Abgeordneter Michel Reimon, MBA (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Ein Thema, auf das wir die Aufmerksamkeit lenken sollten, bevor es eskaliert, ist China. Die Situation mit Taiwan ist sicher nicht eins zu eins mit der russischen Situation mit der Krim vergleichbar. Trotzdem wird eine Unab­hän­gigkeit nicht anerkannt, und wir sind von Taiwan wohl im Chipbereich mindestens so abhängig wie vom Gas von Russland.

Deswegen die Frage: Wie schätzen Sie die Annäherung zwischen Russland und China ein, die in den letzten Wochen beobachtet wurde? Wie beurteilen Sie den Einfluss auf den Ukrainekrieg?

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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 258/M, hat folgenden Wortlaut:

„Wie schätzen Sie die Rolle Chinas gegenüber Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ein, insbesondere vor dem Hintergrund des schwelenden Konflikts mit Taiwan?“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Es ist schwer, das ganz kurz zu beantworten. Ich hatte ja in München die Gelegenheit, mit Staatsrat Wang Yi darüber zu sprechen, und habe ihn auch daran erinnert: China ist ständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrates und hat auch eine globale Verantwortung, die es auch wahrnehmen muss.

Ganz offen: Der Zwölfpunkteplan, den China zur Ukraine vorgelegt hat, ist ein außenpolitischer Blindgänger und ist sozusagen die versuchte Quadratur des Kreises, die nicht gelingt, denn China hat eine klare Politik des Respektierens der Souveränität und der territorialen Integrität. Das nehmen sie auch für sich in Anspruch, gleichzeitig wollen sie aber Russland nicht auf den Schlips treten. Genauso sieht dieser Plan auch aus. Ich nenne das manchmal die prorussische Neutralität.

Es ist aus meiner Warte ganz klar: China hat kein Interesse an einer Fortdauer des Krieges. It’s bad for Business, könnte man zynisch formulieren. Für uns ist aber wichtig, was wir alle wissen, wie eingangs bei der Debatte nach der Rede von Präsident Selenskyj von Abgeordnetem Lopatka auch erwähnt wurde: Wie wir uns momentan verhalten, wird wesentliche Auswirkungen auf unser Standing haben, auf die Art, wie wir betrachtet werden, und welche Vorbild­wirkung der russische Aggressor in der Ukraine vielleicht für andere Staaten hat. Deswegen ist es so eine wesentliche systemische Auseinandersetzung, in der wir uns befinden.

Wir wissen, es wird nicht nur China sein. Taiwan, also die Südchinesische See, ist quasi die Aorta der globalen Weltwirtschaft. Wenn dort ein Konflikt entstehen würde, würde das vermutlich noch sehr viel schlimmere Auswirkungen auf uns hier in Österreich haben als momentan der Krieg in der Ukraine. Das heißt, das hat einen unmittelbaren Zusammenhang, und daher gibt es auch unsere ganz klare Linie und Kante beim Ukrainekonflikt.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordneter Michel Reimon, MBA (Grüne): Daraus ergibt sich die Zusatzfrage: Wie schätzen Sie derzeit unsere diplomatischen Beziehungen zu China ein?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Nun, wir haben bestehende diplomatische Beziehungen. Es ist nicht schwarz-weiß, wir brauchen China. Denken wir nur an das Klima, denken wir an die COP-Konferenzen! Auch da werden wir ohne Russland und ohne China keine Fortschritte für das Weltklima erzielen. Es braucht einen Dialog, der aber nichts ausschließt, der auch klar die Menschen­rechte anspricht: Hongkong, Xinjiang, Meinungsfreiheit.

Ein Begriff ist für mich in der Beziehung mit China ganz wesentlich: Level-Playing-Field, gleiche Bedingungen. Wenn sie zum Beispiel hier in Europa investieren können, dann wollen wir dasselbe dort; wenn sie hier ihre Meinung frei äußeren können, dann wollen wir dasselbe dort. Wir wollen also einfach dieselben fairen Rahmenbedingungen auf beiden Seiten. Das ist momentan noch ein Problem.

Wir dürfen nicht auf einem Auge blind sein: China und Russland sind Brüder im Geiste, was den Umbau der internationalen Sicherheitsstruktur und Sicherheitsarchitektur betrifft. Denken wir an die gemeinsame Erklärung zu Beginn der Olympischen Winterspiele in Peking, als Putin damals in Peking Xi Jinping besucht hat! Das ist eine Kampfansage an all das, was wir eigentlich seit 1945 aufgebaut haben.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Rausch. – Bitte.

Abgeordnete Mag. Bettina Rausch (ÖVP): Das Feld ist jetzt thematisch aufbereitet. Auch wenn die Situation in Taiwan und in der Ukraine natürlich in dem Sinn nicht vergleichbar ist und auch wenn die Position Chinas zum Ukrainekrieg doch eine, wie Sie es genannt haben, prorussisch-neutrale ist, es da vielleicht kleine Konfliktlinien gibt, wissen wir doch, dass diese beiden Staaten, Russland und China, ein sehr enges und eng gepflegtes, gutes Verhältnis zueinander haben. Erst kürzlich hat uns der Besuch des chinesischen Präsidenten in Moskau, denke ich, wieder einmal gezeigt, wie eng diese Beziehungen sind und wie stark die beiden an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, unsere Weltordnung in ihrem Sinne umzubauen.

Jetzt stelle ich die Frage: Welche Chancen sehen Sie auch in den Kontakten mit anderen Staaten der Europäischen Union? Welche Chancen sehen Sie für die Europäische Union in diesem Systemwettbewerb?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Ich glaube, als Europäische Union haben wir eigentlich sehr früh die Zeichen der Zeit erkannt und haben ja China als Partner, als Konkurrenten und als systemischen Rivalen bezeichnet. Das ist eigentlich unsere Linie. Gerade in letzter Zeit merkt man vor allem das Letztere, den systemischen Rivalen. Das ist ja nicht nur in Bezug auf Russland zu sehen, sondern auch im globalen Süden, wie man ihn bezeichnen könnte. Auch da sind wir in einer wirklichen Wettbewerbs- und Rivalitätssituation mit China, aber auch mit Russland.

Das heißt, für uns, für mich ist sehr wichtig, dass wir auf europäischer Ebene nicht in eine Nabelschau verfallen, dass wir sehen, das ist tatsächlich eine Entwicklung, die globale Auswirkungen hat. Ich habe in den letzten Wochen sehr viele Gespräche mit Vertretern afrikanischer Staaten geführt, und es ist immer sehr ernüchternd, zu sehen, wie sie eigentlich die Welt sehen. Wir haben das Gefühl, es geht hier quasi um eine Bipolarität, eine Auseinandersetzung: Demokratiefreiheit auf der einen Seite, autoritäres Regime auf der anderen Seite. Das wäre vergleichbar mit der Situation, wie wir sie im Kalten Krieg hatten. Die sehen das ganz anders, sie haben das Gefühl, es gibt eine Fragmentierung, es gibt viele Machtzentren, mit denen man sich arrangieren muss, mit denen man irgendwie zurechtkommen muss: Man macht mit dem einen Handel, vom anderen kauft man Kriegsmaterial und mit dem Dritten macht man Kulturprojekte.

Das sehen wir anders, und das ist sicher eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Wir müssen im Outreach stärker werden, sozusagen im Handreichen, besonders auch gegenüber afrikanischen Staaten oder asiatischen Staaten.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt die Abgeordnete Brandstötter. – Bitte.