12.34
Abgeordnete Mag. Selma Yildirim (SPÖ): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren oben auf der Galerie und vor den Bildschirmen! Wir behandeln jetzt das sogenannte Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz. Das sagt sehr, sehr vielen Menschen in diesem Land nichts, aber es geht um psychisch kranke Rechtsbrecher. Früher hat man geistig abnorme Rechtsbrecher gesagt. Das Paket, das uns jetzt zur Diskussion und Beschlussfassung vorliegt, ändert im Großen und Ganzen, muss ich sagen, an der Begrifflichkeit etwas, das ist auch wichtig, denke ich, weil Sprache sehr mächtig sein kann, aber wir reden hier – und das ist ganz wichtig – über die Sicherheit, auch über das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung. Das stellen wir allem voran, das muss uns allen ganz, ganz wichtig sein.
Worin sieht die Bevölkerung zu Recht eine Bedrohung, wenn es ganz gefährliche, psychisch kranke Rechtsbrecher sind? – Wir reden von einer Gesamtzahl von etwa 1 400 Personen, die im sogenannten Maßnahmenvollzug sind, das heißt aufgrund ihrer psychischen Erkrankung Rechtsregeln gebrochen haben. Von diesen 1 400 sitzen in etwa 500, weil sie ganz gefährlich sind, zu Recht im Maßnahmenvollzug und sollten dort auch menschenrechtskonform untergebracht sein. Daran darf es keinen Zweifel geben.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir reden aber auch von etwa 950 Menschen, die nach Meinung einer Expert:innengruppe zu Unrecht im Maßnahmenvollzug sitzen, zu Unrecht verwahrt werden und – das ist das Versagen, das müssen wir uns alle vorwerfen – nicht therapiert werden, nicht auf das Leben nach diesem Freiheitsentzug vorbereitet werden und teilweise auf unbestimmte Zeit weggesperrt werden. Das ist nicht gerecht. Um diese Personen geht es. (Beifall bei der SPÖ.)
Um diese Personen geht es: Einerseits sind wir in der Verantwortung, da Ressourcen zur Verfügung zu stellen, Frau Ministerin. Das ist der Hauptpunkt, aber das vermisse ich leider. Es gibt zwar eine begriffliche Veränderung, es gibt eine Reihe von Regeln, die Sie eingeführt haben – aber meiner Auffassung nach mit zu viel Ermessensspielraum. Jetzt können wir zwar davon ausgehen, dass wir sehr vernünftige Menschen haben, die in den forensisch-therapeutischen Anstalten arbeiten, aber wir haben ihnen keine Mittel in die Hand gegeben. Ohne entsprechende Vorsorge lassen wir diese Menschen allein. Das wird sich nicht ändern, das wird sich auch mit dem, was heute vorliegt, nicht ändern. (Beifall bei der SPÖ.)
Da, muss ich sagen, sind die Erwartungen, dass da quasi nach 50 Jahren Stillstand jetzt angeblich der Durchbruch gelungen ist – darin, glaube ich, sind wir uns alle einig –, nicht hoch, da werden wir alle enttäuscht. Aber das, was hier auch nicht passt, ist, dass Sie zu vermischen anfangen. Sie reaktivieren in Wahrheit eine tote Bestimmung. Es gibt natürlich gefährliche Rückfallstäter und es gibt auch Terroristen, die sehr gefährlich sind – und Terrorismus ist sehr ernst zu nehmen –, nur: Wir haben gesehen, dass man in einem Bereich, in dem es um psychisch kranke und zu behandelnde Menschen geht, die Rückfallstäter, die wegen Terrorismus schon einmal verurteilt worden sind oder unter Umständen verurteilt werden, hat. Mir kommt das Ganze wie ein Schönreden oder Ablenken von wahrer Terrorismusprävention vor. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir das nicht tun, sondern diese Probleme ernst nehmen.
Nach dieser unsäglichen Tragödie des Terroranschlages im November 2020 wurde in Wien eine Kommission eingesetzt. Diese Kommission hat Vorschläge unterbreitet. Da ist aber nicht wirklich etwas weitergegangen. Ich finde, wir sind verpflichtet, das in Angriff zu nehmen. Sie dürfen sich nicht mit diesen Bestimmungen, wie Sie sie jetzt vorlegen, durchschwindeln. (Beifall bei der SPÖ.)
Daher bringe ich folgenden Entschließungsantrag ein:
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Mag. Selma Yildirim, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Umsetzung der Ergebnisse der Zerbes-Kommission anlässlich des Terroranschlages vom 2. Novembers 2020 in Wien“
Der Nationalrat wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, alle Empfehlungen der Untersuchungskommission zum Terroranschlag von 2. November 2020 vollinhaltlich umzusetzen und dem Nationalrat in geeigneter Weise (geheime Details sollen natürlich im Ständigen Unterausschuss des Innenausschusses bleiben zur Überprüfung von Maßnahmen - -
Präsidentin Doris Bures: Frau Abgeordnete, Sie müssen die Klammerbemerkung bitte auch verlesen.
