15.01
Abgeordneter Dr. Christoph Matznetter (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, Damen und Herren, die uns zusehen! Die Rednerinnen vor mir waren so nett und haben eine ganz wichtige Telefonnummer dagelassen (auf die Tafel mit dem Zeichen eines Telefonhörers und der Aufschrift „Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555; www.gewaltschutzzentrum.at – Polizei: 133“ auf dem Redner:innenpult deutend), ich lasse sie auch da, weil wir leider in einem Land leben, in dem wir solche Notrufnummern brauchen.
Wir sind bei einem anderen Thema, bezüglich dessen ebenfalls leider sehr, sehr viele – Hunderttausende – Frauen zu den Opfern zählen, nämlich jene, die nicht wissen, wie sie morgen und übermorgen mit dem Geld zurande kommen sollen, angefangen beim Kauf der Nahrungsmittel in den Geschäften über die Zahlung ihrer Miete bis zur Zahlung ihrer Energiekosten. Wenn die heute zuschauen, brauchen sie nicht nur die Notrufnummer, die kann ihnen in dem Fall nicht helfen, weil die Täter in diesem Fall andere sind, nämlich solche, die sich weigern, dagegen vorzugehen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Kickl: 01 4000, das ist das Wiener Rathaus!)
Was ich überhaupt sehr sonderbar finde, ist, dass Sie von dieser Regierungskoalition – hauptsächlich von der ÖVP, so wie Finanzminister Brunner – sich dann herstellen und erklären, wir hätten das Problem sowieso gelöst: Jetzt haben wir doch die 60 Euro ausgeschüttet! – Merken Sie nicht, wenn Sie so etwas tun, wie herabwürdigend das ist: jemandem, etwa einer alleinerziehenden Mutter, 2 Euro pro Tag als Lösung der Probleme darzustellen? (Abg. Disoski: Aber es stimmt halt nicht, was du sagst!) Warum machen Sie so etwas? Woher kommt diese Empathielosigkeit? Besinnen Sie sich doch auf Ihre eigene Herkunft, gerade die Damen und Herren der ÖVP, und ich meine jetzt nichts allgemein Christliches, ich meine ganz konkret Wirtschaftspolitik!
Die Basis des Wiederaufstiegs unserer Republik nach dem Zweiten Weltkrieg war nicht nur der Anschluss an das Wirtschaftswunderland Deutschland, sondern rigide Maßnahmen der damals Regierenden. In Deutschland, das ja ebenfalls durch die Kriegsschäden in einem katastrophalen Zustand war, ist man damals in der Wirtschaftspolitik der Freiburger Schule des Ordoliberalismus und Röpke gefolgt, die eine starke ordnungspolitische Hand für die Marktwirtschaft verlangen. Die Politik hat sie durchgesetzt. Unter Konrad Adenauer und Ludwig Erhard wurden die Voraussetzungen für einen Staat geschaffen, der aktiv eingreift. (Zwischenruf des Abg. Taschner.)
Auch bei uns waren sie gescheiter als die heutigen ÖVPler. Ich habe mir vorige Woche erlaubt, im Wirtschaftsparlament der Wirtschaftskammer auf den Namensgeber des Saals zu verweisen, das war nämlich ein gewisser Raab – der Name sagt Ihnen vielleicht noch etwas –, Wirtschaftskammerpräsident bis 1953.
Was haben die gemacht, um die galoppierende Inflation, die eine Katastrophe für das arme Land nach dem Zweiten Weltkrieg war, den Schleich, wie der Schwarzhandel genannt wurde, die Nichtverfügbarkeit von Waren und Gütern einzudämmen? – Sie haben ein Lohn- und Preisabkommen gemacht mit der Zusicherung: Wir erhöhen keine Preise und keine Löhne, bis wir die Inflation im Griff haben. – Und sie haben es geschafft, den Schilling, der gerade wieder eingeführt wurde, zu einer starken Währung zu machen, die die Basis für den Erfolg des Landes war.
Und was machen Sie hier, seit wir diese Inflation haben? – Nichts! (Beifall bei der SPÖ.)
