9.18

Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Sehr ge­ehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Hohes Haus! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir erleben natürlich in den letzten Jahren unstete Zeiten. Diese unsteten Zeiten erfordern dauernde Anpassungen in der Politik, aber auch in der Gesellschaft. Dazu kommen ein struktureller Wandel, der demografische Wandel, die Herausforderungen bei der di­gitalen und grünen Transformation, die natürlich weitere Anforderungen an gesellschaftliche Anpassungen mit sich bringen.

Diese Zeiten des Wandels sind aber auch Zeiten von Chancen. Es ist, glaube ich, auch wichtig, dass in dieser Zeit gute Politik gemacht wird und dass von der Wirtschaft mutige Entscheidungen getroffen werden. Deshalb ist die heu­tige Aktuelle Stunde zum Thema „Wirtschaft, Standort, Arbeit – Öster­reich 2023“ eine sehr wichtige.

Ich beginne mit dem Arbeitsmarkt: Am Arbeitsmarkt haben wir glücklicherweise trotz einer Eintrübung der Konjunktur eine vergleichsweise gute Lage. Es ist überraschend, dass trotz der Tatsache, dass die Konjunktur im Jahr 2023 bei Weitem schwächer sein wird als letztes Jahr – Sie erinnern sich vielleicht, im ersten Quartal 2022 gab es, auf die Jahresebene hochgerechnet, ein Quar­talwachstum von über 10 Prozent, und das Wachstum ist jetzt schwächer ‑, die Arbeitslosigkeit jetzt immer noch geringer als 2022 ist.

Wir haben österreichweit die geringste Arbeitslosenquote seit 2008, und in einigen Bundesländern ist die Arbeitslosenquote so gering wie seit 40 Jahren nicht mehr. Das ist eine gute Voraussetzung dafür, dass wir gut durch die jetzt schwierigen Zeiten kommen und dass die konjunkturelle Abkühlung nicht zu einer höheren Zahl an Arbeitslosen führt. Trotzdem sind derzeit unge­fähr 330 000 Personen in Österreich ohne Beschäftigung oder in einer Schulung. Das heißt, wir brauchen die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik natürlich weiterhin, um diese Menschen zu unterstützen; und wir haben die höchste Fördergeldsumme pro Arbeit suchender Person seit vielen, vie­len Jahren, mit Ausnahme des letzten Jahres: Es gibt dieses Jahr 3 820 Euro pro Arbeit suchender Person, in vielen Programmen, auf die ich jetzt kurz ein­gehen möchte, die Menschen unterstützen, damit sie eben rasch Beschäftigung finden.

Ein Programm, das wir vor gut einem Jahr gestartet haben – eineinhalb Jahre ist es her –, ist das Programm Sprungbrett zur Bekämpfung der Langzeitar­beitslosigkeit. Das wird weitergeführt. Die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich im Vergleich zum April 2021 fast halbiert, aber wir müssen weiter den Sockel an Langzeitarbeitslosigkeit reduzieren, weil natürlich Langzeitarbeitslosigkeit die schlimmsten Folgen für die Betroffenen hat. Dafür braucht es aktive Arbeitsmarktpolitik – dazu stehe ich. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Wir setzen einen Schwerpunkt auf Jugendbeschäftigung. Die betriebliche Lehr­stellenförderung ist dieses Jahr um 40 Millionen Euro auf 270 Millionen Euro erhöht worden, um die Lehre attraktiver zu machen. Dazu sage ich gleich noch mehr, weil ich glaube, dass die Lehre, die Berufsausbildung und die Anschlüsse daran ganz entscheidende Faktoren sind, gerade für viele junge Menschen, die eben nicht eine akademische Ausbildung machen wollen, um am Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein und auch ein sehr, sehr gutes Leben zu haben und sehr gut zu verdienen.

Wir führen die Programme für Frauen am Arbeitsmarkt weiter und weiten sie aus, gerade für Arbeit suchende Frauen. Wir haben glücklicherweise in Ös­terreich bei Weitem weniger Frauen als Männer, die arbeitslos gemeldet sind. Das ist nicht in allen europäischen Ländern so. Es gibt viele Länder, wo das genau umgekehrt der Fall ist. Ein Grund dafür ist, dass wir mehr Geld für Frauen am Arbeitsmarkt ausgeben als für Männer – um 4 Prozentpunkte mehr, als die aktuelle Arbeitslosenquote von Frauen im Vergleich zu den Män­nern ist. Das führt dazu, dass wir es schaffen, die Arbeitslosigkeit bei Frauen stärker zu reduzieren als bei Männern. (Beifall bei der ÖVP und bei Ab­geordneten der Grünen.)

