10.20

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Staatssekretärin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mir ist es immer wichtig, wenn wir über die Teuerung debattieren, das Ganze ein bisschen herunterzubrechen, damit man auch versteht, worum es da wirklich geht, und dieses Thema nicht in den entrückten Welten mancher Politikerinnen und Politiker abhandelt.

Ich habe vor Kurzem ein Gespräch mit einer Elementarpädagogin aus Bruck an der Mur, die Kinder betreut, die sich in der Schule nicht so leichttun, geführt, und die hat mir das Folgende erzählt, was mich wirklich entsetzt hat. Sie hat gesagt: Im letzten Winter war es so, dass sie das Gefühl gehabt hat, dass sich in einer Familie ein Kind immer ganz besonders gefreut hat, wenn sie dort hingekommen ist, und es gar nicht abwarten konnte, dass sie in diese Familie kommt. Sie hat sich das nicht recht erklären können und hat das ein bisschen hinterfragt, und am Ende ist herausgekommen: In dieser Familie – es arbeitet der Vater, es arbeitet die Mutter – hat es in diesem Winter nicht gereicht, dass man heizt, aber einmal in der Woche, wenn diese Frau in diese Familie gekommen ist, ist geheizt worden, weil diese Familie sich geschämt hat, dass sie nicht heizen kann.

Das sind die Zustände, die Sie zu verantworten haben, Herr Bundeskanzler. Das ist das, was Teuerung in diesem Land bedeutet. Das ist das, was die Menschen in diesem Land jetzt trifft. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn man es sich genauer anschaut, muss man sagen, die Situation, in der wir sind, ist eigentlich eine unglaubliche: Österreich hat die höchste Inflation in Westeuropa. Das hat es noch nie gegeben. Der Lebensmitteleinkauf in Öster­reich kostet im Schnitt im Jahr um 1 000 Euro mehr als in Deutschland. Jede vierte Person kann sich das Wohnen kaum noch leisten, 760 000 Menschen. Das sind die Menschen, die sich dafür schämen, wenn sie im Winter nicht mehr heizen können.

Und wer profitiert? (Abg. Zarits: Immer die Gleichen! Wien Energie!) – Die Banken, die Miethaie, die Energiekonzerne. Das sind die, für die Sie Politik machen. Sie machen nicht Politik für Österreich, Sie machen Politik für die Großen in Österreich, und darunter leiden die Menschen, die im Winter nicht heizen können, Herr Bundeskanzler. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich frage mich, wie Sie das verantworten können – noch dazu, weil einem klar sein muss, dass Inflation kein Naturgesetz ist. Die Inflation in Österreich – und das ist jetzt eindeutig – ist die Folge Ihres politischen Handelns oder Nicht­handelns gewesen, Ihrer Ignoranz, Ihrer Fehler, geschätzter Herr Nehammer! (Bundeskanzler Nehammer – erheitert –: „Geschätzter“!) Wenn Sie Ihre Verantwortung wirklich wahrnehmen - - – Ja, ich weiß, Sie finden das lustig, wenn es den Menschen nicht gut geht. (Bundeskanzler Nehammer: Nein! „Geschätzter“!) Schauen Sie hin, wie der Bundeskanzler lacht, während die Menschen in Österreich Probleme mit der Teuerung haben! Das ist das wahre Gesicht der ÖVP. (Beifall bei der SPÖ.) Der Hammer lacht drinnen und der Nehammer lacht heraußen. Das ist ÖVP, wenn es den Menschen schlecht geht, geschätzte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Michael Hammer: Weil die Rede lächerlich ist! So etwas Lächerliches!)

Die Inflation – und das muss man zugeben – ist nicht ein rein österreichisches Problem. (Abg. Wöginger: Ah geh! Hast dich doch ein bisschen umg’schaut?) Es ist aber so, dass im Gegensatz zu Österreich andere Länder etwas dagegen unternommen haben. Und wenn man sich anschaut, wie Länder in Europa mit dieser Situation umgegangen sind, dann sieht man einen gravierenden Unter­schied (Ruf bei der ÖVP: Jetzt kommt Spanien): Es gibt die Länder, die bewusst versucht haben, die Preise runterzudrücken, und es gibt Österreich. In Spanien (Abg. Wöginger: Spanien! Na bitt di goa sche, komm nicht mit Spanien! 25 Prozent Jugendarbeitslosigkeit! Na toll! Super Land!) sind die Energiepreise und die Mieten gedeckelt worden, die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel ist auf 0 Prozent gesenkt worden.

Sie hören jetzt Herrn Wöginger nicht keppeln, das tut er beim Vergleich mit Spanien recht gern, aber Faktum ist: Österreich 7,5 Prozent Inflation, Spanien 2,4 Prozent Inflation. Das ist der Unterschied, geschätzte Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP. (Beifall und Bravoruf bei der SPÖ.)

Dasselbe in der Schweiz: 1,5 Prozent Inflation; und so weiter und so fort. (Abg. Wöginger: Na bitt di goa sche! – Abg. Hanger: Spanien als Vergleich! Gratuliere! – Ruf bei der SPÖ: Warum so nervös? – Abg. Michael Hammer: Weil es ein Blödsinn ist!)