Abgeordnete Mag. Selma Yildirim (fortsetzend): Danke.
In geeigneter Weise (geheime Details sollen im Ständigen Unterausschuss des Innenausschusses zur Überprüfung von Maßnahmen zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit berichtet, der Rest sollte in einem schriftlichen Bericht an den Nationalrat dargestellt werden) zu berichten.
*****
Frau Ministerin, da sind wir alle gefordert und das müssen wir ernst nehmen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)
12.40
Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Mag. Selma Yildirim,
Genossinnen und Genossen
an die Bundesregierung
betreffend „Umsetzung der Ergebnisse der Zerbes-Kommission anlässlich des Terroranschlages vom 2. Novembers 2020 in Wien“
Eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Justizausschusses über die Regierungsvorlage (1789 d.B.): Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozeßordnung 1975, das Strafvollzugsgesetz, das Jugendgerichtesgesetz 1988 und das Strafregistergesetz 1968 geändert werden (Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022) (1849 d.B.).
Mit der gegenständigen Vorlage wird auch eine Ergänzung im § 23 StGB vorgeschlagen, die gefährliche, terroristische Straftäter*innen als eigenen Absatz ergänzt. Wie die Verhandlungen im Justizausschuss gezeigt haben, kann der bisher bestehende § 23 betreffend gefährliche Rückfallstäter nicht als praxistauglich bezeichnet werden, da bisher nur eine einzige Person nach dieser Bestimmung verurteilt worden ist. Generell ist zum Vorschlag folgendes festzuhalten:
▶️ Diese geplante Maßnahme macht Österreich nicht sicherer.
▶️ Das geplante Gesetz verhindert einen Terroranschlag nicht, sondern greift erst, nachdem eine terroristische Tat verübt wurde. Es ist die Selbstaufgabe der Sicherheitspolitik, wenn man erst eingreift, nachdem ein Täter einen Anschlag verübt hat.
▶️ Den schrecklichen Terroranschlag in Wien hätte diese Bestimmung nicht verhindert!
▶️ Die Regierung ist aufgefordert, zuallererst die Empfehlungen der Expert*innen-Kommission umzusetzen, die schwere Versäumnisse und Fehler der Behörden im Zusammenhang mit dem Terroranschlag in Wien festgestellt hat.
▶️ Eine wesentliche Empfehlung: Die Sicherheitsbehörden müssen besser zusammenarbeiten. Die SPÖ hat dazu ein Terrorismusabwehrzentrum gefordert, das weiterhin nicht umgesetzt ist.
Anlässlich des scheußlichen Terroranschlages am 2. November 2020 in Wien wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt („Zerbes-Kommission“), die sich aus folgenden honorigen Persönlichkeiten zusammensetzt:
Univ.-Prof.in Dr.in Ingeborg Zerbes (Vorsitz)
Universität Wien, Institut für Strafrecht und Kriminologie
Dr. Herbert Anderl
Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit a.D.
Hubertus Andrä
Polizeipräsident München a.D.
Univ.-Prof. Dr. Franz Merli
Universität Wien, Institut für Staats- und Verwaltungsrecht
HR Dr. Werner Pleischl
Generalprokurator a.D.
Dr.in Monika Stempkowski
Universität Wien, Institut für Strafrecht und Kriminologie
Diese hat einen Abschlussbericht gelegt, der, neben einer Analyse, die Ursachen der Defizite aufzeigt und Empfehlungen formuliert.
Auch für die SPÖ ist es analog zum Zerbes-Bericht wesentlich, beim Terrorismus die Prävention in den Vordergrund zu stellen. Terroristische Taten müssen möglichst im Vorfeld verhindert werden; dies kann nur durch Professionalität in der Arbeit der Polizei und der Nachrichtendienste erfolgen. Wie der Zerbes-Bericht allerdings aufzeigt, war dies im Vorfeld des Terroranschlages nicht der Fall.
Es ist den interessierten Bürger*innen sowie auch dem Nationalrat bisher nicht bekannt, welche Empfehlungen bereits umgesetzt und welche aus welchen Gründen nicht umgesetzt wurden.
Deshalb stellen die unterzeichneten Abgeordneten folgenden
Entschließungsantrag
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung wird aufgefordert, alle Empfehlungen der Untersuchungskommission zum Terroranschlag von 2. November 2022 vollinhaltlich umsetzsetzen und den Nationalrat in geeigneter Weise (geheime Details sollten im Ständigen Unterausschuss des Innenausschusses zur Überprüfung von Maßnahmen zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit berichtet, der Rest sollte in einem schriftlichen Bericht an den Nationalrat dargestellt werden) zu berichten.“
*****
Präsidentin Doris Bures: Danke, Frau Abgeordnete. Der Entschließungsantrag ist jetzt ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.
Nun gelangt Frau Abgeordnete Agnes Sirkka Prammer zu Wort. – Bitte.