Kommen wir jetzt zur Wirtschaft und zur aktuellen Lage: Ja, die Konjunktur hat sich eingetrübt. Wir werden morgen die neuen Prognosen, die Frühjahrs­prognosen, von Wifo und IHS bekommen und werden sehen, wie sich die La­ge 2023 darstellt. 2023 wird, was das Wachstum betrifft, sicher – mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, wie schon bekannt ist – nicht so gut werden wie 2022, und trotzdem sind die Wachstumsaussichten weiter positiv und die Lage in Österreich, was die Wirtschaft betrifft, stabil. Der Grund dafür ist, dass der private Konsum im Durchschnitt weiter stabil ist. Dazu haben die Program­me der Bundesregierung zur Kaufkraftstärkung einen wichtigen Beitrag ge­leistet. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Klar ist aber, wir sehen in anderen Bereichen der Wirtschaft, zum Beispiel in der Bauwirtschaft und bei der Investitionstätigkeit, natürlich auch einen gewis­sen Rückgang. Zum Teil ist das nach einer Phase starken Wachstums normal, zum Teil sind das spezifische Faktoren, bei denen es jetzt darum geht, die Stabilität in der Wirtschaft zu sichern. Ein wichtiger Faktor ist der Schutzschirm, den wir für die Unternehmen aufspannen, wenn es um höhere Energiepreise geht.

Der Energiekostenzuschuss ist so ausgestaltet, dass es uns gelingt, die Unternehmen treffsicher zu unterstützen, einen Teil der gestiegenen Kosten abzufedern, immer nur dann, wenn es tatsächlich zu gestiegenen Kosten gekommen ist. Wir hoffen natürlich alle, dass die jetzige Lage auf den Spotmärkten bei Energiepreisen so bleibt, wir wissen es aber nicht. Deshalb ist der Energiekostenzuschuss so wichtig, um den Unternehmen Planungssi­cherheit zu geben und jene treffsicher zu unterstützen, die wirklich stark unter den hohen Preisen leiden. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Der Energiekostenzuschuss im vierten Quartal wird jetzt gerade für die Vorregistrierung freigegeben – diese beginnt heute –, und die Beantragung für das vierte Quartal wird noch im April starten. Das heißt, die Unternehmen haben dann auch schon die Möglichkeit, den Zuschuss für die gestiegenen Kos­ten aus dem vierten Quartal in den nächsten Wochen zu erhalten, wenn sie einen Antrag stellen. Wie gesagt hoffe ich sehr, dass wir mit weniger Kosten auskommen, als das im Budget veranschlagt ist.

Wir dürfen aber angesichts der aktuellen Entwicklungen die strukturellen Herausforderungen nicht vergessen. Ich glaube, das geht oft unter. Die Klima- und Transformationsoffensive mit 5,7 Milliarden Euro bis Ende des Jahr­zehnts ist eine ganz wichtige Maßnahme, um die österreichische Wirtschaft in dieser Transformation zu unterstützen und Projekte, die dazu führen, dass wir klimaneutral werden, besser und schneller umzusetzen. Das geht wie gesagt oft unter, weil darauf nicht so viel Aufmerksamkeit gerichtet ist.

Wir haben im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft gemeinsam mit der Forschungsförderungsgesellschaft schon die ersten Programme gestartet, und diese Programme führen dazu, dass Unternehmen in Österreich bleiben, dass Unternehmen in Österreich Arbeitsplätze schaffen, dass sie weiter in­vestieren und damit auch die Chancen dieser Transformation genützt werden und nicht die Risiken im Vordergrund stehen. Das Volumen dieser Klima- und Transformationsoffensive entspricht fast dem Volumen des amerikanischen Inflation Reduction Act, wir unterstützen also diesen Umbau der Wirt­schaft im fast gleichen Ausmaß – bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt –, um wettbewerbsfähig zu bleiben und unsere Wirtschaft international wettbe­werbsfähig zu halten. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Und natürlich: Der Fachkräftemangel, der Fachkräftebedarf, der Arbeits­kräftebedarf ist schon angesprochen worden. Das ist eine große He­rausforderung für viele Betriebe. 50, 60, 70 Prozent der Betriebe sagen, sie bekommen nicht genug Arbeitskräfte – regional unterschiedlich, in den unterschiedlichen Branchen sehr unterschiedlich. Wir müssen – und das ist, glaube ich, eine Wahrheit, die man aussprechen muss – damit rechnen, in den nächsten Jahren permanent Maßnahmen zu setzen, um Arbeit attraktiv zu machen, Leistung zu belohnen, und es für alle möglich machen, dass sie sich am Arbeitsmarkt aktiv zeigen, dass es eine Vereinbarkeit von privaten und beruf­lichen Voraussetzungen gibt, eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie, von Beruf und Pflegeleistungen. All das wird uns in den nächsten Jahren angesichts der demografischen Entwicklung beschäftigen.