Ich verstehe das nicht! Ich meine, wir haben geglaubt, nach Generalsekretärin Sachslehner kann es nicht mehr schlimmer werden. Aber nein, Sie holen sich Christian Stocker, der OTS-Aussendungen nach dem Motto, wir hätten bereits die Preise eingedämmt, weil doch Karl Nehammer eine Übergewinnbesteuerung angedroht hätte und weil die Förderungen gelaufen sind, macht! (Zwischenruf des Abg. Hörl.) – Lieber Franz Hörl, vielleicht solltet ihr, bevor ihr solche Aussendungen von euren Anwälten – das ist Christian Stocker ja – ausschicken lasst, selbst kurz darüber nachdenken. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Hörl.)
Die Energieerzeuger, die jetzt wegen der gesunkenen Preise auf den internationalen Märkten die Preise senken, haben keinen Energiekostenzuschuss bekommen, nie bekommen. Was erzählt ihr uns? Wo ist denn die Übergewinnsteuer, die alle Übergewinne abschöpft? – Nicht vorhanden! Wo sind denn die Maßnahmen, um jetzt die Inflation hinunterzubekommen? – Nicht da! Und dann stellt sich Finanzminister Brunner hier her und erklärt uns, wie schlecht doch das Ganze in Spanien läuft. (Zwischenruf des Abg. Hörl.) – Ja, aber meine Damen und Herren, die sind dort bei 2 Prozent Inflation! (Abg. Hanger: Und mit der Kaufkraft? – Abg. Ottenschläger: Und wie viele Arbeitslose - -!) – Ich komme gleich dazu. (Abg. Hanger: Arbeitslosigkeit?!) – Also so einen Zwischenruf aus einer sogenannten Wirtschaftspartei zu hören, ist überhaupt unfassbar. (Beifall bei der SPÖ.)
Ist Ihnen bewusst, was es in einem Binnenmarkt heißt, Herr Kollege Hanger, wenn unsere Unternehmen bei Ihrer Regierungspolitik permanent 8 Prozent Inflation haben und andere Unternehmen nur 2 Prozent? Was heißt denn das auf Drittmärkten? Was heißt das in einem Binnenmarkt mit einer Währungsunion? Sie fesseln unseren Betrieben die Füße, und am Ende sind die Arbeitsplätze weg. (Zwischenruf des Abg. Hanger.) Und da machen Sie solche Zwischenrufe, Herr Hanger – das ist ja unglaublich (Beifall bei der SPÖ – Abg. Hanger: Der Vergleich ist sensationell! Zu behaupten, Spanien steht wirtschaftspolitisch besser da ...!) –, statt dass Sie jetzt aufstehen und sagen: Okay, es tut uns leid, wir haben die Bevölkerung im Stich gelassen, aber jetzt machen wir es besser. – Das wäre eine gute Aussage, dann könnten Sie nämlich hergehen und fragen: Moment, wie kriegen wir die Inflation herunter? – Das Erste ist, dass die Menschen sich Nahrungsmittel leisten können. Das bedeutet zum Beispiel das, was die Europäische Union vorsieht: die Möglichkeit, dass Sie die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel auf null setzen.
Sie sagen: Na ja, das können wir nicht machen, denn wer kontrolliert denn das? – Ich sage es Ihnen, Herr Kollege Hanger: Wir haben im Umsatzsteuergesetz schon mehrfach zivilrechtliche Bestimmungen gehabt (Abg. Hanger: Das ist nicht die Gießkanne, gell?!), wie das auf die Preise umzulegen ist, und ich schlage Ihnen mehr als acht Millionen Kontrollorinnen und Kontrollore vor, nämlich die Konsumentinnen und Konsumenten! (Abg. Hanger: Das ist keine Gießkanne, gell?!) Denen brauchen Sie nur zu sagen, dass ihr Lebensmittelgeschäft die 9,09 Prozent, so viel macht nämlich die Streichung der 10 Prozent Mehrwertsteuer aus, an sie weitergeben muss! Ich bin ganz sicher: Ab dem Fünften an der Kassa, der darauf pocht, sind die Preise für Butter, für Zucker, für Mehl ganz schnell unten, und dann hätten Sie erstmals – erstmals! – etwas gegen die Teuerung getan! (Beifall bei der SPÖ.)
