16.59

Abgeordneter Mag. Yannick Shetty (NEOS) (eine Tafel mit der Aufschrift „Psychotherapie auf Kasse jetzt – Petition unterschreiben“ auf das Redner:innenpult stellend): Na gut, schauen wir einmal, ob das hält! (Die Tafel fällt zu Boden, woraufhin der Redner sie aufhebt und in die Höhe hält. – Ruf: Fängt nicht gut an! – Abg. Maurer: Die Inszenierung darf natürlich nicht gestört werden!) So, ich halte es so in die Kamera. Ich glaube, man kann es sehen, ich glaube, die Bot­schaft ist klar. Das Taferl scheint nicht zu halten. (Abg. Michael Hammer: Fast so schlecht wie dem Hauser seine!) – Bitte? (Abg. Michael Hammer: Die sind fast so schlecht wie dem Hauser seine Taferln!) – Herr Kollege Hammer, ich weiß, Sie sind für Ihre unqualifizierten Zwischenrufe bekannt, aber das Thema ist ein bisschen zu ernst dafür. (Beifall bei den NEOS. – Abg. Höfinger: Lass einfach das Taferl in Ruhe und widme dich inhaltlich diesem Thema! Das wäre ernst!)

95 000 Kinder und Jugendliche haben aktuell einen Bedarf für Psychotherapie oder für psychologische Hilfe, aber nur für 38 000 Kinder und Jugendliche besteht eine Versorgungsmöglichkeit bei einer Psychotherapeutin oder bei ei­nem Psychotherapeuten oder einer klinischen Psychologin. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das sind keine Schätzungen von uns, sondern das sind nackte Zahlen, die wir von Ihnen, Herr Bundesminister Rauch, in einer schriftlichen Anfragebeantwortung vorletzte Woche zurückbekommen ha­ben. Herr Minister, Sie haben damit eingestehen müssen, dass fast 60 000 Kinder und Jugendliche mit Essstörungen, mit Angsterkrankungen, mit Depressionen im Regen stehen gelassen werden müssen. Das ist unfassbar, das muss uns alle betroffen machen. Das ist ungeheuerlich und das ist unverschämt gegenüber den jungen Menschen, dass wir ihnen nicht mehr bieten können. (Beifall bei den NEOS.)

Nachdem man sich drei Jahre lang in der Pandemie nur an den jungen Menschen abgeputzt hat, ist man sich jetzt zu schade, ihnen die Hilfe zukommen zu lassen, die ihnen zusteht. Die Expertinnen und Experten sind sich nämlich einig: Verantwortlich für den Zustand auf den Kinder- und Jugendpsychiatrien – und auch das ist nur die Spitze des Eisbergs – ist vor allem die Coronapolitik, die in Österreich geherrscht hat. Zusperren und wegsperren, das war Ihr Motto. „Koste es, was es wolle“, aber nur für die eigenen Freunde und Funk­tionäre, nicht für die jungen Menschen. (Abg. Zarits: Ja, ja! Ja, ja! Immer die gleiche Leier!) Es leuchtet mir einfach nicht ein, warum Sie den Ernst der Lage, in der wir uns befinden, nicht erkennen. Ich kann diese Zahlen schon nicht mehr hören. (Abg. Zarits: ... du da dauernd verzapfst!) – Das ist kein Blödsinn, den ich verzapfe! Ich verstehe nicht, warum Sie so etwas zwischenrufen müs­sen. (Abg. Zarits: Weil ihr die ganze Zeit ...!) Ich verstehe nicht, warum diese Zahlen, diese drastischen Zahlen, dass 62 Prozent der Mädchen depressive Symptomatiken haben, dass sich die Anzahl der Suizidversuche verdrei­facht hat, etwas zum Lachen sind, warum man das ins Lächerliche ziehen muss. Das verstehe ich nicht. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Zarits: ... das Vorige ...! – Zwischenrufe des Abg. Michael Hammer.)

