16.59

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Besucher auf der Galerie! Ja, der Außen-und Europapolitische Bericht ist natürlich eine Momentaufnahme, eine Momentauf­nahme einer Welt, die sich gerade im Umbruch befindet. Ich muss ganz offen sagen: Seit Jänner 2020, seit Beginn dieser Legislaturperiode, befindet sich das Außenministerium eigentlich in einem Dauerkrisenmodus.

Das hat mit dem größten Cyberangriff überhaupt in der Zweiten Republik auf das Außenministerium begonnen, den wir Gott sei Dank meistern konnten. Das ist eigentlich gleich fließend in die Herausforderung der Pandemie übergegangen – Grenzschließungen, Grenzmanagement, Pendler nach Öster­reich bringen, Erntehelfer, Pflegepersonal, die größte Repatriierungsaktion, auch wieder der Zweiten Republik, mit der wir Tausende sicher nach Hause ge­bracht haben, logistische Hilfe bei der Besorgung von medizinischen Gütern –, im letzten Sommer unter dem Schlagwort Afghanistan Evakuierungen, die ganze auch menschenrechtliche Thematik in der gesamten Region; und – ja – dieses Jahr: der Zivilisationsbruch. Es ist schon bemerkenswert, dass wir gerade in einer Phase leben, in der wir eigentlich zu jedem Jahr ein Schlagwort sagen können, ein Krisenschlagwort: Pandemie, Krieg. Es ist also eigentlich atemberaubend, in was für einem Umbruch wir uns gerade be­finden. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Ich muss ganz offen sagen, bei all diesen Krisen kann ich nur sagen, ich bin stolz: stolz, an der Spitze dieses Außenministerium zu stehen, stolz auf diese sehr wenigen – 1 100 – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Außenministe­riums – das ist wohlgemerkt das Ministerium mit dem zweitkleinsten Budget dieser Bundesregierung.

Ich glaube, dieses Team leistet Großartiges in diesem Krisenmodus (Abg. Brandstätter: Ja!), und ich möchte diese Gelegenheit nützen und mich ganz, ganz ausdrücklich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Außenminis­teriums bedanken. (Beifall bei der ÖVP, bei Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Brandstätter.)

Ja, die Situation – und das wurde jetzt schon von mehreren Abgeordneten beschrieben – ist eine herausfordernde. Der Wind ist rauer, der 30-jäh­rige Urlaub von der Weltgeschichte, könnte man sagen, ist beendet. Robert Kagan, US-amerikanischer Politikwissenschaftler, hat einmal gesagt, die Europäer leben in einem postnationalen Paradies des Friedens, während außerhalb noch die Regeln der Macht gelten. – Ja, wir sind irgendwie schrittweise aus diesem Garten Eden vertrieben worden.

Das hat niemand gerne! Man will gerne wieder zurück in den scheinbar heilen Status quo ante – wobei wir ihn ja damals auch nicht als heil empfunden haben –, aber das ist nicht möglich. The world has moved on and so must we, bis zu einem gewissen Grad, und es bleibt sicher auch in Zukunft sehr heraus­fordernd für uns.

Eines, das die letzten Monate und Jahre gezeigt haben, ist für mich klar, und das möchte ich hier noch einmal betonen – daher bin ich auch für jede Unter­stützung dankbar –: Ich bin dankbar, dass Abgeordnete den mühseligen Weg auf sich nehmen – ich habe den ja selber zweimal gemacht –, dass sie mit dem Zug die 12 Stunden nach Kiew fahren und dass der Präsident des Nationalrates und viele Abgeordnete außenpolitisch so engagiert sind.

Außenpolitik darf gerade für ein Land mit knapp 9 Millionen Einwohnern nicht das Geschäft von einer Person sein, sondern wir müssen sie auf allen Ebe­nen sehr aktiv betreiben. Daher auch da mein Dank an die Damen und Herren Abgeordneten, die sich persönlich engagieren!

Wenn Sie im Ausland sind, wissen Sie: Unsere Vertretungen sind keine Luxus­einrichtungen, sie sind Teil unserer Lebensversicherung! Das ist Teil un­serer Augen und Ohren, unseres Frühwarnsystems. Sie erledigen Aufgaben, die uns keiner abnimmt.

