12.00

Abgeordneter Robert Laimer (SPÖ): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Ein aufrichtiges Plädoyer für eine zukunftsfähige EU beschreibt deutlich, was es braucht und was es nicht braucht. Lassen Sie mich mit einer bitteren Feststellung beginnen: Die Menschheit ist auch im 21. Jahrhundert nicht fähig, Kriege zu verhindern, Hun­gersnöte zu überwinden und einen Ausgleich zwischen Besitzenden und Besitzlosen herzustellen.

Letzte Woche erst wurde vom renommierten Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung das aktuelle Konfliktbarometer präsentiert. Die Bilanz ist erschreckend: Gegenwärtig werden weltweit 216 bewaffnete Kon­flikte ausgetragen, von denen wiederum 21 als regelrechte Kriege gel­ten. Einer dieser schrecklichen Kriege findet auch auf unserem Kontinent statt.

Bereits vor dem brutalen Überfall auf die Ukraine durch Diktator Putin sind Menschen in Kriegen gestorben. Alleine 2021 waren es rund 200 000 Tote. Verwundete, verstümmelte, traumatisierte und geflüchtete Menschen sind da nicht miteinbezogen. Angesichts dieser Zahlen braucht es ein ganzheitliches Verständnis von globalen Zusammenhängen und ein klares Verständnis für die Sicherheitsbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger innerhalb der Europäi­schen Union und unserer Nachbarschaft.

Wir stehen global vor enormen Herausforderungen. Eines ist klar: Die Ordnung in Europa wurde durch den russischen Angriffskrieg zerstört, da sind wir uns einig. In dieser Situation brauchen wir politischen Entscheidungswillen – getragen von möglichst breitem gesellschaftlichem Konsens, und das in allen 27 EU-Mitgliedsländern. Was wir nicht brauchen, sind unrealistische Visionen wie jene von einer EU als Vereinigte Staaten von Europa. Ange­sichts der politischen Stimmung ist das eher Wahlkampftaktik und -rhetorik als ein reales Modell. (Abg. Meinl-Reisinger: Aber eine Vision!) Es ist zusätzlich polarisierend und könnte gar mit noch mehr Misstrauen der Menschen gegen­über der EU und ihren Institutionen in der Konsequenz in die falsche Rich­tung gehen. Das gilt es allerdings unter allen Umständen zu vermeiden und zu verhindern. Europa muss zusammenwachsen – und zwar, ich sage das ganz bewusst, auf Augenhöhe und auf dem gesamten Kontinent, im gesamten Europa.

Meine Damen und Herren, wir brauchen – auch im Sinne der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – geopolitisches Wissen und politischen Pragmatismus. (Abg. Meinl-Reisinger: ... bla bla!) Die Rahmenbedingungen, in denen sich die Europäische Union und somit wir alle befinden, sind nicht einfach.

Vorgestern erst wurde in „Foreign Affairs“ ein Artikel veröffentlicht, der die geopolitische Situation aus meiner Sicht auf den Punkt bringt. Erstens: Die Spannungen zwischen den USA und China werden zunehmen. Zweitens: Die USA sind nicht mehr in der Lage, zwei Kriegsschauplätze gleichzeitig zu bedienen. Drittens: Die USA sind nicht mehr willens, ihre Soldaten in Europa zu opfern. Viertens: Die USA haben als pazifische Macht eine klare strategi­sche Priorität. Das ist nicht Europa, das ist der Indopazifik. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Meinl-Reisinger: Ja, aber das hab ich ja gesagt! Was leiten Sie daraus ab?)

Das bedeutet, wir werden selbst Verantwortung für Europa und unsere Nach­barschaft übernehmen müssen, damit unsere Töchter und Söhne der EU nicht sinnlos auf Schlachtfeldern geoopfert werden. Wir brauchen einen künftig funktionierenden Multilateralismus und keine Vereinigten Staaten, eine ehr­liche Dekolonialisierung, Konfliktprävention und Konfliktverhütung. Da hätte das neutrale Österreich viel anzubieten. (Abg. Meinl-Reisinger: Bitte ... innovativ!) Was wir aber unmittelbar brauchen, ist die Umsetzung der Ratsbeschlüsse aus dem Vorjahr bezüglich des strategischen Kompasses, bevor Illusionen der Vereinigten Staaten von Europa diskutiert werden.

Eines ist klar: Wir Europäer werden uns nicht nur den Herausforderungen im Osten Europas, sondern vielmehr den Konflikten im südlichen Krisenbo­gen stellen müssen. (Abg. Meinl-Reisinger: ... kommen wir jetzt mit China ...! Schauen wir, dass wir USA und China ...!) Die traurige Schlussfolgerung: Das Töten wird auch im 21. Jahrhundert weitergehen, und dem müssen wir uns im Rahmen einer aktiven, ehrlichen, aufrichtigen Neutralitätspolitik auch entgegenstellen. (Unruhe im Saal. – Präsidentin Bures gibt das Glockenzeichen.)

Meine Damen und Herren, gleichzeitig muss die strategische Autonomie der EU ernsthaft entwickelt werden, damit sie ein globaler Akteur ist. (Abg. Haub­ner: Die Rede ist länger als geplant!)

Präsidentin Doris Bures: Herr Abgeordneter, Sie müssen jetzt den Schlusssatz formulieren.

Abgeordneter Robert Laimer (fortsetzend): Die Zukunft Europas wird heute ge­schrieben. – Danke. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Meinl-Reisinger: Ja, aber habe Mut ...! – Zwischenruf des Abg. Stögmüller.)

12.06

Präsidentin Doris Bures: Nun gelangt Herr Abgeordneter Axel Kassegger zu Wort. – Bitte.