9.06

Abgeordneter Philip Kucher (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Regierungsmitglieder! Wir haben in diesem Haus jahrelang vom besten Gesundheitssystem der Welt gesprochen. Die Regierung hat uns bei den Budgetverhandlungen einige Wochen lang erzählt, was in unserem Gesundheitssystem nicht alles besser werden wird. Wenn man aber nur ein paar Schritte auf die Straße macht, wenn man mit den Menschen redet, wenn man Schicksale spürt, dann weiß man, dass in den letzten Jahren in Österreich einiges gekippt ist.

Es hat mir eine Krankenschwester ganz offen gesagt, dass sie ihren Beruf immer geliebt hat, aber sie sagt auch: Philip, ich kann nicht mehr, mir geht die Kraft aus! Es hat mir ein Pensionist in Klagenfurt erzählt, dass er erst in acht Monaten seine Hüftoperation bekommt und dass er bis dahin nur noch mit Schmerzmitteln über die Runden kommt. Er hat mir dann geschildert, was es für ihn heißt, mit dem Rollator zum Supermarkt zu gehen. Er wartet in Wahrheit Tag für Tag auf den Operationstermin. Eltern haben mir erzählt, dass sie verzweifelt einen Kinderarzt für ihre Tochter suchen, zehn Kassenärztinnen und Kassenärzte durchtelefoniert haben und nicht einmal einen Platz auf der Warteliste bekommen haben.

Ich sage ganz ehrlich: Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns hier auch über alle Parteigrenzen hinweg die Frage stellen, ob wir das alles einfach so hinnehmen wollen, was in Österreich passiert, oder ob wir dafür sorgen, dass es tatsächlich besser wird. Ich sage offen dazu: Krankjammern macht nichts besser, aber Schönreden wird auch nichts besser machen. (Beifall bei der SPÖ.)

Was für die Menschen in Österreich zählt, sind Taten, die ganz konkret das Leben der Menschen, die Gesundheitsversorgung besser machen. Dazu haben wir heute miteinander über alle Parteigrenzen hinweg auch die Möglichkeit: dafür zu sorgen, dass wirklich alle Menschen in Österreich die beste Versorgung bekommen, vom Neusiedler See bis zum Bodensee. Ob es der Fliesenleger in Klagenfurt, die Lehrerin in Graz oder die Verkäuferin in Wien ist: Es ist eine Frage des Respekts, dass alle Menschen in Österreich die beste Versorgung kriegen – und das können wir hier im Parlament heute auch gemeinsam beschließen. (Beifall bei der SPÖ.)

Menschen, die krank sind, die Pflege brauchen – da geht es wirklich um Respekt –, haben persönliche Schicksalsschläge erlitten, die wir nicht ungeschehen machen können, aber es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir als solidarische Gemeinschaft die bestmögliche Versorgung sicherstellen.

Gesundheit darf nie eine Frage der Brieftasche sein, es darf nicht die Kreditkarte zählen. In Zukunft muss in Wahrheit wieder die E-Card zählen, sodass alle Menschen dieselbe Versorgung bekommen. Das wäre heute mein Zugang und dazu darf ich alle einladen. (Beifall bei der SPÖ.)

Von der Regierung würde ich mir heute eine einzige Sache wirklich erwarten, und das ist Ehrlichkeit. Ich sage dazu: Jeder Euro, den wir zusätzlich investieren, ist besser als gar nichts, aber die Herausforderungen sind zu groß, um zu wenig zu tun. Deswegen darf ich heute auch Beispiele bringen, die zeigen werden, dass all das, was uns die Regierung heute verspricht, einfach nicht reichen wird.

