Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Wir alle wissen, dass das österreichische Bildungssystem weder bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention noch bei den Nationalen Aktionsplänen groß Bäume ausgerissen hat. Insbesondere beim Recht auf ein 11. und 12. Schuljahr für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf herrscht mehr als absoluter Stillstand.

Unsere Anträge wurden 2020 und 2022 vertagt. Auch die Bürgerinitiative wurde vor zwei Wochen wieder vertagt. Jetzt ist der Klagsverband aktiv geworden, und auch ein Gericht hat festgestellt, dass Schüler mit Behinderung in Österreich beim Bildungszugang diskriminiert werden. Sie haben da zugesichert, das Urteil des Gerichts rasch umzusetzen.

Warum sagten Sie im April einerseits, schnell Klarheit beim Recht auf ein 11. und 12. Schuljahr schaffen zu wollen, lassen es aber andererseits zu, dass genau diese Thematik erst vor zwei Wochen im Unterrichtsausschuss vertagt wurde?

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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 283/M, hat folgenden Wortlaut:

„Warum sagten Sie im April einerseits, schnell Klarheit beim Recht auf ein 11. und 12. Schuljahr für Kinder mit SPF schaffen zu wollen, ließen es aber andererseits zu, dass eine entsprechende Forderung einer Bürgerinitiative im Ausschuss vertagt wurde?“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Dr. Martin Polaschek: Ich darf daran erinnern, dass im letzten Schuljahr 90 Prozent aller Anträge für ein 11. oder 12. Schuljahr bewilligt worden sind. 10 Prozent der Anträge wurden nicht bewilligt, was in den meisten Fällen auch durchaus für Unmut bei den betrof­fenen Personen geführt hat. Das kann ich gut verstehen.

Wir haben uns deshalb die Sache sehr intensiv angesehen und haben gesehen, dass der allergrößte Teil, nämlich über 90 Prozent dieser Ablehnungen, aus Wien kam. Wien hat die mit Abstand allerhöchste Quote an Ablehnungen aus pädagogischen Gründen gehabt. Wir sind da sehr rasch tätig geworden und haben die Bildungsdirektion angewiesen, dass bei drohenden Ablehnungen sogenannte Fallkonferenzen mit meinem Haus durchzuführen sind, sprich: dass jede geplante Ablehnung noch mit dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung zu besprechen ist.

Wien war bis zu diesem Zeitpunkt der absolute Spitzenreiter bei den Ableh­nungen. Seit diesem Zeitpunkt ist in Wien kein einziger Antrag abgelehnt worden – kein einziger Antrag mehr! –, und die Zahl der abgelehnten Anträge ist mittlerweile zum Glück nur mehr ein Bruchteil. Also auf inhaltlicher Ebene sollte es kein weiteres Problem sein.

Wir haben außerdem im Bundesministerium eine eigene Arbeitsgruppe gegrün­det, die derzeit aber auch an einer langfristigen Lösung für die betroffenen Familien arbeitet.

Was die von Ihnen angesprochene Vertagung der Forderung der Bürgerinitiative im Ausschuss angeht, darf ich darauf hinweisen, dass ich ein Mitglied der Exekutive bin und die Ehre habe, dem Ausschuss Rede und Antwort zu stehen, aber Beschlüsse des Ausschusses durch den Ausschuss gefasst werden und nicht im Ingerenzbereich der Bundesregierung sind.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte, Frau Abgeordnete.

Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd (NEOS): Österreich hat die UN-Behinderten­rechtskonvention bereits 2008 ratifiziert. Es ist schön, wenn es jetzt in Wien keine Ablehnungen mehr gibt. Aber: Warum ist man nicht wesentlich früher aktiv geworden, was ein inklusives Bildungssystem betrifft?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Dr. Martin Polaschek: Es gibt sehr intensive Arbeiten auf allen Ebenen, was eine Verbesserung angeht. Ich darf etwa daran erinnern, dass der Bund jährlich fast eine halbe Milliarde Euro für Lehrerinnen und Lehrer im Bereich der Sonderpädagogik investiert. Es gibt ein eigenes Consultingboard im Bundesministerium, mit dem wir uns regelmäßig austauschen und Anregungen machen. Ich sehe da aber durchaus in einigen Bereichen Verbesserungsbedarf, Sie haben recht.

Gerade wenn es aber um das Wohl der Kinder geht, darf man nicht vergessen, dass wir auch die Eltern sehr stark einbinden müssen. Es geht auch um die Wahlfreiheit der Eltern. Wir müssen auch auf das Kindeswohl achten. Und das Kindeswohl bedeutet nicht immer, dass das Kind in eine reguläre Schule geht, sondern wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass die Kinder dem jeweiligen Bedürfnis entsprechend ein Angebot bekommen und auch die Interessen der Eltern, die ja für die Kinder die Verantwortung tragen, berücksichtigt werden.

Wir haben uns aber natürlich mit dem Befund, den Sie angesprochen haben, auseinandergesetzt. Wir nehmen den sehr ernst. Und das von Ihnen ange­sprochene Gerichtsurteil wird von uns auch selbstverständlich umgesetzt. Es herrscht hier jetzt Rechtsklarheit, und wir werden entsprechend handeln.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordneter Marchetti. – Bitte sehr.