20.35

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren Abgeordnete! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Hohes Haus! Ich weiß, es ist für Minis­terinnen und Minister nicht üblich, sich am Beginn der Debatte als Erste zu melden. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Ich tue das aber zum einen, weil Sie schon einen langen Tag hinter sich haben, und zum anderen, weil jetzt gera­de eine Abstimmung war und ich hoffe, dass möglichst viele im Raum bleiben (Abg. Wurm: Ja! Ja!), denn es geht um ein sehr, sehr wichtiges Thema. Es geht um den Umsetzungsbericht 2022 zur Nationalen Strategie gegen Antisemitismus (den Bericht in die Höhe haltend), das ist der zweite Umsetzungsbericht, den ich vorlege. Der erste wurde nicht im Plenum diskutiert, und deshalb ist es mir ein besonderes Anliegen, Ihnen diesen heute hier zu erläutern.

Ich möchte ein bisschen allgemeiner anfangen: mit Zahlen, Daten, Fakten. Der Antisemitismusbericht der IKG Wien hat für das erste Halbjahr 2022 einen Rückgang antisemitischer Vorfälle um rund ein Drittel gezeigt. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Das ist erfreulich. Ja, das ist erfreulich, aber das ist keineswegs ein Grund, die Hände in den Schoß zu legen oder gar Entwarnung zu geben, denn jeder einzelne Vorfall ist ein Vorfall zu viel; und was ich besonders bedauere, ist, dass wir einen Anstieg von Vorfällen bei Jugendlichen sehen, wir einen Anstieg physischer Angriffe sehen. Dennoch möchte ich die Gelegenheit heute nützen, auch einen Blick zurückzuwerfen, denn ich habe schon das Gefühl, dass unsere Nationale Strategie gegen Antisemitismus einen Teil dazu beigetragen hat, dass wir über mehr Sensibilität verfügen und dass wir da auch einen Rückgang verzeichnen konnten.

Was ist passiert? – Wir haben im Jänner 2021 als einer der ersten Mitglied­staaten der Europäischen Union eine Nationale Strategie gegen Antisemitismus mit 38 Maßnahmen vorgelegt, die in vielen verschiedenen Bereichen ganz konkret ansetzen, um Antisemitismus in unserer Gesellschaft zu bekämpfen. Wir haben uns damit innerhalb der Europäischen Union als Taktgeber, als Vorrei­ter, als Impulsgeber positioniert. Mittlerweile gibt es zwar nicht in jedem Mitgliedstaat eine derartige Strategie, aber immerhin in 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, und das ist schon ein Beleg dafür, dass wir da auf dem richtigen Weg sind.

Ich möchte auch sagen, dass ich im September 2022 die Ehre hatte, den Staats­präsidenten Israels, Jitzchak Herzog, zu treffen und auch ihm diese Strate­gie vorgelegt habe; und ja, wir haben da noch viel zu tun, dass wir auch sagen, was wir hier in Österreich machen. Nachdem die dunkelsten Kapitel in der Geschichte lange Zeit nicht bearbeitet worden sind, sind wir jetzt tatsächlich an der Spitze, wenn es darum geht, Maßnahmen gegen Antisemitismus zu treffen.

In den vergangenen Monaten – und ich möchte fast sagen: Jahren – ist wahnsinnig viel passiert. Wir haben nach wie vor viele Herausforderungen zu meistern, aber was trotzdem gelungen ist, ist, diese 38 Maßnahmen zur Umsetzung der Strategie nicht nur anzugehen, sondern ich kann Ihnen heute doch auch mit ein bisschen Stolz sagen, dass wir 26 dieser Maßnahmen bereits zur Gänze umgesetzt haben und dass alle anderen Maßnahmen in Um­setzung sind, also dass zumindest damit begonnen worden ist.

An dieser Stelle möchte ich mich auch einmal bei meinem Haus bedanken, insbe­sondere beim Leiter der Stabsstelle, Dr. Antonio Martino, aber auch bei meinem Team im Kabinett – Leo Czernin ist heute hier anwesend –, die wirklich unermüdlich mit allen Ressorts zusammenarbeiten, um das zusammenzu­bringen. Das ist viel Arbeit, und da ist auch viel passiert. (Beifall bei der ÖVP, bei Abgeordneten der Grünen sowie der Abg. Bayr.)

Schlagwortartig möchte ich ein paar Meilensteine nennen: Im Jahr 2021 haben wir das Österreichisch-Jüdische Kulturerbegesetz einstimmig – haben Sie das einstimmig in diesem Haus – beschlossen; eine Förderung von 4 Millionen Euro jährlich für die IKG, rückwirkend ab 2020 – für aktives jüdisches Leben als wichtigstes Mittel im Kampf gegen Antisemitismus.

