12.02

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler – nein, der Herr Vizekanzler ist heute nicht da! (Abg. Michael Hammer: Der kommt nicht mehr, den habt ihr beleidigt!) Sehr geehrte Bundesregierung! Die Regierung aus ÖVP und Grünen hat zu Beginn ihrer Amtszeit das „Beste aus beiden Welten“ versprochen. Geworden ist es ein Alb­traum für unser Land. Ihre Regierung, meine Damen und Herren, ist am Ende. Ihre Hilflosigkeit, Ihre Planlosigkeit und Ihre Gleichgültigkeit haben das Land und seine Menschen in die Hoffnungslosigkeit getrieben. (Heiterkeit des Abg. Zarits.) Man kann und darf sich von Ihnen einfach nichts mehr erhoffen – Punkt.

Allein die vergangenen zwei Wochen haben das unter Beweis gestellt. Sie haben es geschafft, sogar die Letzten in Österreich, die noch irgendwie an Ihre Arbeitsfähigkeit geglaubt haben, zu enttäuschen. Es ist eine Woche her, da konnte man nämlich Folgendes in den österreichischen Zeitungen lesen – die Überschriften vor einer Woche waren –: „Regierung versagt im Kampf gegen Teuerung“, „In Sachen Teuerung macht Österreich fast alles falsch!“, „1,5 Millionen können Miete nicht stemmen“. – Das sind Schlagzeilen der österreichischen Zeitungen, und sie sind das Ergebnis Ihrer Untätigkeit. Sie sind das Ergebnis Ihrer seit eineinhalb Jahren andauernden Untätigkeit im Kampf gegen diese Teuerung.

Seit eineinhalb Jahren hat die Inflation Österreich fest im Griff. Sie ist bei fast 10 Prozent; sie ist gestiegen, sie ist in Österreich überdurchschnittlich hoch. Andere Länder sind viel besser durch diese Krise gekommen: In Spanien lag die Inflation im April bei 3,8 Prozent (Abg. Hanger: Und die Kaufkraft?), in Frankreich bei 6,9 Prozent (Abg. Ottenschläger: Und wie geht es den Leuten dort?), in Deutschland bei 7,6 Prozent – deutlich geringer, deutlichst geringer als in Österreich. (Beifall bei der SPÖ.)

Das heißt, andere europäische Länder haben es geschafft, die Preise zu senken, andere europäische Länder haben es damit auch geschafft, die Inflation zu senken, andere Länder haben die extrem hohen Energiepreise eben nicht unge­zügelt auf ihre Menschen und die Wirtschaft losgelassen. Wenn die Menschen ihre Rechnungen nämlich nicht mehr bezahlen können, die Mittel­schicht immer mehr abzurutschen droht, wenn die Armut im Land wächst – das tut sie in Österreich –, allerspätestens dann muss der Staat in einen nicht mehr funktio­nie­renden Markt eingreifen. Das ist Aufgabe der Politik. (Beifall bei der SPÖ.)

Das nennt man soziale Marktwirtschaft: dass alle vom Aufschwung profitieren, wenn es dem Land gut geht, und dass, wenn es wie jetzt Probleme gibt, die Menschen auch konsequent durch die Regierung geschützt werden. Das heißt politische Verantwortung. Diese Bundesregierung hat es in Österreich aber geschafft, dass die Preise wieder steigen, mit all den traurigen Folgen für die Bevölkerung, mit all den traurigen Konsequenzen für die österreichische Wirtschaft.

Aber zurück zum letzten Freitag: Während die ÖVP von den Schlagzeilen des letzten Freitags wahrscheinlich wie immer sehr unberührt geblieben ist, haben sich die Grünen sichtlich gedacht (Abg. Hafenecker: Wie die Mitgliederabstimmung ...!): Irgendetwas müssen wir machen! – Der Herr Sozialminister hat sich das sicher gedacht, aber die Betonung liegt auf irgendetwas.

Also wurde am Montag eiligst ein Lebensmittelgipfel einberufen, aber sein Zweck war niemandem wirklich klar. Ich weiß auch nicht, ob Sie, Herr Sozial­minister, am Montag mit einem klaren Ziel hineingegangen sind – wenn ja, dann haben Sie es wirklich gut versteckt. Das Ergebnis dieses Gipfels am Montag war nämlich: keines. Aus dem Lebensmittelgipfel wurde, wie es eine österreichische Journalis­tin am Dienstag dann so treffend formulierte, ein Gipfel der Ausreden – ein Gipfel der Ausreden, und ich wiederhole, was ich am Anfang gesagt habe, weil es einfach passt: Gleichgültigkeit, Hilflosigkeit, Planlosigkeit.

Gleichgültigkeit möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren der Grünen, aber nicht vorwerfen, denn ich nehme an, dass es Ihnen von den Grünen nicht egal ist, dass so viele Menschen in unserem Land nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen, dass es Ihnen von den Grünen nicht egal ist, dass so viele Menschen nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen, ihre Miete stemmen können und wie sie ihren Kindern eine warme Mahlzeit auf den Tisch stellen können. (Zwischenruf der Abg. Niss.) Ich glaube Ihnen: Ich glaube Ihnen, dass Sie sich damit nicht wohlfühlen, aber eines sage ich auch deutlich: Sich unwohl zu fühlen alleine, das ist zu wenig. (Beifall bei der SPÖ.)

