Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Herr Nationalratspräsident! Herr Bundesminister! Schon vor dieser Fragestunde hatten wir meines Erachtens eine sehr gute Ukrainedebatte unter vier Fraktionen. Dabei sind auch die Kriegsverbrechen Russlands angesprochen worden, insbesondere von Kollegin Meinl-Reisinger. Als besonders brutal gilt ja da die Söldnertruppe von Prigoschin.
Jetzt geht es um die Aufklärung der Verbrechen, daher meine Frage an Sie, Herr Bundesminister:
„Wie unterstützt Österreich die Aufklärung von Kriegsverbrechen in der Ukraine?“
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.
Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Eine Sache ist von meiner Warte aus sehr klar, Herr Abgeordneter: Es kann niemand über dem Recht stehen, Kriegsverbrechen müssen aufgeklärt werden. Wir haben hier in Wien die Untersuchungskommission des UNO-Menschenrechtsrates ansässig, die wir tatkräftig unterstützen. Die haben bereits letztes Jahr einen Bericht vorgelegt, in dem sie klar etablieren, dass Kriegsverbrechen von russischen Truppen, von russischer Seite in der Ukraine verübt wurden. Österreich gehört auch zu jener Kerngruppe von Staaten, die den Internationalen Gerichtshof mit der Situation in der Ukraine befasst haben.
Wir gehören auch zur Kerngruppe von 33 Staaten, die die Einrichtung eines Sondertribunals für den Akt der Aggression unterstützen. Das heißt, auf allen Ebenen unterstützen wir das, auch finanziell. Wir haben dem Internationalen Strafgerichtshof Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Ich bin in der Lage, zu sagen, dass wir in der Zwischenzeit 300 000 Euro zur Verfügung gestellt haben, und wir haben auch einen Experten an den Internationalen Strafgerichtshof sekundiert, damit der Chefankläger Khan, der mit einer unglaublichen Arbeitslast befasst ist, seiner Arbeit nachgehen kann.
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? – Bitte.
Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Meine Zusatzfrage: Der Internationale Strafgerichtshof wird ja bei schweren Menschenrechtsverletzungen aktiv. Das internationale Strafrecht wirkt bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bei Völkermord und Kriegsverbrechen. 2003 hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag seine Arbeit aufgenommen.
Daher meine Zusatzfrage: Wie bewerten Sie nun, dass erstmals gegen einen Präsidenten eines Mitglieds des UN-Sicherheitsrates – konkret gegen Präsident Putin – ein Haftbefehl erlassen worden ist? Wie ist das zu bewerten?
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.
Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Ich habe eigentlich schon letztes Jahr öffentlich erklärt, dass ich davon ausgehe beziehungsweise zum damaligen Zeitpunkt nicht ausschließen konnte, dass es auch tatsächlich zu einem Haftbefehl gegen den Präsidenten der Russischen Föderation kommt. Jetzt ist es so weit. Das ist für mich ein klares Signal: Niemand steht über dem Recht.
Es gibt auch Judikatur des Internationalen Strafgerichtshofes, die ganz klar etabliert, dass da auch Staatsoberhäupter keine Immunität genießen und nicht über dem Recht stehen. Das ist, glaube ich, gerade für ein Land wie Österreich ein sehr wichtiges Signal. Der Anlass dafür ist ja noch dazu ein besonders erschütternder, das waren nämlich die Kindesentführungen: Über 15 000, 16 000 Kinder aus der Ukraine wurden nach Russland entführt. Ich glaube, der Anlassfall ist dafür geeignet, und ich halte das für ein sehr richtiges Signal.
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Belakowitsch. – Bitte.
Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch (FPÖ): Guten Morgen, Herr Außenminister! Vor wenigen Tagen hat Matilda Bogner von den Vereinten Nationen darauf hingewiesen, dass auch von Ukrainern an russischen Soldaten Kriegsverbrechen verübt werden. Sie hat gesagt, man sei über die Exekution und über die Hinrichtung von russischen Kriegsgefangenen und außer Gefecht gesetzten Personen durch die ukrainischen Streitkräfte – und zwar ohne dass es davor Verurteilungen gegeben hat – zutiefst besorgt. Das heißt, Kriegsverbrechen passieren auf beiden Seiten. (Zwischenruf des Abg. Lukas Hammer.)
Wie werden Sie als österreichischer Außenminister die Aufklärung dieser Kriegsverbrechen durch die ukrainischen Streitkräfte an russischen Soldaten unterstützen? (Abg. Stögmüller: Die gehen ja auch freiwillig hin, oder? Sie können ja auch daheimbleiben! Schämen Sie sich! – Abg. Hafenecker: ...! Überleg dir, was du sagst! – Ruf bei der ÖVP: Und das rechtfertigt Kriegsverbrechen?)
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.
Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Ich habe gleich bei meinem Amtsantritt als Außenminister gesagt, für mich ist die Linie ganz klar das Völkerrecht. Es wird sicher nicht sein können, dass man von österreichischer Seite auf einem Auge blind ist. Der kleine Unterschied ist nur: Die Ukraine kooperiert voll und ganz mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Sie hat auch eine Vereinbarung mit ihm gemacht. Sie hat sich schon 2014 der Judikatur des Strafgerichtshofes unterworfen, das heißt, es gibt einen massiven Unterschied zwischen Russland und der Ukraine, die von selber, von sich aus politisch allen Willen zeigt, da für Aufklärung und Transparenz zu sorgen, wie sie es zum Beispiel auch bei staatlichen Korruptionsfällen gemacht hat. Ich glaube, da sollte man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Weitere Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Sirkka Prammer. – Bitte sehr.
Abgeordnete Mag. Agnes Sirkka Prammer (Grüne): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Wir haben jetzt schon darüber gesprochen, dass der Internationale Strafgerichtshof aufgrund der Unterwerfung der Ukraine für die Aufklärung der Kriegsverbrechen, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die auch in diesem Krieg stattfinden, zuständig ist. Was allerdings aufgrund der Verträge offenbleibt, ist, dass es keine Zuständigkeit für das Verbrechen der Aggression gibt.
Meine Frage ist jetzt: Welche Maßnahmen werden Sie in Abstimmung mit der Justizministerin treffen, um diese Jurisdiktionslücke in Bezug auf die Verfolgung des Verbrechens der Aggression in der Ukraine zu schließen?
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.
Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Es ist tatsächlich so, dass der Internationale Strafgerichtshof theoretisch eine Zuständigkeit hätte. Österreich war maßgeblich daran beteiligt, dass dies bei der Vertragsparteienversammlung auch beschlossen wurde. Nur trifft das auf Russland nicht zu, weil Russland nicht Vertragspartei ist. Man kann daher diesen Akt der Aggression oder diesen Tatbestand nicht tel quel der Judikatur des Internationalen Strafgerichtshofes unterwerfen. Das heißt, die Lösung ist ein Sondertribunal.
Österreich gehört zu einer Kerngruppe von 33 Staaten, die gerade aktiv daran arbeiten, deren Experten sich in verschiedenen europäischen Hauptstädten treffen, um zu beraten, wie man so ein Sondertribunal einrichten kann. Ich glaube, das ist der richtige Weg.
Wir dürfen keinen Bereich dieser unglaublich brutalen Aggression Russlands gegen die Ukraine unbeleuchtet lassen. Ich glaube, von österreichischer Seite ist eine Position klar: Völkerrecht muss sich am Schluss durchsetzen.
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Frau Abgeordnete Kucharowits. – Bitte sehr, Frau Abgeordnete.