Die Österreichische Gesundheitskasse hat in diesem Jahr ein Minus von 386 Millionen Euro und bekommt in Zukunft von der Bundesregierung zusätzlich netto 200 Millionen Euro dazu. Damit sollen die Spitäler entlastet werden, damit soll es Hunderte Kassenstellen geben, damit soll es in Zukunft wirklich gleich gute Leistungen geben, einen modernen Leistungskatalog, bei dem dann die Zeit für die Patientinnen und Patienten im Vordergrund steht. All das soll in Zukunft mit diesen 200 Millionen besser werden – bei einem Minus von 386 Millionen Euro.

Ich sage es noch einmal dazu: Krankjammern, Herr Finanzminister, wird uns nicht weiterbringen, aber Schönreden wird uns auch nicht weiterbringen. Das wird sich in der Frage nicht ausgehen. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Finanzminister, ich bitte Sie jetzt, heute ganz ehrlich zu sein, dass Sie den Menschen, die tagtäglich am Krankenbett für die Patientinnen und Patienten da sind, und den Menschen in Österreich auch ehrlich die Wahrheit sagen: Glauben Sie wirklich, dass sich das in Zukunft ausgehen wird, dass es deutlich besser werden wird, oder sagen Sie heute hier ganz offen, dass es in diesen Bereichen keine Verbesserungen geben wird? Seien Sie dann bitte ganz ehrlich und beantworten Sie einfach auch die Frage hier offen: Wird es in Zukunft nicht genügend Kinderärzte geben, die in Österreich verfügbar sein werden? Werden wir im Bereich der Pflege keine Verbesserungen leisten können? Werden wir statt zehn Monaten nur noch fünf Monate auf Operationen warten müssen? Wird es weiterhin zu wenige Kassenärzte geben? In welchen Regionen wird es weiterhin zu wenige Kassenärzte geben? Ist das die Steiermark, wird es in Wien zu wenige Kassenärzte geben, ist es Kärnten oder Vorarlberg?

Ich darf Sie einfach bitten, Herr Finanzminister, dass Sie sagen, wenn das Geld nicht reicht: Wo wird es denn keine Verbesserungen geben? Sagen Sie dem älteren Herrn, der auf die Hüftoperation warten muss, ganz offen, ob es in Zukunft acht Monate oder sechs Monate oder vier Monate sind! Es ist eine Frage der Ehrlichkeit, offen zu sagen, was in Zukunft alles nicht besser werden wird, Herr Finanzminister.

Wir haben heute hier die letzte Möglichkeit, das zu reparieren, was uns vor einigen Jahren Hartinger-Klein, Kurz, Herbert Kickl und Strache miteinander eingebrockt haben. Sie erinnern sich alle: Im Rahmen der Kassenzerschlagung hat man sich ja vorgenommen, es ist wichtig, den privaten Anteil im Gesundheitswesen zu erhöhen, dass man sozusagen die Privatisierung vorantreibt. Das hat man sogar ins Gesetz hineingeschrieben. (Abg. Heinisch-Hosek: Genau!)

Profitiert von der Kassenzerschlagung und der angeblichen Patientenmilliarde haben nicht die Patientinnen und Patienten. Es waren ein paar Großspender der ÖVP, es hat Steuersenkungen für Konzerne gegeben, man hat die Privatkliniken bedacht. Dort ist das Geld hingeflossen. Die Patientenmilliarde, die versprochen worden ist, gibt es bis heute nicht. Alle Eltern, die verzweifelt einen Kinderarzt suchen, wissen, dass dadurch nichts besser geworden ist. Wir haben heute die Chance, das zu reparieren, was uns Kickl, Strache, Hartinger-Klein und Kurz vor einigen Jahren versprochen haben. Sorgen wir heute dafür, dass es diese Patientenmilliarde in Zukunft in Österreich wirklich geben wird! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Kickl: Warst schon impfen?)