Wir haben Schulungs-, Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen in zahlreichen Ministerien, bei Sicherheitsbehörden, bei der Justiz und beim Bundesheer gesetzt, und wir haben ganz allgemein die Sensibilität erhöht.

Ein ganz besonderes Highlight war für mich aber die Eröffnung der Shoah-Namensmauern im Ostarrichi-Park am 9. November 2021, wo auch der Initiator Kurt Tutter, ein Überlebender der Schoah, persönlich anwesend war, der rund 20 Jahre für die Verwirklichung dieses Projektes gekämpft hat. Dieser Ort ist mittlerweile nicht nur ein lebendiger Ort des Gedenkens für die Nach­fahren von ermordeten Jüdinnen und Juden, sondern auch ein Ort, wo Schülerinnen und Schüler hinkommen. Wenn Sie jemals die Zeit haben, dort hinzugehen, was ich Ihnen sehr anrate, dann werden Sie dort Kerzen, Steine und andere Dinge sehen, die von Besucherinnen und Besuchern nieder­gelegt werden.

Im Jahr 2022 haben wir dann das Motto der Vernetzung als unseren Arbeits­auftrag genommen. Wir haben das Nationale Forum gegen Antisemitismus gegründet, eine Plattform, wo Bund, Länder, Gemeinden, Sozialpartner, Vereine, Museen und staatliche wie zivilgesellschaftliche Institutionen sich einmal im Jahr austauschen, aber darüber hinaus natürlich in Kontakt gekommen sind und auch immer wieder schauen, ob die Maßnahmen wirken, die wir in diese Strategie geschrieben haben.

Wir haben die European Conference on Antisemitisms initiiert und dort auch die Wiener Deklaration aufgelegt, wo es darum geht, in der Europäischen Union besser zusammenzuarbeiten, wenn es um die Erfassung antisemitischer Vorfälle und gleiche Parameter geht, damit wir auch tatsächlich eine Grundlage haben, um einen Vergleich zwischen den unterschiedlichen Mitgliedstaaten ziehen zu können. Diese Vergleichbarkeit der Daten ist hoffentlich bald gewährleistet. Elf Mitgliedstaaten haben jedenfalls diese Wiener Deklaration unterschrieben. Wir werden auch jährlich eine European Conference abhalten, zu der wir die jeweiligen Special Envoys aus den Mitgliedstaaten einladen.

Sie haben sicher auch in Erinnerung, dass ich gemeinsam mit Justizministerin Alma Zadić den Arbeitsgruppenbericht zur Novellierung des Verbotsge­setzes präsentiert habe.

Die Klangwelten Kanzleramt, eine Konzert-, Kulturveranstaltungsreihe, viermal pro Jahr im Bundeskanzleramt, kann man wohl nach dreimaligem Stattfinden jetzt schon als etabliert bezeichnen. Wir haben das erste Jahr diese Klangwelten Kanzleramt unter das Motto Jüdisches Leben vor den Vorhang holen gestellt und werden in Kürze die vierte Veranstaltung abhalten.

Warum machen wir das? – Weil der beste Kampf gegen Antisemitismus ein pulsierendes, blühendes jüdisches Leben mitten in unserer Gesellschaft ist. Das ist mein Ziel, und dafür werde ich kämpfen, denn eines dürfen wir nicht ver­gessen: Wir werden immer weniger Überlebende haben, die in der Lage sind, auch der jüngeren Generation authentisch von ihren Erlebnissen zu berich­ten. Daher braucht es auch Kreativität, wenn es darum geht, wie wir die Generationen jetzt und auch danach über diese dunkelsten Kapitel informieren und wie wir daraus lernen und in eine bessere Zukunft gehen. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme damit zum Schluss und möchte festhalten: So gut diese Strategie auch ist, so wichtig auch die Umsetzung dieser Maßnahmen ist, so sehr kann es nicht ein gesamtgesell­schaftliches Ändern der Einstellung ersetzen. Es gilt für jeden Einzelnen und jede Einzelne in dieser Gesellschaft, aufzustehen, wenn Antisemitismus irgendwo spürbar wird, ruchbar wird, wenn ein blöder Witz erzählt wird, aufzustehen, da­gegen anzukämpfen, es auch sichtbar zu machen. Ich habe die Vision von einer Gesellschaft frei von Antisemitismus. Das ist ein erster Schritt, aber nur ge­meinsam können wir dieses Ziel erreichen. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Mitarbeit. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

20.43

Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Mag. Martin Engelberg. – Bitte, Herr Abgeordneter.