Natürlich ist die Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte ein wichtiger Beitrag, wir werden aber in den nächsten Jahren noch weitere Schritte brauchen – das Leistungspaket wurde schon angesprochen. Es geht auf allen Ebenen um die Verbesserung der Situation am Arbeitsmarkt, damit die Menschen, die arbei­ten, auch mehr von ihrer Arbeit haben! (Beifall bei der ÖVP.)

Ich möchte am Schluss noch auf zwei ganz spezifische Bereiche eingehen, weil ich sie für sehr wichtig halte – auch, aber nicht nur als Symbol –, weil da die Probleme am größten sind.

Der erste Punkt ist der Bereich der Pflege. Mit dem Pflegestipendium, mit der Pflegemilliarde, mit Maßnahmen im Bereich der Rot-Weiß-Rot-Karte, um den Zugang zum Arbeitsmarkt im Pflege- und Gesundheitsbereich zu erleichtern, ist einiges gelungen. Ich bin froh, dass wir jetzt auch die Pflegelehre als eine weitere Möglichkeit, eine sogenannte Einflugschneise in den Pflegeberuf, beschließen werden, weil es große Chancen gibt, mehr junge Menschen in den Pflegebereich zu bringen, weil wir auf die guten Erfahrungen der Schweiz aufsetzen können und weil wir – da wir wissen, dass das ein sensibles The­ma ist – eine Pilotphase mit Evaluierung planen, bei der einzelne Bundesländer mitmachen können. Daran gibt es in den Bundesländern großes Interesse, weil sie eben wissen, dass die Lehre eine wichtige und gute Möglichkeit ist, um in der Pflege zu unterstützen. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Maurer.)

Und ein letzter Punkt, der schon von Abgeordnetem Haubner angesprochen wurde: Es ist ein Anliegen der Bundesregierung, dass wir eine derzeit noch bestehende Benachteiligung beseitigen, und zwar für Menschen, die eine Lehre gemacht haben und dann eine Meister- oder Befähigungsprüfung machen. Sie müssen diese Meister- und Befähigungsprüfung nämlich tatsächlich aus der eigenen Tasche bezahlen. Wir arbeiten hart daran, dass das gelingt. Der Herr Bundeskanzler hat das in seiner Rede angekündigt. Es gibt in verschie­denen Bundesländern unterschiedliche Lösungen dafür, aber wir werden eine gemeinsame Lösung für Österreich finden, damit Menschen – es sind in Österreich ungefähr 4 800 pro Jahr, die sich weiterqualifizieren – unter­stützt werden, weil es ja nicht nur um diese Befähigungs- und Meisterprüfungen und die Gebühren geht, sondern es geht ja auch um die Vorbereitungskurse, die zum Teil sehr, sehr teuer sind. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass das sehr, sehr bald nicht mehr diese Kosten verursacht, wie es jetzt der Fall ist. (Beifall bei der ÖVP.)

Es ist wichtig, dass wir offen über die Stärken und Schwächen von Österreichs Wirtschaft, Österreichs Arbeitsmarkt diskutieren. Da darf es keine Denk­verbote geben. Lassen Sie uns gemeinsam an der Zukunft Österreichs arbeiten! Die Koalition arbeitet mit Hochdruck an Lösungen für die anstehenden Pro­bleme, aber wir müssen auch über das nächste Jahr hinausschauen und uns strukturell auf die nächsten Jahrzehnte vorbereiten. Das gelingt nur ge­meinsam, indem wir alles tun, damit Österreich auch in zehn oder 15 Jahren so lebenswert und wettbewerbsfähig ist, wie es jetzt der Fall ist. – Danke sehr. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

9.31

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Alle folgenden Wortmeldungen sind mit 5 Minuten begrenzt.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Zarits. – Bitte sehr.