17.29

Abgeordneter David Stögmüller (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrte Frauen Ministerinnen! Frau Staatssekretärin! Sehr geehrter Herr Minister! Wir sind heute wieder zusammengekommen, die Dauerbefeuerung rund um die Neutrali­tätsdebatte hat ein neues Maß angenommen, Gespenster werden an die verfassungsrechtliche Wand gemalt. Ich sage das ganz offen.

Unsere immerwährende Neutralität wurde in Art. 1 Abs. 1 des Bundesverfas­sungsgesetzes über die Neutralität Österreichs festgehalten. Unsere Neu­tralität hat knapp 70 Jahre lang genauso fest gehalten, auch nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion, und ausgerechnet heute, wie man den Eindruck gewinnt, wenn man den Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ zuhört und glauben will, soll diese immerwährende Neutralität vor dem Ende stehen. Laut dem Verlangen der FPÖ ist Österreich nämlich hoch gefährdet durch – ich zitiere – „Kriegstreiberei und Fremdbestimmung“. (Abg. Meinl-Reisinger: Ja, Nato-Beamte!)

Aha, „Kriegstreiberei und Fremdbestimmung“! Fremdbestimmung – das Spiel kennen wir: Für unsere freiheitlichen Kollegen gilt ja jede Form der überstaatlichen Zusammenarbeit (Abg. Kickl: Für Sie ist Österreich nur mehr ein Filialbetrieb!), jede Zusammenarbeit in jedweder weiteren Form mit Partnerländern automatisch als Ende der österreichischen Souveränität.

Was sind schon 80 Jahre Frieden, der Wiederaufbau eines von Krieg zerstörten Kontinents, Menschenrechtskonventionen, ein Schengenabkommen mit EU-Partnern verglichen mit dem freiheitlichen Allmachtanspruch? Was ist das schon? Was ist das? – Nichts! (Abg. Kickl: Da klatschen ja nicht einmal die Eigenen!) Die Antwort spiegelt sich im heutigen Antrag der FPÖ sehr gut wider: Gift! Es ist nur Gift: „Gift für Österreichs Souveränität“ steht drinnen. – Ich bitte Sie! Wir kennen dieses Spiel, es ist seit Jahrzehnten dasselbe, nur die Sprache wird von Mal zu Mal schlimmer, aggressiver (Abg. Kickl: Ah!), wil­der (Abg. Kickl: Ah!) und populistischer (Abg. Kickl: Ah!), hysterischer.

Aber Kriegstreiberei: Wirklich, Herr Kickl? Warum? – Weil wir die Zivilbevöl­kerung der Ukraine mit Hilfsgütern versorgen, während Ihr Freund Putin die anderen, die Opfer zerbombt, weil wir an einer zivilen Minenräumungsaktion arbeiten, um die Zivilbevölkerung – meistens Kinder – zu retten, ihr zu helfen und ihr eine Zukunft ohne Prothesen in Aussicht zu stellen, oder weil wir die kritisch mangelhafte Raketenabwehr im österreichischen Luftraum, die Sie jahrzehntelang nicht zusammengebracht haben, rasch und kostengünstig aufwerten wollen? Ist das Kriegstreiberei? – Nein, Sie übertreiben! (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Ofenauer.)

Während wir uns jede Woche anhören, wie ein sich selbst dazu stilisierender Volkskanzler Kickl das Gespenst der Neutralitätsfrage an die Wand malt, arbeitet diese Regierung unermüdlich daran, exakt diese Sicherheit und Wehrhaf­tigkeit zu garantieren. Ich rede von einem Finanzierungspaket, wie es noch nie dagewesen ist. Die Frau Verteidigungsministerin hat es angesprochen: Wir haben etwas zusammengebracht, das uns niemand zugetraut hätte (Abg. Kickl: Den guten Ruf des ...!): 16 Milliarden Euro in modernisierte Geräte, die unsere Truppen schützen, die man auch außerhalb Österreichs wirklich wahrnimmt, die auch die Reaktionsfähigkeit unserer Streitkräfte wie­derherzustellen – das ist der Punkt: nicht herzustellen, sondern wiederherzu­stellen – versuchen.

Wenn die Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ wirklich um die Souveränität Angst haben und deswegen besorgt sind, kann ein einsatzfähiges Bundes­heer für sie ja nur begrüßenswert sein. Was hat die FPÖ aber gemacht? Das ist jetzt die Preisfrage: Welche Fraktion hat denn gegen die Budgeterhöhung gestimmt? Welche Fraktion war das? – Es war die FPÖ! Es war die FPÖ, der es wurscht war. Sie hat gegen diese Budgeterhöhung gestimmt. Genau das ist der Punkt: Wer trägt wirklich Sorge um dieses Land? – Es ist nicht die FPÖ, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Dasselbe gilt auch dort, wo es um Sky Shield geht, ein gemeinsames Beschaf­fungsvorhaben mit Partnerstaaten – mehr ist Sky Shield nicht. Mehr ist es nicht, das haben mittlerweile auch schon Hunderte Verfassungsexpert:innen bestätigt: Es ist kein Militärbündnis (Abg. Kassegger: Nein, nein, nein!), sondern ein Weg, Geld und Zeit zu sparen. (Abg. Kickl: ... nicht einmal, was Sie unterschreiben!) Wir haben noch gar nichts unterschrieben. (Abg. Kickl: Ah, ah, ah!) – Nein! Das müssen Sie ja wissen, aber anscheinend kennen Sie sich nicht mehr aus! (Abg. Kickl: ... gerade vorgelesen!) Jeder, der sich mit einer solchen Art von Beschaffung überhaupt auskennt, Herr Kickl - - (Abg. Kickl: Ich habe es Ihnen ja gerade vorgelesen! Wie weit schießen denn diese Raketen, Herr ... Stögmüller?)