Wir haben einen Antrag eingebracht, dass die Mietenerhöhung rückwirkend gestrichen wird, dann würden nämlich Mieterinnen und Mieter die Miete zurückbekommen, deren Erhöhung jetzt wegen des Versagens, wegen des Blockierens der ÖVP in der Bundesregierung nicht gestoppt werden konnte. Dann müsste das nämlich rückgebucht werden. Wissen Sie, wie angenehm das für den Verbraucherpreisindex ist? Der kriegt nämlich sofort einen Dämpfer, weil allein die Mieten in dem Monat, in dem das in Kraft tritt, sinken.
Jetzt erklären Sie uns wieder, das sei der Marxismus unseres neuen Parteivorsitzenden Andi Babler. Darf ich Ihnen die kommunistischen Länder aufzählen, in denen das stattfindet? Das ist nicht nur die Iberische Halbinsel. Schauen Sie einmal in die Schweiz! Das ist ja nicht gerade der Hort des marxistischen Kommunismus dort, aber die Schweiz hat nur 1,7 Prozent Inflation, dort darf die Miete nämlich maximal um 40 Prozent des Preisindex erhöht werden und ist vernünftigerweise limitiert mit der Höhe der Zinsanstiege – das wird so beschränkt. Bei uns beschränkt ist nur die Wirksamkeit der Maßnahmen dieser Regierung gegen die Inflation, das ist das einzig Beschränkte, das ich hier sehe! (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ.)
Man glaubt es ja fast nicht: Wir haben jetzt Förderungen wegen der Energiekrise. Jetzt haben wir bei den Covid-Förderungen schon festgestellt, dass es eine Reihe von Großunternehmern gibt, die weit mehr Gewinne als vor Covid gemacht haben und daneben das Geld von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern eingesteckt haben. Na glauben Sie, die müssen es zurückzahlen? – Nein, darauf haben Sie irrtümlich vergessen. (Heiterkeit der Abg. Heinisch-Hosek.) So irrtümlich kann es aber nicht gewesen sein, weil es gibt jetzt Förderungen, bei denen schon wieder nicht drinnen steht, wann sie zurückzuzahlen sind.
Dabei gäbe es so einfache Regeln: Wenn man eine Förderung kriegt und sich bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer herausstellt, dass die über dem Durchschnitt der Jahre davor ist, dann braucht man ja nur eine Sonderabgabe bis zur Höhe der Förderung bescheidmäßig vorzuschreiben, und das Steuergeld ist zurück. Dann hätte halt auch Herr Benko ein bisschen weniger Millionen und 1 900 Leute hätten vielleicht noch ein paar Monate länger eine Arbeit. (Abg. Schmidhofer: Herr Androsch auch! Herr Matznetter, Herr Androsch auch!)
Das wäre super gewesen, aber was tun Sie? – Nichts. Sie behindern die Grünen, Sie überzeugen die Grünen, dass die dann noch mit Daten der Agenda Austria argumentieren, was schade ist. Werner Kogler hat das immer besser gemacht. Was tun Sie? – Sie blockieren. Jetzt kommt das Beste: Drei Plenartage haben wir heute (Abg. Ofenauer: Heute haben wir einen!) und 40 Vorlagen. Und wie viele Vorlagen dienen dazu, die Teuerung herunterzusetzen? – Null.
Deswegen dieser Fristsetzungsantrag, deswegen können wir heute entscheiden: Wir entschließen uns, bis 7.7. Maßnahmen einzusetzen, wir werden hier im Sommer keine Sommerpause machen, bevor nicht etwas gegen die Inflation getan wird. Die Chance haben Sie jetzt. Ich wünschte, Sie ergreifen sie. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)
15.11
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Fürlinger. – Bitte.