14.14

Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne): Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseher und Zuseherinnen! Ich bin einmal an einem Tisch mit Industriellen gesessen, und wir haben über das Thema Kinderarmut gesprochen. (Abg. Wurm: Was tust du an einem Tisch mit Industriellen, Barbara?) Sie konnten fast nicht glauben, dass es so etwas wie Kinderarmut in Österreich gibt. Warum? – Weil Kinderarmut in Österreich oft versteckt ist. Umso wichtiger ist es, dass wir dieses Thema, das Sie, liebe SPÖ, übrigens mit keinem einzigen Satz in Ihrem Dringlichen Antrag erwähnt haben, ins Zentrum rücken. (Beifall bei den Grünen. – Zwischenrufe der Abgeordneten Holzleitner und Kucharowits.) – Ich komme noch auf Ihren Antrag zu sprechen.

353 000 Kinder in Österreich sind von Armut betroffen (Zwischenruf der Abg. Holzleitner), und – das müssen Sie sich einmal vorstellen – das sind mehr, als die zweitgrößte Stadt Österreichs, Graz, Einwohner und Einwohnerinnen hat. Herr Bundeskanzler Nehammer meinte im Morgenjournal, dass es unerträglich ist, dass Kinder keine warme Mittagsjause bekommen. (Ruf bei der SPÖ: ... Antrag zustimmen!) Ja, es ist unerträglich – volle Zustimmung.

Doch nicht nur das: Es ist auch unerträglich, dass 10 000 Kinder nicht mit auf Schulausflüge gehen können. Es ist auch unerträglich, dass 40 000 Kinder keine Freunde und Freundinnen zu sich nach Hause einladen können. Und es ist auch unerträglich, dass 20 000 Kinder wichtige Anlässe wie den eigenen Geburtstag nicht feiern können. Es ist unerträglich, dass Armut nach wie vor vererbt wird und manche Kinder eben von klein auf nicht die gleichen Chancen haben und auf vieles verzichten müssen, was für andere Kinder selbstverständlich ist.

Ganz ehrlich: Mir wäre es auch lieber, ich müsste hier nicht über dieses Thema sprechen, aber wir müssen über dieses Thema sprechen, weil Kinderarmut kein neues Phänomen ist und in der Vergangenheit zu wenig passiert ist. (Beifall bei den Grünen.)

Wir wissen, dass die Teuerung vor allem jene trifft, die es davor schon nicht einfach hatten. Die soziale Mobilität in Österreich ist sehr gering. Wenn man einmal in der Armutsfalle ist, braucht es durchschnittlich vier Generationen, um wieder herauszukommen. Das heißt, ja, wir müssen die Familien unterstützen, die Kinder unterstützen, damit sie aus diesem Teufelskreis ausbrechen können, denn niemand, wirklich niemand ist freiwillig arm. Armut ist auch kein indivi­duelles Problem, sie ist ein strukturelles Problem, und die Bekämpfung von Armut muss eine wesentliche politische Kernaufgabe bleiben. Jedes armutsge­fährdete Kind ist eines zu viel. Dieser Satz sollte als parteiübergreifender politischer Grundkonsens gelten. (Beifall bei den Grünen.)

Langfristig müssen wir aufhören, Armut zu verwalten, sondern endlich existenzsichernde Strukturen schaffen. Darum ist für mich klar, dass kein Weg an der Kindergrundsicherung vorbeiführt. (Abg. Hörl: Geht’s noch?) Ziel einer Kindergrundsicherung ist die Reduzierung von Armut, und es ist unumstritten, dass das eine riesige Herausforderung ist. In Deutschland wird gerade an der Einführung einer Kindergrundsicherung gearbeitet, aus diesem Grund war ich auch im Bundestag und habe mir diesen Prozess angeschaut. Ich bin überzeugt, dass diese Herausforderung auch bei uns gelingen kann. Wir brauchen dafür zwei Dinge: Das eine sind politische Mehrheiten, und das andere ist der Mut, diese grundlegende Systemänderung auch durchzuziehen.

Der Punkt ist allerdings: Die Umsetzung der Kindergrundsicherung braucht Zeit, und es ist Zeit, die wir derzeit nicht haben. Wir können nicht länger warten, sondern wir müssen jetzt schnellstmöglich handeln. Daher laufen derzeit intensive Gespräche auf höchster Ebene unter Einbeziehung von Experten und Expertinnen, um ein möglichst treffsicheres Paket im Kampf gegen die Kinder­armut aufzustellen. Während die Opposition hier polemisiert, arbeiten wir intensiv an Lösungen (Zwischenrufe der Abgeordneten Holzleitner und Kucharowits), die wir bald präsentieren und die möglichst schnell bei den Menschen ankom­men werden. (Beifall bei den Grünen. – Neuerlicher Zwischenruf bei der SPÖ.)

Und weil die SPÖ hier lautstark dazwischenruft: Es ist schon spannend, dass Sie von der SPÖ sich hier herausstellen und fordern, was man alles umsetzen soll, aber parallel verhindern Sie beispielsweise in Tirol genau die Vorschläge, die Sie mittels Antrag eingebracht haben. Dort wurde zum Beispiel ein Antrag auf die gesunde Schuljause – da rede ich noch nicht einmal von einem Mittagessen, nur von einer gesunde Schuljause – abgelehnt (Abg. Wurm: Der Schorsch ist ja kein richtiger Sozialist, bitte! – Zwischenruf der Abg. Holzleitner), und das ist traurig angesichts der Tatsache, dass wir wissen, dass viele Kinder hungrig in die Schule gehen. (Ruf bei der FPÖ: Dafür hat der Dornauer jetzt ein größeres Auto!)

In Wien werden nicht nur Maßnahmen blockiert, sondern die Stadtregierung verschärft die Armutsproblematik auch noch. Sie möchte, dass die Kosten für Essen und Betreuungsplätze an Horten und Ganztagsschulen um 10 Prozent, also massiv erhöht werden. Sorry, aber gerade in Zeiten der Teuerung ist das ein katastrophales Signal, und es ist, ganz ehrlich, einfach nur unmoralisch, Familien so im Stich zu lassen. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Belakowitsch: Ja, das stimmt!)

Zur FPÖ muss ich ohnehin nicht mehr viel sagen (Abg. Belakowitsch: Nein, wirklich nicht! Alles gut! Hinsetzen, passt schon! Es wird nimmer besser!), denn ich glaube, niemand erwartet sich überhaupt noch, dass die FPÖ Probleme löst. Sie widmet sich den echten Problemen wie dem Verbot von Jogginghosen. Sie können weiterhin polarisieren, Sie können weiterhin kritisieren, Sie können weiterhin auf Stimmenfang gehen. Wir arbeiten an strukturellen Lösungen, an schneller Unterstützung, denn dass jedes armutsgefährdete Kind eines zu viel ist, ist für uns eben kein leerer Slogan. (Beifall bei den Grünen.)

14.20

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Doppelbauer. – Bitte sehr.