18.03
Abgeordnete Petra Tanzler (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Diese Regierungsvorlage ist wieder ein Konglomerat von vielen unzusammenhängenden Teilen. Wir haben da große Kritikpunkte, nämlich drei an der Zahl. (Präsident Sobotka übernimmt den Vorsitz.)
Zum einen scheint die Ausbildungsarchitektur bei der Elementarpädagogik sehr wenig durchdacht zu sein. Es kommt jetzt ein Masterstudium, es gibt aber kein Bachelorstudium dazu. Das heißt, es ist die Frage, wie sich die Kollegs und Lehrgänge für Quereinsteiger in diese Ausbildungsstruktur einbetten werden, denn für das Masterstudium sind 180 ECTS Voraussetzung, die Lehrgänge aber nie erreichen können.
Für das Masterstudium ist weder eine facheinschlägige Berufspraxis notwendig noch ist diese Berufspraxis Teil des Studiums. Ich persönlich lehne es wirklich ab, pädagogisch ungeschultes Personal in Bildungseinrichtungen zu schicken, damit die Leute erst dort draufkommen, ob sie für diesen Beruf geeignet sind – und das in der sensibelsten Phase der kindlichen Entwicklung. (Beifall bei Abgeordneten der SPÖ.)
Wir wollen qualitativ hochwertige Ausbildung. Ihr Konzept geht leider auf Kosten und zum Nachteil der Kinder.
Der zweite Kritikpunkt betrifft die IKM-plus-Testungen. Da ist die Frage offen, wie Sie das bewerkstelligen werden, ohne die Unterrichtszeit noch mehr zu reduzieren. Diese zusätzlichen Messungen brauchen einfach Zeit.
Kinder werden im Moment von Studierenden, die noch nicht mit der Ausbildung fertig sind, betreut und unterrichtet. Das heißt, die Fördermaßnahmen können nicht entsprechend aufgebaut und ausgebaut werden. Es gibt keinen kontinuierlichen Bildungsverlauf, aber Hauptsache, es wird alles getestet und gemessen. Noch dazu ist es wohl kaum notwendig, mit einem standardisierten Test soziale Kompetenzen festzustellen, wenn nicht klar ist, welchen Nutzen das hat und wo das gespeichert wird. Es misst einzig und allein das Versagen dieser ÖVP-Grünen-Bildungspolitik dieser letzten drei Jahre, meine Damen und Herren.
Die Begutachtungsphase von zwei Wochen ist schlicht und einfach viel zu kurz. (Beifall bei der SPÖ.) Die Bundesländer konnten nicht eingebunden werden, und auch der Datenschutzrat, der zu diesem Gesetzesvorschlag eine Stellungnahme abgeben muss, konnte nicht tagen.
Ich möchte aber noch zu einem anderen Test sprechen, nämlich zum Mika-D-Test und zu den Deutschförderklassen. Endlich ist die Evaluierung fertiggestellt; sie zeigt, was Pädagoginnen und Pädagogen schon seit vielen Jahren wissen: dass diese Deutschförderklassen und die Mika-D-Testungen ein großer Mehraufwand sind und einen großen Schaden an den Kindern anrichten, wie zum Beispiel Laufbahnverluste. Sie vergeuden Lehrerressourcen und Kinderlebenszeit, und sie treiben die Bildungsschere auseinander. Es wurden 110 Standorte befragt, aber hätten Sie alle befragt, wäre das Ergebnis mit Sicherheit noch schlechter ausgefallen.
Pädagoginnen und Pädagogen wissen, was Kinder brauchen. Sie können das auch ohne Tests und Deutschförderklassen beurteilen, sie sind kompetent. Laut Medienberichten bleiben Sie aber dabei, Herr Minister. Das ist ein stures Beibehalten eines schlechten Systems, das Schaden verursacht. Dazu gehört wirklich einiges, meine Damen und Herren. Die Unterrichtssprache Deutsch ist eine Voraussetzung und eine wichtige Ressource beim Bildungserfolg, aber das Erlernen der Sprache geht auch ohne Deutschförderklassen. Daher stelle ich folgenden Antrag:
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Petra Tanzler, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Sprachförderung an Österreichs Schulen auf wissenschaftliche Grundlagen stellen!“
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird aufgefordert, das bestehende System der Deutschförderklassen und Testung abzuschaffen und auch auf Grundlage der empfohlenen Maßnahmen des Evaluationsberichtes ein flexibles Modell der Sprachförderung mit einem langfristigen, durchgängigen und direkten Ansatz, welcher die soziale Integration berücksichtigt, zu etablieren und regelmäßig evidenzbasiert weiterzuentwickeln. Dieses Modell soll jedenfalls kleinere Gruppen, Kontinuität über bis zu sechs Jahre und die Verbindung von altersgerechtem Sprach- und Fachunterricht enthalten und ohne punktuellen Test zur Beurteilung von Kindern auskommen.“
*****
Es braucht mehr in Österreich – mehr als dieses Abschaffen der Deutschförderklassen und der Mika-D-Tests. Es braucht mutigere Reformen und eine komplette Neuausrichtung des Bildungssystems. Es ist höchste Zeit, Herr Minister! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Künsberg Sarre.)