In Österreich: 25 Prozent Mietpreissteigerung in den letzten zwei Jahren! Und was machen Sie? Was machen die ÖVP und die Grünen bei 25 Prozent Mietpreis­steigerung in den letzten zwei Jahren? – Sie frotzeln die Leute mit einem vielleicht 5-Prozent-Deckel irgendwann. Ja was soll denn das helfen? Sagt mir das einmal! Was soll denn das helfen, bitte schön? (Beifall bei der SPÖ.) Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein! Und so etwas in der Verfassung festschreiben zu wollen und so ein Theater darum zu machen, das ist ja wirklich lächerlich. (Beifall bei der SPÖ.)

Kommen wir noch einmal zur gesamteuropäischen Ebene! Was sagt die EU-Kommission, für jetzt, für die Zukunft? – Schwächere Binnennachfrage – ist nicht gut. Wieder steigende Ölpreise? (Abg. Kickl: Woher kommt denn das alles, Herr Kollege Leichtfried?) Dafür bräuchten wir eigentlich keine - - Jetzt hört man wieder Radio Russland aus dem Hintergrund, das ist der Herr Kickl, geschätzte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Kickl: Ja, nicht Radio Moskau! Das kennen Sie, bei Ihnen sitzen die Kommunisten an der Parteispitze!) Wieder steigende Ölpreise, das merkt jeder am Benzinpreis. (Abg. Kickl: Ja aber woher kommt das alles? – Abg. Wurm: Warum, ist die Frage! – Abg. Kickl: Diese Frage wird nicht beantwortet!)

Ein wesentlicher Inflationstreiber sind die Profite der Großkonzerne, und darauf gibt es eine Antwort, gibt es mehrere Antworten, nämlich das, was wir seit mehr als zwei Jahren vorschlagen: Markteingriffe, Herr Bundeskanzler, Markteingriffe auf österreichischer Ebene und auf europäischer Ebene. (Abg. Kickl: Also nicht Ursachenbekämpfung?! – Abg. Holzleitner: Sicher Ursachen­bekämpfung! Weg von Meritorder!) Wir müssen endlich die Mieten einfrieren, die Mieten einfrieren und dann marginal deckeln. Keinen 5-Prozent-Deckel, sondern einfrieren und 2 Prozent vielleicht irgendwann in der Zukunft! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir brauchen eine Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Wir brauchen endlich eine Antiteuerungskommission. Bitte schön, besetzt diese endlich einmal! Das darf ja nicht wahr sein, dass die nicht besetzt werden kann.

Es braucht eine funktionierende Übergewinnsteuer (Abg. Belakowitsch: Da haben die Leute wahnsinnig viel davon, von der Übergewinnsteuer!), und es braucht europapolitisch auch Markteingriffe. Es ist eigentlich vollkommen klar, dass es auch europapolitische Markteingriffe braucht.

Aber was hat diese Bundesregierung bis jetzt europapolitisch gemacht? – Sie hat das Gegenteil gemacht, sie hat Markteingriffe blockiert und ist immer noch bei jenen, die Markteingriffe blockieren wollen. Das, Herr Bundeskanzler, ist auch ein europapolitisches Desaster, das Sie hier zu verantworten haben. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Wurm: Da seid ihr nicht dabei, bei Europa, Herr Kollege Leichtfried?! – Abg. Kickl: Unglaublich! Die Lenin-Fraktion macht den Mund auf!) – Radio Moskau beruhigt sich nicht mehr. Irgendwie ist es schade, sehr geehrte Damen und Herren, dass Sie die Einwürfe der FPÖ nicht hören. Anscheinend ist seitens des Herrn Putin gestern noch ein bisschen etwas ausgeschickt worden, aber das kennen wir ja aus den letzten Sitzungen.

Aber kommen wir zurück zum Thema – und da stimmt mir sogar Herr Wöginger zu, das ist einmal ein sehr interessanter Zug –, und ich möchte auch schon zum Schluss kommen. (Rufe bei ÖVP und FPÖ: Gott sei Dank! – Abg. Kickl: Kein Wort zu den Ursachen! Nicht ein Wort zu den Ursachen!) Wir haben in den letzten Jahren, sehr geehrte Damen und Herren, eines feststellen können (Abg. Lausch: Ein wahres Wort!): Showpolitik blendet vielleicht kurzfristig, ja, aber in der Krise funktioniert sie nicht. (Abg. Kickl: Beim Babler nicht einmal das!) Wir haben gemerkt, dass in der Coronakrise die Showpolitik der Regierung krachend gescheitert ist. (Abg. Belakowitsch: Da wart ihr eh dabei!) Wir haben in der Teue­rungskrise gemerkt, dass die Showpolitik krachend gescheitert ist (Abg. Hafenecker: In Wien zum Beispiel! – Abg. Belakowitsch: Fernwärme, plus 92 Prozent, weil wir grad vom Heizen gesprochen haben!), und, Herr Nehammer, selbst die Show im Bierzelt funktioniert eigentlich nur kurzfristig.

Die Menschen in Österreich haben es sich nicht verdient (Abg. Belakowitsch: Die Wiener:innen auch nicht!), dass ihre Situation durch Ihre Politik noch schlechter und noch weiter schlechter wird. Die Menschen in Österreich ver­trauen Ihnen nicht mehr, misstrauen Ihnen, und wir werden Ihnen heute selbstverständlich auch das Misstrauen aussprechen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

10.29

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist der Herr Bundeskanzler. – Bitte sehr.