hat – das geht nicht auf nationaler Ebene, wie das der ehemalige Bun­deskanzler Kern gesagt hat, das ist völlig illusorisch und falsch. Sinnhaf­terweise geht das nur auf europäischer Ebene, aber das wäre dringend zu tun.

Genauso dringend wäre es aber, einen verbindlichen Energiesparplan auf den Tisch zu legen, denn in Zeiten von Knappheiten lösen Sie das Problem nicht, wenn die Nachfrage gleich hoch bleibt. Wo ist der verbindliche Energie­sparplan? – Ich sehe ihn nicht. Ich sehe sinnlose Diskussionen um Heizschwam­merl, die – Entschuldigung! – im Vergleich zu dem, was wirklich hier am Tisch liegt, lächerlich sind, einfach nur lächerlich! (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Schroll.)

Last, but not least: Wir sehen eine enorme Gefahr für die Industrie, es droht eine Deindustrialisierung. Und es erfüllt mich mit großer Sorge, dass Europa mittelfristig nicht wettbewerbsfähig sein wird, weil natürlich die Energiepreise in anderen Teilen der Welt andere sind; in den USA, aber auch im asiatischen Raum. Ich habe gesagt, wir als Liberale sind hier einen weiten Weg gegangen, und ich gehe jetzt sogar noch einen Schritt weiter: Wenn wir unsere Betriebe wett­bewerbsfähig halten wollen, dann können wir nicht zuschauen, wie Deutsch­land eine Gasbremse einführt; auch wenn ich tatsächlich sage, es liegt noch nicht am Tisch, welches konkrete Modell. Bis jetzt ist sozusagen nur einmal die Summe genannt worden, aber nicht, wie sie es genau machen. Sie können kei­nem oberösterreichischen Betrieb erzählen, dass er quasi Gas dann in Deutschland günstiger als in Österreich bekommt. Österreich wird da nachzie­hen müssen, und ich erwarte mir auch da, dass Tempo gemacht wird, dass wir zu diesen Lösungen rasch kommen, und zwar noch vor dem Winter. (Beifall bei den NEOS.)

Ich habe bisweilen den Eindruck, dass der Regierung die Dimension und die Ernsthaftigkeit der Krise nicht bewusst werden. Das zeigen eben Diskussionen um Boni und Gutscheine und Heizschwammerl, wenn dann sozusagen viel­leicht ein Deal läuft: Ich verbiete dir die Heizschwammerl – das kriegen die Grü­nen –, und dafür kriegen die Bauern bei der ÖVP wieder etwas. – Das ist unerträglicher Klientelismus, unerträglicher Klientelismus! Für dieses Klein-Klein ist es zu spät! (Beifall bei den NEOS. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Wenn Sie jetzt nicht verstehen, dass wir an großen Schrauben drehen müssen – jetzt, in der größten Krise der Zweiten Republik –, um tatsächlich gestärkt aus der Krise hervorzugehen, dann weiß ich nicht, und dann weiß ich auch nicht mehr, wie ich Ihnen helfen kann. Es findet gerade eine enorme geopolitische Verschiebung statt.

Und ja, die FPÖ: Lassen Sie die FPÖ! Die sind halt Putin-Freunde, die haben einen Freundschaftsvertrag. Das ist natürlich ein Verrat an Österreich, an der Europäischen Union und an unseren Werten, der da begangen wird, aber sie spielen ja Gott sei Dank keine Rolle. (Abg. Stefan: ... der Haselsteiner euch finan­ziert! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Aber Sie (in Richtung ÖVP) sitzen in der Regierung, Sie spielen eine Rolle. Wie sind denn die Rolle und die Position Österreichs? Wie sind denn die Rolle und die Position Europas zukünftig hin­sichtlich Wettbewerbsfähigkeit oder geostrategischen Handelsfragen? (Zwi­schenruf des Abg. Deimek.) Wie werden wir uns positionieren? Neutral? – Das wage ich zu bezweifeln.

Ich sage das auch deshalb, weil ich mich erinnern kann, gut erinnern kann, wie in diesem Haus von Populismus getrieben wir als einzige Fraktion gesagt haben, wir sollten uns schon überlegen, Freihandel mit unseren Freunden zu führen, zum Beispiel mit Kanada, zum Beispiel mit den USA. – Mit wem wollen Sie denn zukünftig Handel betreiben? Mit China, mit Russland, mit Saudi-Arabien? Das glaube ich nicht, das rettet uns den Wohlstand nicht. – Danke. (Beifall bei den NEOS.)

16.25

Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Dr. Christian Stocker. – Bitte schön, Herr Abgeordneter.