18.07
Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Petra Tanzler, Nurten Yilmaz,
Genossinnen und Genossen
betreffend Sprachförderung an Österreichs Schulen auf wissenschaftliche Grundlagen stellen!
eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Unterrichtsausschusses über die Regierungsvorlage (1791 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Schulunterrichtsgesetz, das Hochschulgesetz 2005, das Bildungsdokumentationsgesetz 2020, das IQS-Gesetz, das Anstellungserfordernisse-Grundsatzgesetz und das Prüfungstaxengesetz geändert werden (1836 d.B.) (TOP 11)
Seit erstem September 2018 werden außerordentliche Schüler*innen in sogenannten Deutschförderklassen separiert. Für die Feststellung des (außer-)ordentlichen Status und die Zuteilung in Deutschförderklassen oder in Deutschförderkurse steht seit April 2019 mit MIKA-D (Messinstrument zur Kompetenzanalyse-Deutsch) ein Instrument für den flächendeckenden Einsatz zur Verfügung, das verpflichtend in Verbindung mit der Schüler*inneneinschreibung oder Testung von außerordentlichen Schüler*innen anzuwenden ist. Die angehenden Schüler*innen müssen diese Kompetenzüberprüfung für Deutsch positiv absolvieren, um den ordentlichen Schüler*innenstatus zu erhalten. Durch diesen punktuellen Test werden Kinder jedoch bereits im Vorschulalter bewertet, für "unzureichend" befunden und aussortiert.
Von Beginn an gab es vehemente Kritik aus Expert*innenkreisen sowohl an den Deutschförderklassen als auch an den Testungen, die als methodisch nicht valide beurteilt werden. Ein punktuelles Testverfahren erscheint für die tatsächliche Kompetenzerfassung nicht adäquat. Dazu kommt, dass die Wissenschaft sowie internationale Studien sich deutlich für den integrativen Unterricht in der Bildungssprache aussprechen.
Die Unterrichtssprache Deutsch ist eine wichtige und maßgebliche Ressource für den Bildungserfolg in Österreich. Sie bedarf folglich wirksamer, evidenzbasierter Förderung, um gerechte Bildungschancen zu ermöglichen und gesellschaftlicher Fragmentierung entgegenzuwirken. Die Schaffung von Parallelstrukturen an Schulen mittels Deutschförderklassen und die Ausgrenzung mehrsprachiger Kinder aus der Regelklasse gilt es zu verhindern. Die Deutschförderklassen und der dazugehörige Kompetenztest sind daher Instrumente der Bildungsungerechtigkeit, die die Bildungsschere weiter auseinandertreiben.
Wie Medienberichten zu entnehmen ist, liegt jetzt der Endbericht einer vom Bildungsministerium in Auftrag gegebenen Evaluierung zur Implementierung des Deutschfördermodells (November 2021 bis Oktober 2022) durch die Bildungspsychologin Christiane Spiel vor. Diese stellt dem jetzigen Modell der Deutschförderung nur ein mangelhaftes Zeugnis aus. Die Kronen-Zeitung, die als erste über den Bericht verfügte, titelte „Deutsch-Förderung: Fünfer“. Befragt wurden an 110 Schulstandorten 693 Direktor*innen und Lehrer*innen. Laut Auskunft der Pädagog*innen erreichten 21 bis 55 Prozent der Schüler*innen die sprachbezogenen Ziele nicht. Besser die Noten bei „Erlangung von sozialer Kompetenz“. Das schafften immerhin zwischen 56 und knapp 75 Prozent.
Das Deutschfördermodell insgesamt fand eine eher geringe Zustimmung, wobei Deutschförderklassen negativer bewertet wurden als Deutschförderkurse und diese wiederum negativer als integrative Förderung. Die Frage „Besteht aus Ihrer Sicht Bedarf, das derzeitige gesetzliche Deutschfördermodell zu optimieren?“ beantworteten de facto alle Schulleiter*innen bzw. 90 Prozent der Lehrpersonen mit Ja. Die meisten Ansätze zur Verbesserung wurden mit Abstand auf der Steuerungsebene gesehen (u.a. kleinere Gruppen, mehr Autonomie und Flexibilität, mehr Ressourcen, integrativ statt segregiert, flexiblerer Aufstieg). Ähnlich war das Ergebnis für die MIKA-D-Tests. Auch hier wurde häufig „keine Nutzung, nur Aufbewahrung“ angegeben.
Trotz der vorliegenden Evidenz hat der Bildungsminister bereits angekündigt, dass das bestehende Modell der Deutschförderung bestehen bleibt. Was der Sinn einer Evaluierung sein soll, deren Empfehlungen nicht umgesetzt werden, beantwortete der Bildungsminister nicht. Statt dem Ignorieren wissenschaftlicher Fakten braucht es dringend ein überarbeitetes und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und internationalen Studien ausgerichtetes Modell der Deutschförderung.
Aus diesem Grund stellen die unterzeichneten Abgeordneten nachstehenden
Entschließungsantrag
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird aufgefordert, das bestehende System der Deutschförderklassen und Testung abzuschaffen und auch auf Grundlage der empfohlenen Maßnahmen des Evaluationsberichtes ein flexibles Modell der Sprachförderung mit einem langfristigen, durchgängigen und direkten Ansatz, welcher die soziale Integration berücksichtigt, zu etablieren und regelmäßig evidenzbasiert weiterzuentwickeln. Dieses Modell soll jedenfalls kleinere Gruppen, Kontinuität über bis zu sechs Jahre und die Verbindung von altersgerechtem Sprach- und Fachunterricht enthalten und ohne punktuellen Test zur Beurteilung von Kindern auskommen.“
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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, ordnungsgemäß eingebracht und steht somit in Verhandlung.
Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Salzmann. – Bitte sehr.