Ich möchte weitere ganz konkrete Beispiele bringen: Ein Vorschlag ist, dass wir wirklich eine gesetzliche Termingarantie in Österreich durchsetzen, dass es maximale Wartezeiten von 14 Tagen für Facharzttermine in Österreich gibt. Wer glaubt, das ist nicht möglich, muss nur einen Blick in die skandinavischen Länder wagen und sich anschauen, wie es zum Beispiel Finnland mit gesetzlichen Höchstwartezeiten geregelt hat. Es ist möglich, wenn die Politik den Mut hat und dafür kämpft, dass es eine Termingarantie für alle Patientinnen und Patienten gibt. (Beifall bei der SPÖ.)

Es gibt Entscheidungen, die wir heute treffen müssen, da sie sich sonst in Zukunft in einer dramatischen Form rächen werden, wenn wir heute nicht die notwendigen Entscheidungen treffen. Ich verstehe persönlich nicht, dass wir jedes Jahr Tausende junge Menschen von den Medizinuniversitäten fernhalten, deren Traum es ist, einmal Medizin zu studieren, einmal Leben zu retten, dass diese Menschen die Möglichkeit nicht bekommen. Wir haben in den letzten Jahren so viele Vorschläge gemacht, dass es eine Ausbildungsoffensive im Bereich der Medizin gibt. Bis heute ist gar nichts passiert.

Die Hälfte der Kassenärztinnen und -ärzte darf in zehn Jahren in Pension gehen, und es werden weniger junge Menschen nachkommen. Wir steuern auf eine dramatische Situation zu, und leider haben sowohl die Freiheitlichen als auch die Grünen und die ÖVP alle unsere Forderungen nach einer Ausweitung der Zahl der Medizinstudienplätze in den letzten Jahren immer verhindert. Wir müssen aber heute handeln. Morgen mit der Ausbildung zu beginnen heißt, dass wir in zehn Jahren dann vielleicht wirklich einmal mehr Ärztinnen und Ärzte bekommen werden. Das wird deutlich länger dauern, aber heute nicht zu handeln, das wird sich in zehn Jahren dramatisch rächen.

Einen zentralen Punkt möchte ich noch ansprechen: Es sind ein paar kleine, kosmetische Dinge passiert, aber es ist schon ein Kunststück, dass man es beim Finanzausgleich schafft, die größte Berufsgruppe im Gesundheitsbereich de facto völlig zu vergessen (Abg. Wöginger: Wen?), nämlich die Pflege. Tatsächlich gibt es heute keine Ausbildungsoffensive in der Pflege. (Abg. Schallmeiner: Das stimmt doch nicht!) Man feiert sich in Zeiten der Teuerung als Bundesregierung dafür, dass es in Zukunft einen Zuschuss von 600 Euro monatlich für Pflegekräfte gibt. (Abg. Wöginger: Was redest du? Fachkräftestipendium, Herr Kollege! Fachkräftestipendium!) 600 Euro monatlich – das muss aus Sicht der Bundesregierung für die Pflegekräfte reichen.

Ist nicht das möglich, was bei der Polizei längst üblich ist, dass Menschen, die Polizistin oder Polizist werden wollen, 2 300 Euro bekommen? Warum sollen die Pflegekräfte nicht auch die Chance haben, eine gute Ausbildung zu machen und sich das auch leisten zu können? Das könnten wir heute miteinander beschließen! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Steinacker.)

Ich sage noch einmal dazu: Ein Finanzausgleich ist besser als kein Finanzausgleich, ein bisschen etwas zu tun ist besser, als gar nichts zu tun, aber das wird in Summe einfach nicht reichen, wenn wir unser Gesundheitssystem retten wollen.

Deswegen darf ich alle Fraktionen heute noch einmal bitten: Sorgen wir gemeinsam dafür, dass wirklich alle Menschen in Österreich in Zukunft die bestmögliche Versorgung bekommen (Beifall bei der SPÖ), und sorgen wir dafür, dass das, was den Menschen in Österreich versprochen worden ist, auch tatsächlich umgesetzt werden kann. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Wöginger: Das ist schon!)

9.15

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesfinanzminister Brunner. – Bitte sehr, Herr Bundesminister.