Ich habe das Gefühl, das geht zum Beispiel bei Ihnen, Herr Kollege, da rein und da wieder raus. (Ruf bei der ÖVP: Was du sagst, eh!) Sie hören die Zahlen, Sie verstehen es vielleicht, aber Sie machen dann nichts und behaupten dann das Gegenteil. (Abg. Zarits: ... was du vorher gesagt hast!) Ich versuche es einmal anders, ich frage einmal anders: Wer von Ihnen hat denn Kinder, die durch die Pandemie psychisch belastet wurden? Wer von Ihnen hat denn Freunde oder Freundinnen, die selbst in Psychotherapie sind oder sie zumindest benöti­gen? Wer von Ihnen kennt jemanden, der psychologische Hilfe benötigt, sie sich aber nicht leisten kann? Ich glaube, das sind die allermeisten von uns, die eine dieser Fragen mit Ja beantworten. Hinter jeder dieser Zahlen, hinter jeder dieser Personen steht eine Geschichte. Ich habe hier schon mehrmals Ge­schichten, Nachrichten von jungen Menschen, insbesondere von Kindern, vorgelesen, die uns geschrieben haben, wie es ihnen geht, was die Pandemie mit ihnen gemacht hat. Nachdem wir letzte Woche – ich nehme an, Sie haben das mitbekommen – wieder einen Fokus insbesondere auf das Thema Psychotherapie auf Krankenschein gelegt haben, haben sich wieder einige bei uns gemeldet.

Ich möchte, einfach weil ich heute auch die Zeit dafür habe, zwei Nachrichten mit Ihnen teilen, weil das ja vielleicht ein Versuch ist, der dazu führt, dass Kollegen wie Sie es dann verstehen, dass Sie das ein bisschen mehr beeindruckt als nur die abstrakten Zahlen.

Lea, 18 Jahre alt, Schülerin, schreibt zum Beispiel: Ich leide nun seit über einem Jahr an Depressionen, Selbstverletzung und Selbstmordgedanken. Seit September bin ich auch wieder in Therapie. Da ich noch Schülerin bin, zahlen meine Eltern noch die Kosten. Es fallen 400 Euro pro Monat nur für eine Stunde pro Woche an. Zwar sind meine beiden Eltern berufstätig, doch sie zahlen nicht nur für mich, sondern natürlich auch für unseren Lebensun­terhalt. Ohne Therapie hätte ich schon längst aufgegeben, aber zum Glück zah­len meine Eltern die Therapie. – Zitatende.

Oder: Eine nicht ganz so junge Person, Astrid, 59 Jahre alt, schreibt: Ich bin Mutter von zwei Kindern, einer Tochter, die jetzt 32 Jahre alt ist, und einem Sohn, der 29 ist. Im Alter von 15 Jahren erkrankte meine Tochter an Anorexie. Es folgten über Jahre hinweg wöchentliche Therapiestunden. Von der Krankenkasse erhielten wir damals einen lächerlichen Betrag rücker­stattet und es folgten diverse Krankenhausaufenthalte. Als meine Toch­ter ein lebensbedrohliches Gewicht von 28 Kilogramm erreichte, wurde sie mit der Begründung, sie sei zu dünn, in keiner Anorexiestation in ganz Öster­reich aufgenommen. Zum Glück sind wir in der Lage, die Kosten der Therapien irgendwie zu stemmen, und es kommt bei uns neben den täglichen Sor­gen um unsere Kinder nicht auch noch ein finanzielles Desaster hinzu. Ich frage mich – schreibt sie abschließend –: Was ist mit den Eltern, die nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, ihren Kindern die bestmögliche therapeutische Unterstützung zukommen zu lassen? – Zitatende.

Psychische Erkrankungen sind zu einer Volkskrankheit geworden, sie werden aber immer noch nicht wie eine solche betrachtet und werden nicht wie eine solche behandelt. Es muss doch endlich gelten und es muss doch endlich Konsens werden: Ein gebrochener Haxen muss von der Sozialversiche­rung genauso behandelt werden wie eine gebrochene Seele! Deswegen fordern wir und wir werden es fordern, bis es kommt: Psychotherapie auf Kran­kenschein, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt sofort. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Lausch.)