Als Regierungspartei wäre es nämlich Ihre Aufgabe, zu handeln, nach eineinhalb Jahren in einer Krise wäre es noch dringlicher, zu handeln. Das bedeutet dann auch, zu versuchen, sich gegenüber der ÖVP durchzusetzen, nämlich sich einzusetzen in diesem zentralen, entscheidenden Thema der Teuerung und der Armutsvergrößerung. Ja, es ist nicht immer einfach, sich gegenüber dem größeren Koalitionspartner durchzusetzen, das konnten wir alle in den letzten Jahren ganz genau beobachten (Abg. Wöginger – erheitert –: Ja! Das wissen wir auch!), aber irgendwann, liebe Grüne, muss doch bei aller Flexibilität auch einmal ein Stoppschild gegenüber der ÖVP aufgestellt werden. (Beifall bei der SPÖ.)

Irgendwann ist es genug, und irgendwann ist jetzt. Wenn das so wäre, dann hätten Sie, liebe Grüne, aber den Mut haben müssen, zu sagen: Wenn ihr das nicht wollt, liebe ÖVP, dann beenden wir diese Koalition, diese Koalition der Hilflosigkeit und der Planlosigkeit. – Sie haben es aber nicht getan. (Abg. Wöginger: Wer tritt denn dann an bei euch? Wisst ihr das schon?) Sie haben Angst, und aus Angst halten Sie an dieser Koalition mit der ÖVP fest, und das ist traurig, das ist bitter. (Beifall bei der SPÖ.)

Das ist traurig und das ist bitter. Damit machen Sie sich zu Komplizen. Sie machen sich zu Komplizen der Hilflosigkeit, der Planlosigkeit und Sie machen sich auch zu Komplizen der Gleichgültigkeit.

Aber kommen wir zurück zum Montag, dem Gipfeltag der Ausreden. Die Meinungen und Schlagzeilen nach dem Gipfel waren ganz eindeutig, Herr Sozialminister: „Ein Gipfel ohne Lösung“, schrieben die Zeitungen, „Supermarkt-Gipfel floppt“, „Noch“ immer „kein Plan gegen teure Lebensmittel“.

Dann war es offenbar ein bisschen zu viel für die Strategen in der ÖVP und einige in der ÖVP haben sich dann doch gedacht: Na jetzt müssen wir vielleicht doch irgendetwas machen! – Betonung auf: irgendetwas. Am Dienstagabend, in den Abendausgaben angekündigt, kam also ein Antiteuerungspaket daher. Und als ich persönlich von diesem neuen Antiteuerungspaket Ihrer Bundesregierung gehört habe, habe ich mir gedacht: endlich! Endlich! Unser Druck hat sich ausgezahlt, der Druck der Gewerkschaften, der Opposition, der Menschen, der Caritas, der Volkshilfe, der Druck, den wir seit eineinhalb Jahren hier im Hohen Haus und darüber hinaus machen, mit Sachlichem, mit Konkretem, mit Exper­tinnen- und Expertenvorschlägen, wie man die Preise in diesem Land sofort und einfach senken könnte (Abg. Hafenecker: So wie in Wien! – Abg. Belakowitsch: ... Mieten im Gemeindebau!), wie man damit auch die Inflation senken könnte, mit einem echten Gaspreisdeckel, mit einem Mietpreisdeckel, mit einer Mehrwert­steuerstreichung auf Grundnahrungsmittel (Abg. Steinacker: Gebührensenkungen in Wien! Kein Körberlgeld!), einer echten Antiteuerungskommission, die diese Preise dann auch kontrolliert. (Beifall bei der SPÖ.)

Seit mehr als einem Jahr machen wir und machen Experten diese Vorschläge. (Zwischenruf des Abg. Loacker.) Seit mehr als einem Jahr! Wissen Sie, wie viele Anträge hier im Hohen Haus dazu von uns eingebracht wurden, allein von der Sozialdemokratie, die anderen Oppositionsparteien nicht miteingerechnet? – 31 Anträge nur betreffend Teuerung, Mietpreisdeckel, Gaspreisdeckel, Kinder­armut. Und wissen Sie, was Sie mit diesen 31 Anträgen gemacht haben? – Sie haben sie abgelehnt! Sie haben sie vertagt. Vertagt! Das hilft keinem Öster­reicher und keiner Österreicherin, keiner alleinerziehenden Mutter und keinem Pensionisten in diesem Land!

Aber wie gesagt am Dienstagabend habe ich mir gedacht: Na ja, jetzt werden sie vielleicht doch irgendetwas von den vorgeschlagenen Maßnahmen der Experten, etwa Felbermayr, der Opposition, der SPÖ, der Gewerkschaft aufgreifen und jetzt endlich eins zu eins umsetzen. – Falsch gedacht! Falsch gedacht, denn auch jetzt mit Ihrem Paket sinkt kein einziger Preis für die Menschen in Österreich. Kein einziger Preis wird gesenkt und damit auch nicht die Inflation!