Auch Sie haben einmal das Verteidigungsministerium geführt – nicht Sie, aber die FPÖ –, und? – Natürlich haben Sie nichts beschafft, aber hier mords reden, wer sich auskennt. Man kann nicht so einfach etwas aus dem Katalog bestellen wie beim Otto-Versand und man bekommt es am nächsten Tag, sondern nein, das dauert lange (Abg. Kickl: ... die grüne Wehrexpertise!), ist entsprechend teuer, und wer zahlt, bekommt zuerst.

Wenn wir also eine effiziente Luftraumüberwachung und Raketenabwehr wollen, dann ist es auch notwendig, zu erkennen, wo der richtige Weg ist: ob der Souveränität besser gedient ist, wenn wir mehr zahlen, um vielleicht später weniger Abwehrmöglichkeiten zu haben? – Das ist es nicht, sondern wir müssen gemeinsam mit den Bündnispartnern (Abg. Kickl: Bündnispartner! Doch ein Militärbündnis!) schauen, dass wir das jetzt entsprechend schnell be­kommen, Herr Kickl. (Abg. Kassegger: Welche Bündnispartner?) Na, das ist es genau: Die moderne Souveränität bedeutet moderne Abwehrmöglichkeiten, da können wir nach Israel schauen, da können wir in Richtung Ukraine schauen.

Wir können den Herausforderungen von morgen nicht irgendwie mit den Antworten von gestern begegnen und wir müssen proaktiv und zukunftsgerichtet sein und agieren. Das bedeutet auch einen Ausbau der Cyberabwehrkapazitäten, eben weil sich Konflikte heute kaum mehr auf Landesgrenzen beschränken, weil man Krieg und Terror heute breiter, auch digital denken muss. Der Cyberraum, und das sehen wir auch in Israel, ist unglaublich vielfältig: Es geht von China bis Iran, wer da mitspielt, viel weiter über die Grenzen Europas hinaus, und da braucht es gemeinsame Synapsen! (Ruf bei der FPÖ: Synapsen?)

Meine Damen und Herren, letztlich muss ich aber fair bleiben: Es gibt in Öster­reich in der Tat eine Neutralitätsfrage, sogar keine kleine. Allein diese Wo­che haben mich unzählige Leute angerufen, besorgte Bürgerinnen und Bürger, nur stellen sie nicht die Frage, die die Kollegin von der FPÖ stellt, ohne müde zu werden, nein, es handelt sich um eine viel wichtigere und eine verfas­sungsrechtlich viel realitätsnähere Frage, nämlich wie wir den Neutrali­tätsbegriff im 21. Jahrhundert verstehen. Wo wollen wir hin? Wo wollen wir und wie wollen wir diese Rolle eines neutralen Österreichs in einer globalisierten Welt, bei globalen Herausforderungen anlegen? Wie wollen wir da in Zukunft vorangehen?

Diese Debatte, der man sich stellen muss, ist aber auch durch die FPÖ-Thematik einer Festung Österreich derartig verseucht, dass man glatt vergessen könn­te, dass Neutralität nicht bedeuten muss, den Kopf in den Sand zu stecken, sondern sehr wohl bedeuten kann, die Dinge proaktiv anzugehen.

Meine Damen und Herren, ich werde nicht müde, es zu sagen: Neutralität kann auch aktiv gestaltet, solidarisch und kooperativ sein. (Abg. Holzleitner: Muss!) Eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik, so wie wir Grüne uns diese vorstellen, schafft es, unseren demokratischen und völkerrechtlichen Wer­ten gerecht zu werden, solidarisch mit unseren Partnern auf EU-, OSZE- und UNO-Ebene zusammenzuarbeiten, den diplomatischen Wert des Standortes Österreich zu wahren und unschuldige Menschen zu schützen, ohne dabei irgendwie den Verfassungsrahmen zu sprengen, denn das ist eine Sicherheitspolitik, die Österreichs Souveränität nicht nur nicht untergräbt, son­dern stärkt, die Neutralität in Ehren hält und sie gleichzeitig an die Heraus­forderungen des 21. Jahrhunderts anpasst. (Beifall bei den Grünen und bei Abge­ordneten der ÖVP.)

Man kann so polemisieren wie die FPÖ – wenn es jedoch um ernste und lö­sungsorientierte Politik betreffend Fragen der Sicherheit Österreichs geht, dann ist sie nicht zu finden. Das Einzige, was bleibt – und das sage ich auch ganz offen –: Österreichs Neutralität war, ist und bleibt unantastbar, egal was Ihnen die Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ irgendwie erzählen wollen. In Wirklichkeit sind sie Neutralitätsverräter, bei dem, was die FPÖ aufführt, und keine ‑verteidiger! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Hörl.)

17.36

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Brand­stätter. – Bitte sehr.