Jetzt kommt der Knaller in dieser ganzen Geschichte: Wenn wir die Psychothe­rapie als Leistung der Kasse fordern, dann ist das nicht irgendeine Zusatz­leistung, die wir einfordern, das ist kein Bittstellertum, das ist etwas, was den Menschen in Österreich seit 1992 zusteht. – Viele wissen nicht, dass es im Jahr 1992 eine gesetzliche Änderung gab. Da wurde nämlich das ASVG geän­dert und Psychotherapie in den Leistungskatalog der Sozialversicherung aufgenommen. Das bedeutet, dass seit 1992 die Menschen in Österreich höhere Sozialversicherungsbeiträge zahlen und zusätzlich privat für die Psychothe­rapie aufkommen müssen. Die Menschen in Österreich blechen also doppelt und bekommen nicht das für ihr Geld, was ihnen eigentlich zusteht. Und das akzeptieren wir nicht! (Beifall bei den NEOS.) Das akzeptieren wir nicht, und des­wegen fordern wir von Ihnen, dass das endlich umgesetzt wird.

Wenn Sie – ich greife natürlich vor, Herr Minister, ich bin gespannt auf Ihren Redebeitrag –, was andere auch immer wieder tun, mit dem Argument kommen, das ja nicht falsch ist, dass dafür die Sozialversicherung zuständig ist, dann sage ich Ihnen etwas: Seit 20, seit 30 Jahren hören die Menschen bei diesem wie bei anderen Themen: Wir sind nicht zuständig, die sind zuständig, die Länder sind zuständig, der Bund ist zuständig, die Sozialversicherung ist zuständig! – Die Menschen erwarten sich von einer Politik, dass sie den Rah­men dafür schafft, dass sie sich dafür einsetzt, dass etwas, was ihnen zu­steht, auch wirklich kommt. Deswegen bitte ich Sie eindringlich – Sie als gesam­te Bundesregierung –, sich nicht auf Zuständigkeiten rauszureden.

Ich erwarte mir von Ihnen als Gesundheitsminister, auch wenn die Zuständig­keiten vielleicht in der Sache woanders liegen, dass Sie es zu Ihrer Priori­tät erklären, dass Sie Ihr gesamtes politisches Gewicht – und Sie sind ja schon sehr lange in der Politik – in den Ring werfen und sagen, Sie machen sich dafür stark, dass Psychotherapie als Kassenleistung kommt, und dann bin ich mir sicher, dass das auch gelingen wird.

Weil ohne Druck anscheinend in den letzten Jahren gar nichts funktioniert, haben meine Kolleginnen Beate Meinl-Reisinger, Fiona Fiedler und Martina Künsberg Sarre letzte Woche eine Petition gestartet. Diese Petition hat innerhalb von drei Tagen mehr als 3 000 Unterstützungen bekommen. Ich habe sie Ihnen mitgenommen, auch vor allem für Abgeordnete, die das noch immer nicht beeindruckt, um das vielleicht ein bisschen zu veranschaulichen (eine Papierrolle, auf der die Unterschriften der genannten Abgeordneten sowie unter der Überschrift „NEOS Parlamentsklub ... und weitere 3.000 Unterstützerinnen und Unterstützern“ eine Liste mit den Namen der Unterstützer:innen zu sehen sind, ausrollend und in die Höhe haltend), wie viele Menschen das sind, die inner­halb von drei Tagen diese Petition unterstützt haben. Das sind nicht wir drei oder wir 15 NEOS-Abgeordnete oder ein paar, die eine absurde For­derung erheben – das sind ganz viele Menschen, die diese Forderung verbindet.

Herr Bundesminister, deswegen bitte ich Sie – ich würde gar nicht sagen, dass ich Sie nur bitte –, ich fordere Sie eindringlich auf, dass Sie endlich das er­möglichen, was den Menschen zusteht, dass Sie diese Menschen – über 3 000, und täglich, jede Stunde werden es mehr –, die diese Petition, die diese For­derung unterstützen, ernst nehmen und dass Sie endlich dafür sorgen, dass Sie die Versorgungslücke, insbesondere bei jungen Menschen, aber bei allen Menschen in Österreich, die psychische Belastungen und Probleme haben, schließen und insbesondere eines Ihrer Wahlversprechen umsetzen. – Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Lausch.)

17.09

Präsidentin Doris Bures: Nun hat sich Herr Bundesminister Johannes Rauch zu Wort gemeldet.

Herr Bundesminister, Ihre Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. – Bitte.