Sehr geehrte Damen und Herren von der Bundesregierung, seit eineinhalb Jahren lassen Sie die Menschen in Österreich im Stich! (Beifall bei der SPÖ.) Seit eineinhalb Jahren ist es Ihnen völlig gleichgültig. Sie lassen die Menschen im Stich, die vielen: die 1,5 Millionen Menschen, die ihre Wohnkosten kaum noch zahlen können, im Rückstand sind, die eine Million Menschen in Österreich, die ihre Haushaltskosten nicht mehr zahlen können, die 500 000 Menschen, die sich die tägliche warme Mahlzeit nicht mehr leisten können – in einem Land wie Österreich. Das sind die arbeitenden Menschen, die Sie im Stich lassen. Das sind die Frauen, die Alleinerzieherinnen, die Pensionistinnen und Pensionisten, die Jugend, die Sie im Stich lassen, aber auch die kleinen und mittleren Unternehme­rinnen und Unternehmer, die Sie im Stich lassen. Sie lassen unser Land im Stich! (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundeskanzler, Sie hätten eine letzte Chance gehabt, zu zeigen, dass es Ihnen eben nicht egal ist, wie es den Menschen in unserem Land geht, aber Sie haben diese Chance nicht genützt. Und deswegen möchte ich Ihnen etwas vorlesen, auch wenn ich glaube, dass Sie den Text bereits kennen, aber vielleicht kennen ihn nicht alle:

Guten Morgen, Herr Bundeskanzler! – „Karl Nehammer, haben Sie heute Nacht gut geschlafen? Ja? Es ist ein Privileg, in einem warmen Bett aufzuwachen, in Schuhe ohne Löcher zu schlüpfen, in einen Kühlschrank zu greifen, in dem frisches Obst liegt.

Wenn Sie Albträume plagen, dann bestimmt nicht von Schulden, Mieten, Inkas­sobüros, der Gasrechnung. Haben Sie Hunger, essen Sie etwas. Ganz einfach. Man kann es Ihnen nicht vorwerfen. Sie sind Bundeskanzler der Republik Öster­reich. Bundeskanzler sind keine armen Schlucker.

Aber es gibt Vorwürfe, die Sie sich gefallen lassen müssen. Andere Länder haben die Inflation weitaus besser gemeistert. Das sagt auch WIFO-Chef Gabriel Felbermayr. Diese Länder haben Mehrwertsteuersätze gesenkt, in die Mieten eingegriffen, es gab Preisregulierungen, Deckel. Bei uns nicht. Nach der Strom­kostenbremse war der Ofen aus. Geldgeschenke verpuffen.

Wer in Österreich zu jenen 201.000 Menschen zählt, die unter bitterer Armut leiden, der kann die eigenen Grundbedürfnisse nicht erfüllen. Und die seiner Kinder auch nicht. Drei von vier Betroffenen können sich weder Heizen noch eine Hauptmahlzeit alle zwei Tage leisten. 1,5 Millionen Menschen können die stark gestiegenen Wohn- und Energiekosten kaum noch stemmen. In Wien gehen drei Prozent der Bevölkerung nicht mehr zum Arzt, obwohl sie es müssten. Weil kein Geld für ihre Gesundheit da ist.“ (Abg. Belakowitsch: Das ist ein Armutszeugnis für Wien!)

„Karl Nehammer, haben Sie heute Nacht gut geschlafen? Ja? Ich frage mich, wieso.“ (Zwischenruf des Abg. Loacker.)

Diesen offenen Brief schrieb Ihnen ein Journalist, Herr Bundeskanzler, und ich habe diesem Brief nichts hinzuzufügen. (Abg. Loacker: Und die ganzen Gewerkschafter, die fett in den Kassen sitzen?!)

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich hätte mir gewünscht, ich hätte erwartet, dass Sie und Ihre Regierung diese dramatische Lage, in der sich Hunderttau­sende Menschen in unserem Land befinden, ernst nehmen. Ich hätte mir gewünscht und erwartet, dass Sie gegensteuern. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie tun es nicht, Sie tun es seit eineinhalb Jahren nicht – ob aus Hilflosigkeit, Planlosigkeit oder aus Gleichgültigkeit –, und ich erwarte mir nichts mehr von Ihnen, ich erwarte mir von dieser Regierung nichts mehr – außer ihren Rück­tritt. – Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPÖ.)

12.17

Präsident Ing. Norbert Hofer: Meine Damen und Herren! Ich darf nun auch die Mitglieder der Bundesregierung Dr.in Zadić und Mag. Karner begrüßen, die auch eingetroffen sind, ebenso die Frau Staatssekretärin Mag.a Mayer. – Herzlich willkommen!

Zu einer Stellungnahme hat sich nun der Herr Bundeskanzler zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Bundeskanzler.