Ja, Herr Abgeordneter Kassegger, ich freue mich sehr, dass Sie offenbar mei­ne Strategie richtig verstanden haben. (Abg. Kassegger  erheitert –: Ja, immerhin hab ich’s verstanden!) Sie haben sehr schön wiedergegeben, wofür ich eigent­lich einstehe: Es gibt sehr wohl eine Strategie, und ja, Außenpolitik ist Interes­senpolitik. (Abg. Brandstätter: Ja!)

Ich bin kein Freund dieser künstlichen Trennung: Es gibt die Innenpolitik, und draußen am Haus der Republik gibt es dann einen schönen Balkon, der hat so ein paar Blumen dran, und da sitzen die feinen Leute und tun champagnisieren. – Nein, Außenpolitik ist Interessenpolitik! Die Vertretungsbehörden sind die Außenstelle Rot-Weiß-Rot unserer Politik, ob es Wirtschaft ist, ob es Klima ist, ob es Kultur ist. In allen Bereichen sind sie die Außenvertretungen des rot-weiß-roten Hauses Österreich, und dazu stehe ich auch.

Sie reden auch von Strategie: Wir haben sehr wohl eine Strategie. Ich sage hier in diesem Hohen Haus seit drei Jahren im Grunde genommen immer das­selbe, und leider Gottes bestätigen mich die historischen Ereignisse der letzten Jahre.

Was ist unsere Strategie – und das klang vor drei Jahren vielleicht noch banal, aber das ist es in der Zwischenzeit nicht mehr –? – Ich will, dass wir weiter­hin eine offene, pluralistische, demokratische Gesellschaft à la Charles Popper mit allen Grund- und Freiheitsrechten bleiben und dass wir in einem siche­ren Verband sein können – das klang noch banal –, und ich habe das in diesem Hohen Haus immer wieder vertreten und gesagt, wir sind in der Zwischen­zeit global gesehen eine Minderheit.

Nur noch rund 20 bis 30 Prozent aller Staaten der UNO vertreten unser Lebens­modell, unser Wertemodell. Und dazu zählen die Vereinigten Staaten, sie sind die Weltmacht Nummer eins in dieser freien Welt; und ja, wir sind eine Wertefamilie mit ihnen, das habe ich in diesem Haus auch immer wieder gesagt. Dabei ist mir egal, wer dort Präsident ist, dort wähle ich nicht. Ich wähle auch weder Netanjahu noch Bennett, und doch beruhen die Beziehungen zu Israel gleichfalls darauf. Es ist in Wirklichkeit die einzige pluralistische Demo­kratie im Nahen Osten, und wir haben eine historische Verantwortung – da gibt es zwei Begründungen. Das ist eine klare Strategie.

Vor vielleicht drei Jahren hat man gelächelt und das nicht wirklich wahrge­nommen. – So, mit dem 24. Februar sind wir draufgekommen: Hoppala, das ist tatsächlich notwendig, wir müssen uns auf die Hinterfüße stellen, wenn wir dieses System beibehalten wollen! Dafür steht das Außenministerium, dafür stehe ich persönlich, und das muss man durchdeklinieren.

Und noch ein letzter Satz zur Frage – und das fand ich etwas erstaunlich – der Nichteinmischung in die Politik anderer Staaten: Erstens, das ist ein wesentli­ches Element der Außenpolitik. Wenn Sie als FPÖ hier im Parlament Ent­schließungsanträgen zum Iran oder zu anderen zustimmen, na, da könnte man sagen: Mischen Sie sich bitte bezüglich der Todesstrafe nicht in die Innen­politik des Irans ein! – Nein, das machen Sie, und Sie machen es völlig zu Recht! Und innerhalb der Europäischen Union ist es genauso, noch verstärkt. Wenn wir im Außenverhältnis für unser Wertemodell eintreten, dann müssen wir auch Glaubwürdigkeit im Innenverhältnis haben.

Schauen Sie sich die ersten vier Artikel des EU-Vertrages an! Es ist auch eine Wertegemeinschaft, eine Rechtsgemeinschaft, und der ganze Binnenmarkt be­ruht auf Einmischung im weitesten Sinne, im besten Sinne des Wortes, um dadurch auch die Entwicklung in diese Ever Closer Union, das Zusammenwirken, das Zusammenwachsen zu fördern. Und ob Sie es glauben oder nicht, ich bin weiterhin ein glühender Befürworter dieser Ever Closer Union. – Danke. (Bei­fall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

17.05

Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Bettina Rausch. – Bitte.